Frankreichs Sozialisten dürften wenig erbaut sein über "camarade" Gusenbauer. Sein Vorstoß reißt eine Wunde auf, die beim Parti Socialiste (PS) noch nicht verheilt ist und unter dicken Bandagen weiter eitert. Der blutige Schnitt in die bisher sehr geeinigte Partei datiert aus der französischen Volksabstimmung über die EU-Verfassung von 2005.

Der linke Flügel um den ehemaligen Premierminister Laurent Fabius zerstörte damals auf einen Schlag das Bild einer seit den 80er-Jahren sehr proeuropäischen Partei, als er für das Nein zur EU-Verfassung eintrat - und zum Schrecken der Parteileitung sogar als Sieger vom Feld ging. Mit einem Mal kam all das hoch, was der geschickte PS-Sekretär François Hollande jahrelang unter dem Deckel gehalten hatte: die Angst der französischen Arbeiter und kleinen Angestellten vor dem Sozial- und Lohndumping der neuen EU-Mitglieder - oder, wie es Fabius kernig formulierte, "die Angst vor dem polnischen Installateur".

Die Europäische Union, die im PS seit den Zeiten François Mitterrands als eine große soziale Errungenschaft gefeiert wurde, verkörperte für eine Mehrheit der Franzosen - vor allem der linken - in erster Linie den "Ultraliberalismus" angelsächsischer Prägung.

Heute bleiben die französischen Sozialisten in der EU-Frage tief zerstritten. Im Februar, als das Parlament in Versailles den neuen Lissabon-Vertrag ratifizierte, tat Hollande alles, um ein Neuaufbrechen der Wunde zu vermeiden, und gab die Parole für eine Stimmenthaltung aus. Seine Abgeordneten hielten sich aber keineswegs daran und stimmten, wie sie wollten - die einen für den EU-Reformvertrag, die anderen dagegen.

Dass es nicht zu einem neuen Eklat in der Partei kam, war letztlich Fabius zu verdanken, der selbst der Abstimmung fern blieb. Offiziell forderte er zwar im Februar eine Volksabstimmung über den neuen Anlauf für ein EU-Verfassungsabkommen; und laut einer Umfrage unterstützten 59 Prozent der Franzosen dieses Begehren. Doch Fabius beharrte selbst nicht darauf: Er will beim nächsten Parteikongress im November PS-Generalsekretär werden und mäßigt deshalb seinen in der Partei minoritären Anti-EU-Diskurs. Sein Mitstreiter Philippe Martin erklärte unumwunden: "Niemand will das glühende Eisen weiter in die Wunde halten."

In der Sache bleiben die EU-Skeptiker in der sozialistischen Partei aber hart. Sie wissen, dass sie nach wie vor große Teil der französischen Bevölkerung hinter sich haben. (s. Seite 4) Schon nach dem irischen Nein hatte eine Umfrage ergeben, dass eine Mehrheit der Franzosen das Votum der Iren begrüßt.

Die schlechte Stimmung gegenüber der EU verleiht dem linken PS-Flügel Flügel. Der Europaabgeordnete Benoît Hamon erklärte vor einigen Tagen, seine Bewegung "Nouveau Parti Socialiste" wolle beim Parteitag in November die Mehrheit erringen. "Wir müssen die Konsequenzen aus dem Scheitern des Wirtschaftsliberalismus ziehen", meinte Hamon an die Adresse der EU-Komission. Die "europäische Sozialdemokratie" könne dem französischen Sozialismus nicht länger als Zukunftsleitbild dienen, fügte er an: "Sie gehört der Vergangenheit an."

Auch Laurent Fabius, dessen Linksruck über die Jahre viele verwirrte, die ihn noch als jüngsten Premier der Republik mit 37 Jahren und unternehmerfreundlicher Agenda bei seinem Amtsantritt 1984 in Erinnerung hatten, legt nun wieder nach: "Wir wollen ein anderes Europa als eine Freihandelszone ohne soziale Harmonie und ohne klaren Grenzen." (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 30.6.2008)