Wer Peter Schulze in der Firmenzentrale von Gierlinger in Ottensheim in Oberösterreich antreffen will, braucht Glück. Produktionen in Osteuropa halten den Konzernchef auf Trab. Groß ausgebaut wird die Fleischverarbeitung in Rumänien.

Peter Schulze, Chef von Gierlinger, liefert Convenience: "Um gut zu sein, muss ein Schnitzel nicht vom Wirt persönlich paniert worden sein."
Hermann Wakolbinger

STANDARD: Legen Sie beim Wirt Wert auf ein frisch geklopftes und paniertes Schnitzel?

Schulze: Nein. Um gut zu sein, muss ein Schnitzel nicht vom Wirt persönlich paniert worden sein.

STANDARD: Gute Köche sind knapp und teuer. Ihre vollautomatische Panierstraße liefert jährlich acht Millionen Schnitzel und Cordons bleus – eingebröselt, rausgebacken, tiefgefroren. Ist das die Zukunft der Gastronomie?

Schulze: Spitzenköche, die alles selbst machen, wird es immer geben. Doch die Fachkräfte werden weniger. Vieles wird automatisiert. Convenience wächst in Europa immens. Wir nehmen Köchen Arbeit ab. Wie sie braten, welches Öl oder Fett sie verwenden, entscheiden sie selbst.

STANDARD: Knusprig und goldbraun soll ein Schnitzel sein, die Panier Blasen werfen. Sieht man ihm an, wenn es vorgebacken vom Band lief?

Schulze: Ich behaupte: nein. Wir verwenden die gleichen Zutaten wie Restaurants. Convenience wird oft verteufelt. Sie bringt jedoch gleichmäßige, standardisierte Qualität. Und sie ist mit hoher Effizienz verbunden, was den Rohstoffverbrauch senkt.

STANDARD: Sollten es Gastronomen kennzeichnen, wenn sie fixfertige Industrieware servieren, um sich nicht mit fremden Federn zu schmücken?

Schulze: Wo fängt man an, wo hört man auf? Was ist mit Gewürzmischungen, was mit Cocktails? Niemand macht Pommes selbst.

STANDARD: Zu Ihren größten Kunden zählt die Möbelkette XXXLutz.

Schulze: Es gibt eine lange Partnerschaft. Wir verarbeiten für Lutz in Andorf Fleisch aus Österreich.

STANDARD: Schmecken Sie es Fleisch an, wenn es unter höheren Tierwohlstandards produziert wurde?

Schulze: Bei Hühnern ja, bei Schweinen schwer. Dennoch ist Tierwohl wichtig. Daran ist nichts zu rütteln. Ich habe drei Kinder, meine Frau ist Vegetarierin, eine meiner Töchter, eine Biologin, ebenso. Wir führen harte Diskussionen in der Familie.

STANDARD: Sind Konsumenten bereit, im Restaurant oder am Würstelstand mehr für weniger Tierleid zu bezahlen?

Schulze: Leider nein.

Peter Schulze: "Bisher war die Zutatenliste für Veganes oft länger als Beipackzettel in der Apotheke."
Hermann Wakolbinger

STANDARD: Für Fleisch von Schweinen, die auf Stroh gehalten wurden, verlangen Wirte oft etliche Euro mehr. Tatsächlich würde die Preisdifferenz, aufs einzelne Schnitzel runtergerechnet, nur Bruchteile davon ausmachen. Das klingt nach einem guten Geschäft.

Schulze: Da bin ich bei Ihnen. Konsumenten fragen es allerdings kaum nach. Auf Speisekarten wird es wenig beworben. Dennoch glaube ich an einen Wandel, gerade unter Jungen. Falsch ist Schwarz-Weiß-Denken: Morgen alles auf bio und vegan umzustellen geht nicht. Wie man auch nicht alle Kohlekraftwerke auf einen Schlag abschalten kann.

STANDARD: Sollte es wirklich Konsumenten überlassen bleiben, über das Ausmaß von Tierleid beim Wirt und im Supermarkt abzustimmen?

Schulze: Es gehört vom Gesetzgeber unterstützt. Bauern dürfen dabei jedoch nicht auf der Strecke bleiben. Nur sie und die Produzenten zu beschimpfen, ist falsch. Den größeren Hebel hat der Konsument.

STANDARD: Die Regierung muss eine Entscheidung rund um Vollspaltenböden in der Schweinemast treffen. Was wäre notwendig, was ist machbar?

Schulze: Bauern brauchen Rechtssicherheit für Investitionen. Marge zu erzielen erfordert eine gewisse Größe. Dass viele Landwirte aufhören, ist nachvollziehbar. Der Fleischpreis ist in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, liegt aber immer noch auf einem niedrigen Niveau. Ich rede hier gegen mein eigenes Geschäft.

