Sheila de Liz vor Wand mit Weiblichkeits-Graffitit
Gynäkologin Sheila de Liz kritisiert, dass Regelschmerzen von Ärzten und Gesellschaft immer noch viel zu oft als harmlos abgetan werden.
Gaby Gerster

Eine von zehn Frauen hat Endometriose. Das sind in Österreich – mit hoher Dunkelziffer – zwischen 120.000 und 300.000 Frauen. Und trotzdem ist das Krankheitsbild immer noch viel zu wenig bekannt. Furchtbare Regelschmerzen, extreme Blutungen, Darmprobleme, Erschöpfung sind die häufigsten Symptome, die Krankheit kann sich auf fast alle Organe ausbreiten. Viele betroffene Frauen haben auch Probleme, schwanger zu werden. Bei US-Schauspielerin und -Autorin Lena Dunham waren die Symptome so schlimm, dass sie sich 2018 sogar die Gebärmutter hat entfernen lassen – mit 31 Jahren. Trotz all dieser Anzeichen dauert es bis zur Diagnose im Schnitt acht Jahre.

Das will Sheila de Liz ändern. Die Gynäkologin, passionierte Frauenaufklärerin und Autorin des Bestsellers "Woman on Fire" über die weiblichen Wechseljahre hilft mit ihrem neuen Buch "Endometriose. Alles, was du wirklich wissen musst" Patientinnen, sich in dieser komplexen Welt zurechtzufinden und die Symptome zu verstehen. Im STANDARD-Interview spricht sie darüber, dass von Frauen einfach erwartet wird, Schmerzen auszuhalten, und darüber, warum es so lange dauert, bis sich der gesellschaftliche Umgang mit Frauenerkrankungen ändert.

STANDARD: Endometriose, das ist für viele immer noch kein gängiger Begriff. Was ist das genau?

De Liz: Endometriose ist eine Erkrankung, die zumindest eine von zehn Frauen betrifft. Sie entsteht, vereinfacht gesagt, wenn sich Gebärmutterschleimhaut außerhalb des Uterus befindet, meistens im freien Bauchraum, und dort ihr Unwesen treibt. Sie verhält sich dann genauso wie in der Gebärmutter, das heißt, sie blutet während der Periode. Ein gesundes Immunsystem kann damit normalerweise fertigwerden, aber es scheint so, dass das Immunsystem diese Herde bei manchen Frauen aufgrund eines Immundefekts nicht wegräumt. Dann wuchert die Schleimhaut weiter und verursacht Entzündungen. Die können zu Verwachsungen und Vernarbungen im Bauchraum führen.

STANDARD: Aber wie gelangt die Schleimhaut aus der Gebärmutter in den Bauchraum?

De Liz: Man geht davon aus, dass das durch retrograde Menstruation passiert. Während der Regel wird die Gebärmutterschleimhaut durch Kontraktionen über die Vagina abgestoßen. Es kann aber sein, dass ein kleiner Anteil auch über die Eileiter austritt und sich dann im Bauchraum festsetzt. Man kann sich das ähnlich wie bei einem mit Wasser gefüllten Ballon vorstellen, den man zusammendrückt. Der Großteil des Wassers wird über die große Öffnung hinausgehen. Aber wenn in dem Ballon vielleicht noch ein paar kleine Löcher sind, wird auch dort Wasser austreten. Das passiert ganz oft, man geht davon aus, dass 90 Prozent der Frauen manchmal oder auch bei jeder Periode so eine Fehlbesiedlung haben. Nur kann das Immunsystem das meist lösen.

STANDARD: Sind die Eileiter nicht fest mit den Eierstöcken verbunden? Oder wie kann da was rausgehen?

De Liz: Tatsächlich sind sie das nicht. Die Eileiter enden in einer Art Trichter mit Fransen, die nennt man Fimbrientrichter. Die sind mit den Ovarien nicht verbunden. Wenn das Ei springt, fangen es die Fimbrientrichter auf und leiten es weiter, das finde ich wirklich faszinierend. Aber das bedeutet natürlich auch, dass eine Öffnung da ist, über die die Gebärmutterschleimhaut eben in den Bauchraum gelangen kann. Es gibt aber auch die Variante, dass die Schleimhaut in den Gebärmuttermuskel hineinwandert und sich dort festsetzt.

