Im Umgang mit Asylsuchenden in Europa wälzt die österreichische Kanzlerpartei – und damit das offizielle Österreich – Flüchtlingsfernhaltepläne, die über die Verschärfungen des im April beschlossenen neuen EU-Asylpakts hinausgehen. Insgesamt 15 EU-Staaten, darunter etwa Dänemark, Italien und Griechenland, haben einen Brief an die Kommission geschrieben, um den Weg für die Auslagerung von Asylverfahren in sichere Drittstaaten freizumachen. Sie hätten sich damit "mit Österreich verbündet", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer nach seinem Besuch beim britischen Premier Rishi Sunak diese Woche.

Migranten aus Subsahara-Afrika in Tunis auf offener Straße
Migranten aus Subsahara-Afrika in Tunis: Laut Recherchen mehrerer Medien wurden etliche von ihnen von tunesischen Polizeikräften entführt und in der Wüste ausgesetzt.
Foto: APA/AFP/Fehti Belaid

Großbritannien will Asylsuchende während ihres Verfahrens bekanntlich ins zentralafrikanische Ruanda expedieren. Dass die Briten nach dem Brexit nicht mehr an unionsrechtliche Vorgaben gebunden sind, erleichtert dieses Vorgehen – zumindest in der Theorie, denn bis zu den britischen Wahlen im Juli soll es nun ein Ruanda-Moratorium geben. Auch im europäischen Rechtssystem seien entsprechende Änderungen nötig, sagte Nehammer. Innenminister Gerhard Karner wiederholte das am Donnerstag im Morgenjournal-Interview. Er wies auf Dänemark hin, das sich anlässlich seines Beitritts zur Union Op-out-Möglichkeiten bei etlichen EU-Regelungen ausbedungen hat.

Rückschiebeverbot nach Griechenland

Liegt die Lösung des Flüchtlingsproblems, das die EU seit vielen Jahren lähmt, in solchen Möglichkeiten des Ausstiegs aus verbindlichem europäischem Recht? Von welchen Änderungen spricht Nehammer? Zuerst müsste an den Zuständigkeitsregeln gebastelt werden, um in Kigali, vielleicht auch in Tunis und Rabat europäische Asylverfahren zu ermöglichen.

Und dann? Ob Ruanda, vielleicht auch Tunesien und Marokko gegenüber Schutzsuchenden ein menschenrechtlich sauberes Vorgehen garantieren können, würde über kurz oder lang vor europäischen Höchstgerichten verhandelt werden. Vor denselben Gerichten, die zum Beispiel seit 13 Jahren innerhalb Europas keine Flüchtlingsrückschiebungen aus Österreich nach Griechenland mehr zulassen, weil die Behandlung von Flüchtlingen dort menschenunwürdig ist.

Migranten in der Wüste ausgesetzt

Nun erscheint es höchst fraglich, dass die Lage Asylwerbender in Marokko, Tunesien und Ruanda besser wäre. Man nehme die jüngsten Berichte über das Kidnappen von Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika in tunesischen und mauretanischen Städten. Laut Recherchen eines Zusammenschlusses europäischer Medien wurden dort mehrere Tausend Menschen in der Wüste ausgesetzt, mehr als 50 von ihnen starben. EU-Sicherheitskräfte vor Ort sollen von den Entführungen gewusst haben – die noch dazu in EU-finanzierten Bussen und Pick-ups durchgeführt worden sein sollen. Wahrnehmbares unternommen haben sie nicht.

Das zeugt von systematischem Wegschauen, vom Dulden krasser Übergriffe, so wie es auch von mehreren EU-Außengrenzen berichtet wird. Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze, Aussetzen von Inselflüchtlingen in Griechenland auf dem offenen Meer: Humanitäre Standards werden in der europäischen Asylpolitik zunehmend als Störung empfunden. Das Auslagern der Asylverfahren in Drittstaaten würde diesen Prozess weiter beschleunigen. Überantwortet Europa Schutzsuchende an Länder, die schon jetzt mit der Umsetzung der Menschenrechte ringen, riskiert es deren zunehmende Schwächung. (Irene Brickner, 24.5.2024)