STANDARD: Derzeit teilen sich 20 Schweine 15 Quadratmeter Vollspaltenboden, zumeist ohne Einstreu und Beschäftigungsmöglichkeit, was immer wieder zu Kannibalismus führt. Wie lässt sich diese Art der Tierhaltung noch rechtfertigen?

Schulze: Wäre es möglich, dies europaweit abzuschaffen, dann würde ich es sofort tun. Realistisch ist es nicht. Wird Fleisch in Österreich um 30 Cent das Kilo teurer, ist man gegenüber anderen Ländern nicht mehr wettbewerbsfähig.

STANDARD: Gierlinger produziert in Ungarn und in Rumänien. Würde Ihr Konzern davon profitieren?

Schulze: Jein. Wenn wir die Produktionskapazität dafür hätten. Wobei es Österreich im Vergleich zu anderen Ländern hervorragend geschafft hat, mit Gütesiegeln eigene Qualitäten zu schaffen. Aber wo hört der Nationalstolz auf? Die Billigschienen wird es immer geben. Sie werden die Masse bleiben und damit leider auch der Treiber für niedriges Tierwohl.

STANDARD: Wie viel Ihres in Österreich verkauften Fleisches ist Bio?

Schulze: Wir könnten viel Bio anbieten, aber der Kunde bestellt derzeit wenig. Der Trend geht dennoch dahin. Unsere Produktionen sind darauf vorbereitet. Wir sind in der Lage, morgen alles in Bio zu liefern.

Schweinemast auf Vollspaltenböden auf engstem Raum ohne Einstreu, Auslauf und Beschäftigungsmöglichkeit. "Wäre es möglich, dies europaweit abzuschaffen, dann würde ich es sofort tun. Realistisch ist es nicht", sagt Peter Schulze.
Sina Schuldt / dpa / picturedesk

STANDARD: Die Regierung plant eine Kennzeichnung der Haltung und Herkunft für Fleisch im Handel. Sollte diese nicht auch für die Gastronomie gelten?

Schulze: Mittelfristig ja. Ich bin mir aber sicher, derzeit gibt es nicht genügend Hühner dafür in Österreich. Sehr oft scheitert es an den Genehmigungsprozessen. Es will auch keiner Bioställe in der Nachbarschaft. Bioschweine brauchen die doppelte Fläche. Will ich alles bio, braucht es also die doppelte Zahl an Ställen.

STANDARD: Was spricht im Dienste von mehr Transparenz am Teller für ein ehrliches "Herkunft unbekannt"?

Schulze: Kann man machen. Wobei man ja will, dass die Leute gerade das nicht kaufen. Ich bin ein großer Verfechter von Nachverfolgbarkeit. Sie ist aber mit Zeit, Investitionen, Ressourcen verbunden. Für die große Industrie ist das umsetzbar, kleine und mittlere Betriebe werden finanziell auf der Strecke bleiben.

STANDARD: Warum mästet Ihr Unternehmen in Serbien eigene Schweine?

Schulze: Es ist wichtig, die ganze Kette zu kontrollieren. Wir haben eigene Ställe in Serbien, schlachten und zerlegen dort aber nicht mehr. Der Betrieb dafür wurde stillgelegt.

STANDARD: Was unterscheidet Ihre Fleischwerke in Ungarn und Rumänien von Produktionen in Österreich?

Schulze: Wir kaufen für Rumänien global ein, aus Ungarn, der Ukraine, Polen, Deutschland – je nach Anforderung der Kunden. Wir bekommen in Rumänien qualitativ hochwertige Arbeitskräfte. Der Produktionsstandard ist genau auf demselben Level wie in Österreich und Deutschland. Auch die Anforderungen ans Tierwohl sind exakt dieselben. Auf unseren Farmen in Serbien haben Schweine mehr Auslauf, als Bio vorsieht.

STANDARD: Wie groß ist der Wettbewerbsvorteil dank niedrigerer Kosten?

Schulze: Es nähert sich Österreich an. Der große Vorteil liegt in der Umsetzbarkeit und den personellen Ressourcen.

STANDARD: Finden Sie in Osteuropa noch ausreichend Personal?

Schulze: Es wurde deutlich schwieriger, ist aber einfacher als in Österreich. Hier kämpfen wir richtig um Leute. Die Lebensmittelindustrie ist nicht "the most sexiest job alive". Sie steht nicht nur auf dem Tierwohlsektor, sondern auch auf dem Managementsektor vor einem riesigen Wandel.

STANDARD: Sie exportieren Convenience-Fleisch europaweit. Wie stark erleben Sie Kritik an Auswüchsen der Massentierhaltung in anderen Ländern?

Schulze: Tierwohl wird überall vorangetrieben, in Skandinavien noch extremer als in Österreich. Auf Aldi, Lidl, McDonald‘s und Burger King wird oft draufgehauen. Doch gerade sie pushen Tierwohl stark und haben hier viel bewegt. Die Masse, die sie kaufen, ist ein großer Hebel.

