Auf den Videoaufnahmen, die im Netz zu finden sind, sind Explosionen und Feuer zu sehen: Ein israelischer Luftangriff auf das Flüchtlingslager Tal al Sultan nördlich der Stadt Rafah im Gazastreifen soll dutzende Menschen getötet haben. Stunden davor hatten – zum ersten Mal seit Jänner – Hamas-Raketen Tel Aviv erreicht. Ein Überblick über die Dinge, die wir aktuell wissen und was wir nicht wissen:

Ein Mann kniet über einem Haufen verbrannter Gegenstände.
Palästinenser suchen in den Resten des Flüchtlingslagers nach Nahrungsmitteln.
REUTERS/Mohammed Salem

Was ist am Sonntag passiert?

Am Abend führten israelische Streitkräfte einen Luftangriff auf Rafah durch. Dabei wurde laut Berichten das Flüchtlingslager Tal al Sultan nördlich der Stadt getroffen, wo tausende Menschen Schutz vor Israels Militäroperation suchten. Mindestens 40 Menschen sollen getötet worden sein, berichten die Hamas-geführten Behörden vor Ort. Dutzende Menschen seien zudem verletzt worden, vor allem Frauen und Kinder. Das Lager liege in einer ausgewiesenen humanitären Schutzzone.

Es handelt sich um den tödlichsten Angriff Israels seit dem Beginn der Offensive in der Stadt, wie das Nachrichtenportal Axios berichtet. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen schreibt auf X (vormals Twitter), dass 15 Leichen in ein von ihr unterstütztes Krankenhaus in der Region gebracht wurden.

MSF-Tweet
Brennende Zelte
Auf Videoaufnahmen sind brennende Zelte des Flüchtlingslagers bei Rafah zu sehen.
REUTERS

Wie reagierten die israelischen Streitkräfte?

In einem Statement nach dem Luftangriff sprach die israelische Armee (IDF) von einem gezielten Schlag gegen eine Hamas-Einrichtung, von der aus Anführer der Terrororganisation operiert hätten. Israel sieht seinen Angriff im Einklang mit internationalem Recht. Berichte über zivile Opfer wolle man untersuchen. Am frühen Montagnachmittag meldete Regierungssprecher Avi Hyman, dass durch den Luftangriff ein Feuer ausgelöst worden sei, dass die Zivilisten getötet habe.

IDF-Tweet

Das Ziel des Angriffs seien zwei Hamas-Führer gewesen. Yassin Rabia, Einsatzleiter der Hamas im Westjordanland, und Khalid Nagaar, ein Hamas-Kommandeur im Westjordanland, seien dabei getötet worden. Sie sollen für Anschläge gegen israelische Ziele und den Tod von israelischen Soldaten verantwortlich gewesen sein und Geld für Terroraktivitäten in Gaza organisiert haben, heißt es von den IDF.

Video: Dutzende Tote bei israelischem Beschuss von Flüchtlingslager in Rafah.
AFP

Gibt es Augenzeugenberichte?

Ein Journalist der Nachrichtenagentur Reuters sprach mit einem Anwohner. Demnach sei die gesamte Nachbarschaft Tal al Sultan "niedergebrannt". Ein weiterer Zeuge saß auf der Treppe vor einem Wohnhaus, als er Explosionen hörte: "Plötzlich konnten wir Raketen hören, wir sind gelaufen, und die Straßen waren voller Rauch. Wir konnten nichts sehen." In einem Haus habe er Leichen entdeckt.

Wie reagiert die internationale Staatengemeinschaft?

Kurz vor dem EU-Außenministertreffen setzte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell ein Statement ab, wonach er auf die Umsetzung des Urteils des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom Freitag pochte. Darin wurde Israel aufgerufen, die Militäroperation in Gaza einzustellen. Borrell plädierte auch für eine Öffnung des Rafah-Grenzübergangs zu Ägypten für humanitäre Hilfe und verwies auf die geplante Wiederaufnahme der EU-Grenzmission Eubam. Die Mission war 2005 gestartet und 2007 nach der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen wieder ausgesetzt worden. Auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) plädierte am Montag für eine Öffnung des Grenzübergangs.

Die USA nahmen die Berichte über den Luftangriff und die zahlreichen Toten zur Kenntnis. Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses sagte in einem Statement, dass man "mehr Informationen sammle".

Spaniens Außenminister José Manuel Albares sagte am Montag, dass er seine 26 Kolleginnen und Kollegen in der EU bitten werde, eine offizielle Unterstützung des IGH-Urteils zu veröffentlichen. Er stand dabei neben den Außenministern Irlands und Norwegens. Die drei Länder hatten vergangene Woche gemeinsam eine Anerkennung eines palästinensischen Staates angekündigt.

Was geschah bei den Raketenangriffen der Hamas auf Tel Aviv?

Insgesamt acht Raketen feuerte die Hamas am Sonntag auf die israelische Küstenstadt Tel Aviv ab. Es war der erste Angriff auf die Metropole seit Jänner. Die Raketen konnten entweder durch das Luftabwehrsystem abgeschossen werden oder landeten in unbebautem Gebiet. Berichte über Opfer gab es nicht. Mit dem Angriff demonstrierte die Terrororganisation, dass sie weiterhin eine Gefahr für die israelische Bevölkerung darstellt. Vertreter der Hamas rechtfertigten die Attacke als Reaktion auf Israels "Massaker an Zivilisten".

Was bedeuten die Angriffe für Verhandlungen über einen Waffenstillstand?

Kommende Woche sollten die Verhandlungen über einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas weitergehen. Dabei soll es um eine Einstellung der Kampfhandlungen und eine Freilassung der mehr als 120 verbleibenden israelischen Geiseln in Hamas-Gewalt gehen. Nach einem wochenlangen Stillstand in der Frage soll es neue Vorschläge vonseiten der ägyptischen und katarischen Vermittler geben – und durch "aktives Engagement der USA".

Unklar ist, was die jüngsten Aggressionen dafür bedeuten. Aus Katar hieß es laut BBC am Montag, dass die Gespräche erschwert werden könnten. Das Kriegskabinett des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu will laut offiziellen Angaben die neuen Vorschläge diskutieren. Ein führendes Hamas-Mitglied hatte Berichte über die Gespräche aber bereits vor Sonntag als "unwahr" abgetan. (Bianca Blei, 27.5.2024)