Reste römischer Mauern, eingefasst von einem modernen Bauwerk, im Hintergrund die Hofburgfassade
Umstritten: die Reste römischer Bauten auf dem Michaelerplatz.
Foto: Imago / Nikita Maykov

Am Beginn der Michaelerplatz-Misere steht eine vor mehr als 30 Jahren getroffene Fehlentscheidung Helmut Zilks. Frisch ausgegrabene, im Überschwang der Entdeckerfreude überschätzte Reste römischer Bauten sollten nicht zugeschüttet, sondern stolz präsentiert werden. Um das schwer lesbare, grobe Stein-Pasticcio aufzuwerten, beauftragte man Hans Hollein mit dem Design einer prätentiösen architektonischen Fassung: Eine kreisrunde Scheibe aus Granitplatten wird asymmetrisch von einem tiefen Graben durchschnitten. Dem ruhigen, auf die respektgebietende Hofburgfassade orientierten Platz wurde damit eine klaffende Wunde geschlagen.

Die Jahre vergingen, ratlos starrten die Touristen auf das archäologische Präparat. Langsam begannen die Steineinfassungen zu bröckeln, das von vornherein missglückte Arrangement wurde trotz beträchtlichen Wartungsaufwands immer unansehnlicher. Es mehrten sich Überlegungen, den archäologischen Graben zu schließen und den Platz wieder mit einem einheitlichen Bodenbelag auszustatten. So wäre es wohl auch glücklich geschehen, hätte nicht das Bundesdenkmalamt interveniert. Auf den Namen Hollein fixiert – von keinem anderen zeitgenössischen Architekten stehen in Wien so viele Werke unter Schutz –, vermeinte man in einem Pawlow'schen Reflex auch dieses retten zu müssen, womit die städtebauliche Sünde verewigt werden sollte.

Grandiose Platzanlage

Der nächste Anschlag folgte in Form einer Initiative benachbarter Wirtschaftstreibender und Anrainer, die von der Stadt eine Behübschung des Platzareals forderten und auch bereits Architekt und Planung präsentierten. Die Stadt akzeptierte (mit Modifikationen) und übernahm den allergrößten Teil der Finanzierung. Ohne Ausschreibung, ohne Beteiligung der Bevölkerung soll der Platz nun nach einem ähnlichen Modell wie der Neue Markt mit Zubehör aus dem Gartencenterkatalog aufgefüllt werden. Bänke, Gräserbeete, ein Wasserspiel (angesichts der dahinter rauschenden Hofburgbrunnen besonders lächerlich) und Bäume (Größe XL). Für die besonders problematische zentrale "Blauglockenbaumgruppe", die auf der Hollein'schen Scheibe platziert werden soll, wird dabei eine komplexe und extrem kostspielige Unterfangungskonstruktion zum Schutz der Archäologie notwendig. Wo angesichts der einzigartigen Architektur Beruhigung, Zurückhaltung und eine möglichst homogene Gestaltung der Bodenfläche geboten wäre, wird der Platz weiter fragmentiert und mit Versatzstücken vollgestellt.

Vermurkste Situation

Wie ist das möglich? Lautet nicht einer der wichtigsten Leitsätze von Denkmalpflege und Restaurierung, dass die Einheit des Kunstwerks zu respektieren beziehungsweise, wenn notwendig, wiederherzustellen ist? Und das höchstrangige Kunstwerk ist doch die grandiose Platzanlage selbst! Den Schlussstein für dieses Raumkunstwerk hat Adolf Loos gesetzt, seine lesenswerten Erläuterungen zur Gestaltung des Goldman&Salatsch-Hauses demonstrieren, was Stadtbaukunst ist (oder war), ein kultivierter, rücksichtsvoller Dialog der Generationen. Das hat hier zu einer wunderbar harmonischen Lösung geführt. Ist denn niemand dafür verantwortlich, dies in seiner Gesamtheit wahrzunehmen und zu erhalten?

So unbelebt sieht man den Michaelerplatz selten: Michaelertor links, Looshaus rechts und die eingefassten archäologischen Ausgrabungen in der Mitte.
IMAGO/Panthermedia

Die Antwort lautet: Nein. Der gegenwärtige Zustand ist ein Symptom der vermurksten rechtlichen Situation mit der Trennung von Denkmal- und Ortsbildschutz. Das Bundesdenkmalamt, das die rechtzeitig vorgewarnte, nun heftig angegriffene Stadträtin gerne als Schutzschirm vorschiebt – "für mich oberste Instanz" –, ist nämlich in Wahrheit gar nicht zuständig. Keine einzige historisch gewachsene Platzanlage in Österreich steht unter Denkmalschutz! Da praktisch kein Umgebungsschutz existiert, hat es lediglich den physischen Bestand unter Schutz stehender Objekte, in diesem Fall auch die archäologische Stätte, die Kandelaber und (seit seiner Unterschutzstellung) auch die Hollein'sche Bodengestaltung zu kontrollieren. Der Freiraum dazwischen, das Raumkunstwerk fällt in den Kompetenzbereich des Ortsbildschutzes, der wiederum Sache der Länder ist. Dem Bundesdenkmalamt fehlen also rechtliche Kompetenz und Expertise auf den Gebieten von Freiraumgestaltung und Urbanistik, wo es ja wesentlich auch um Funktion und Nutzung geht.

"Was fehlt, ist Bewegungsraum, der ganz einfach durch das Schließen des Grabens zu gewinnen wäre."

In den relativ kleinen, trichterförmigen Vorplatz der Hofburgfront münden nicht weniger als fünf Straßen. Trotz Reduktion des innerstädtischen Verkehrs sind sie noch immer stark frequentiert. Anders als der Neue Markt eignet sich der Michaelerplatz daher nicht als lauschige Wohlfühlzone zum entspannten Verweilen. Hier reiben sich die von Jahr zu Jahr dichter werdenden Touristenströme mit dem öffentlichen und dem Berufsverkehr sowie den zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern, die den Platz zu Fuß oder per Rad einfach nur möglichst rasch queren wollen. Die archäologische Zone wirkt als Barriere, die die Wege verstellt und an deren Schmalseiten es immer wieder zu gefährlichen Situationen kommt. Was fehlt, ist also Bewegungsraum, der ganz einfach durch das Schließen des Grabens zu gewinnen wäre.

Wie also weiter? Politik und Verwaltung können doch nicht so sklerotisch sein, den wachsenden zivilgesellschaftlichen Widerstand einfach aussitzen zu wollen. Der Denkmalschutz für den archäologischen Graben wäre aufzuheben, und unter den geänderten Voraussetzungen und unter Beiziehung von echten Fachleuten – bisher wurden in erster Linie Interessierte gehört – wäre ein reduziertes, geordnetes Gesamtkonzept zu entwickeln. Auf diese Weise ließen sich vielleicht ein paar der veranschlagten achteinhalb Millionen einsparen und an anderer Stelle wesentlich wirksamer für den Klimaschutz einsetzen. (Andreas Lehne, 26.5.2024)