STANDARD: In Asien läuft Tierwohl unter "ferner liefen"?

Schulze: Es ist traurig, aber die Politik macht nichts dagegen. Ich hätte kein Problem damit, wenn Europa kein Rohmaterial mehr nach Asien liefert.

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Peter Schulze: "Es wird immer Leute geben, die echtes Fleisch essen. Man muss aufhören, schwarz-weiß zu denken."
Hermann Wakolbinger

STANDARD: Wird der Fleischbedarf global weiter wachsen?

Schulze: Er wird in Europa stagnieren. Der Proteinbedarf in Asien aber ist immens und wird weiter steigen. Südamerika liefert stark nach Asien, das auch selbst viel produziert.

STANDARD: Die Österreicher essen im Schnitt deutlich mehr Fleisch, als ihnen gesundheitlich guttut. Wird der Konsum nicht zuletzt auch im Interesse des Klimaschutzes sinken müssen?

Schulze: Nur mit weniger Fleisch allein retten wir nicht die Welt. Wir müssen vielmehr weg vom Überflussdenken. Lebensmittel gehören nicht weggeschmissen. Die Industrie hat zudem noch viele Möglichkeiten, Energie einzusparen. Wir investieren etwa in unserem Werk in Ungarn einen zweistelligen Millionenbetrag in Umweltprojekte.

STANDARD: Viele Fleischverarbeiter rüsten ihre Anlagen auf vegane Alternativen um. Auch Sie?

Schulze: Wir machen Convenience und kaufen das Rohmaterial zu. Es ist austauschbar. Bisher war die Zutatenliste für Veganes aber oft länger als Beipackzettel in der Apotheke. Konsumenten beißen in vegane Schnitzel, stellen fest, es schmeckt nicht nach Schnitzel. Die Industrie muss dafür neue Produktkategorien schaffen, die nicht mit Fleisch verglichen werden. Unsere neue Fabrik in Rumänien wird alles verarbeiten können. Dafür entwickeln wir auch vernünftige vegane Produkte.

STANDARD: Welches Potenzial sehen Sie für tierfreies Laborfleisch?

Schulze: Ich sehe riesiges Potenzial. Es wird die Welt verändern. An Zellfleisch ist nichts Böses dran. In der Medizin lässt man Haut seit langem nachwachsen. Fleisch lässt sich damit viel energie- und ressourcensparender herstellen. Teuer ist es bisher nur, weil es im Labormaßstab produziert wird. Die USA haben bereits Zulassungen dafür erteilt. Erste Restaurants sollen es schon verkaufen. Es gibt Leute, die bereit sind, viel dafür zu bezahlen. In Kanada baut ein großer deutscher Fleischverarbeiter Anlagen dafür. Er will bis Ende 2025 Hotdogs auf den Markt bringen, die teils aus Zellfleisch bestehen. Die Akzeptanz dafür ist zwar noch nicht in Deutschland da, aber in vielen anderen Ländern wie den Niederlanden.

STANDARD: Wann wird Zellfleisch Ihrer Einschätzung nach leistbar?

Schulze: Wir reden hier von keinen zehn Jahren mehr. Ich glaube, dass es Zellfleisch in Supermärkten in den nächsten fünf Jahren zu kaufen geben wird.

STANDARD: Werden Sie es verarbeiten, sobald es gesetzlich erlaubt ist?

Schulze: Sofort. Ich werde mir, sobald es grünes Licht dafür gibt, Anlagen in Kanada ansehen. Stimmen die Hauptgesellschafter zu, wovon ich ausgehe, werden wir hier investieren. Es wird hier ganz neue Spielwiesen geben, denn das Fleisch ist identisch. Es wird daraus eine neue Produktkategorie entstehen. Die Industrie steht vor einem Wandel.

STANDARD: Österreichs Landwirtschaft läuft Sturm dagegen. Verstehen Sie ihre Vorbehalte und Ängste?

Schulze: Es wird immer Leute geben, die echtes Fleisch essen. Man muss auch hier aufhören, schwarz-weiß zu denken. Laborfleisch hilft dem Tierwohl. Ich behaupte, und damit bin ich nicht allein, es wird preiswerter als normales Fleisch, was die Sache interessant macht. Der Preis für Steaks etwa ist aufgrund von Mischkalkulation künstlich erzeugt. Im Labor hergestellt, sind Produktionskosten für Filets mehr oder weniger egal. Abfälle bis hin zu Knochen fallen weg. Wir dürfen nicht nur auf Europa blicken. Die Welt gehört ernährt, die Umwelt geschont. Zellfleisch bedroht die Landwirtschaft nicht, es wird sie jedoch verändern. (INTERVIEW: Verena Kainrath, 27.5.2024)