Wien – Dass der ORF nach wie vor Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt und an der langen Leine hält, stößt SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer sauer auf. "Es darf keine prekären Arbeitsverhältnisse mehr im ORF geben. Ich erwarte mir, dass sie abgeschafft werden", sagt Lederer im Gespräch mit dem STANDARD.

Lederer will sowohl die ORF-Personalabteilung in die Pflicht nehmen als auch Generaldirektor Roland Weißmann: "Ich erwarte mir bis Juni eine klare Lösung, es darf keinen einzigen Fall mehr geben." Es gelte, die Kluft zwischen den Mitarbeitern mit den sehr hohen Einkommen und den Prekären zu schließen.

Die Gehaltsunterschiede innerhalb der ORF-Belegschaft sind teilweise enorm hoch.
Die Gehaltsunterschiede innerhalb der ORF-Belegschaft sind teilweise enorm hoch.
Heribert Corn

Legale Kettenverträge

Wie erst kürzlich berichtet, arbeiten beim ORF nach wie vor Leute, die mit Kettenverträgen an das Unternehmen gebunden und prekär beschäftigt werden. Allein beim Radiosender Ö1 sollen es rund 40 Personen sein, die mit sogenannten 137-Stunden-Verträgen beschäftigt sind. Die monatliche Höchstgrenze von 137 Stunden darf hier nicht überschritten werden. Das Honorar bemisst sich allerdings nicht an den investierten Stunden, sondern an den Sendungen oder Sendungsminuten, die pro Monat produziert werden. Das führt nicht selten dazu, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viel mehr arbeiten, als sie ausbezahlt bekommen. Unbezahlte Mehrstunden sind keine Seltenheit. Der ORF darf mit solchen Kettenverträgen agieren, weil er einen arbeitsrechtlichen Sonderstatus hat.

Brief an die ORF-Führung

Solche Verträge führen immer wieder zu Problemen mit der Sozialversicherung. "Ich höre auch immer wieder von Leuten, die nicht wissen, ob ihre E-Card funktioniert oder nicht", sagt Lederer. Das Dilemma mit dem ORF-Prekariat ist alles andere als neu. Proteste gibt es immer wieder – und zwar seit vielen Jahren. Vor der Wahl zum ORF-Generaldirektor im August 2021 machten rund 40 junge ORF-Journalistinnen und -Journalisten in einem Brief an die ORF-Führung auf ihre "prekären Vertragsverhältnisse" aufmerksam – DER STANDARD berichtete. Weißmann, der dann bei der Wahl Alexander Wrabetz besiegte, versprach damals eine Lösung: "Mein Prinzip ist: Wer für den ORF arbeitet, muss auch davon leben können", sagte Weißmann zu Dossier.

ORF soll sich erklären

Lederer will Weißmann an sein Versprechen erinnern. "Das ist eine der zentralen Fragen im nächsten Finanzausschuss des Stiftungsrats." Das Gremium tagt das nächste Mal im Juni. Lederer hätte gerne zu dieser Causa und anderen Themen einen Sonderausschuss installiert, das wurde aber mit der schwarz-grünen Mehrheit im Stiftungsrat abgeschmettert, bedauert er. Was Lederer auch bedauert, ist eine "Wagenburgmentalität", die im ORF herrsche. Er ortet einen "Schweige-ORF", der von der Spitze abwärts sowohl nach außen als auch nach innen viel mehr kommunizieren müsste. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien etwa in puncto Gehaltssystem verunsichert. Das gehe von Fragen der korrekten Bezahlung über die Anwendung der unterschiedlichen Kollektivverträge bis zur Befürchtung, ob es Abschläge geben könnte.

Um noch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung für die Haushaltsabgabe zu generieren, sollte der ORF in die Offensive gehen und erklären, was er alles leiste. Ob das jetzt die Kultur- oder Sportberichterstattung sei oder das Programm, das aus den ORF-Landesstudios komme. "Wenn man nicht erklären kann, was man macht, kommt man in einen verdammten Strudel hinein", sagt Lederer. "Runter vom hohen Ross" müsse die Devise sein.

Solidarfonds, gespeist aus Nebenjobs

Den überarbeiteten ORF-Ethikkodex hält Lederer für gut und richtig. "Ich sehe ihn positiv, er muss nur mit Leben erfüllt werden." Ein wichtiger Punkt sind die Nebenbeschäftigungen, die schon seit längerer Zeit für Diskussionen sorgen. "Jeder Nebenjob soll auf Herz und Nieren geprüft werden", sagt er. Von den teils beträchtlichen Nebeneinkommen sollten aber nicht nur diejenigen profitieren, die sie praktizieren, sondern auch andere, schlägt er vor. Etwa in Form eines "Fair Share". Ein Drittel dieser Einnahmen könnte an einen Fonds gehen, aus dem sich jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedienen sollten, die nicht im Rampenlicht stehen oder die prekär beschäftigt sind. Ein "Solidarbeitrag", so Lederer. (Oliver Mark, 30.4.2024)