STANDARD: Woran erkennt man, dass man Endometriose hat?

De Liz: Das häufigste Symptom sind schlimme Regelschmerzen. Die sind teilweise so stark, dass betroffene Frauen nicht mehr gerade stehen können, geschweige denn am normalen Leben teilnehmen. Sie kann auch den Darm beeinflussen, deshalb haben viele Probleme mit der Verdauung, also Verstopfungen, Blähungen, Durchfall oder Übelkeit. Auch ein Reizdarmsyndrom kann durch Endometriose ausgelöst werden, weil der Darm durch die ständigen Entzündungsherde im Bauchraum sehr sensibel ist. Oder sie ist für Probleme mit der Blase verantwortlich. Und massive Erschöpfung ist ein großes Thema, darunter leiden rund 30 Prozent der Betroffenen. Die Symptome sind sehr vielfältig und individuell.

STANDARD: Zumindest eine von zehn Frauen ist betroffen, die Dunkelziffer ist noch viel höher. Das sind ziemlich viele, trotzdem dauert es im Schnitt acht Jahre bis zur Diagnose. Wie kann das sein?

De Liz: Das liegt daran, dass das Krankheitsbild immer noch recht unbekannt ist. Viele Frauen denken, es gehört zur Regel dazu, dass man Horrorschmerzen hat, schließlich hatten die Mutter und die Großmutter das auch schon. Die Schmerzen sind auch nicht immer gleich stark, manchmal sind sie mit einer Tablette gut auszuhalten. Dann denkt man nicht an ein Krankheitsbild. Als Frau weiß man einfach nicht, worauf man konkret achten soll. Viele werden erst hellhörig, wenn sie versuchen, schwanger zu werden und es nicht klappt.

STANDARD: Aber Ärztinnen und Ärzte müssten doch sofort daran denken bei so vielen Betroffenen ...

De Liz: Ja und nein. Tatsache ist, dass viele unter Zeitdruck stehen in der Sprechstunde, man kann im Prinzip immer nur auf das reagieren, was man erfährt. Sagt die Patientin, sie hat Regelschmerzen, aber sooo schlimm ist es nicht, es geht schon mit Schmerzmitteln, dann wird es nicht als größeres Problem wahrgenommen. Die Endometriose sieht man auch nicht so leicht. Eine sehr ausgeprägte Form kann man womöglich im Ultraschall sehen, es muss aber nicht sein. Bessere Bilder liefert ein MRT. Aber wenn man es wirklich schwarz auf weiß wissen will, muss man hineinschauen, da führt bis jetzt an der Bauchspiegelung kein Weg vorbei.

Es gibt einen Bluttest, der vielversprechend ist, aber noch nicht ausgereift. Der weist ein Protein nach, das im Blut ist, wenn man Endometriose hat. Aber es ist im Moment noch völlig unklar, ob dieses Protein auch da ist, wenn man zum Beispiel die Pille nimmt. Oder ob man es als Marker nehmen kann, wenn die Endometriose schon einmal operiert wurde. Darum bin ich noch recht zurückhaltend, den Test anzupreisen, seine Aussagekraft ist einfach noch zu gering. Außerdem muss man ihn selbst bezahlen, und er kostet doch einiges, rund 800 Euro.

Das neue Buch von Sheila de Liz "Endometriose. Alles, was du wirklich wissen musst", ist im Rowohlt-Verlag erschienen, es kostet 12,95 Euro.
Rowohlt

STANDARD: Und warum kennen so viele Frauen dieses Krankheitsbild nicht oder nehmen es selbst nicht wirklich ernst?

De Liz: Von Frauen wird erwartet, Schmerz auszuhalten. Das bringt uns unser Umfeld schon ganz früh bei. Zum Beispiel wenn die eigene Mutter versucht, irgendwie mit ihren Schmerzen zu leben. Wenn die Sportlehrerin mit den Augen rollt, wenn man sagt, man kann wegen der Schmerzen beim Turnen nicht mitmachen. Oder ein Lehrer meint "Na eh klar, hat schon wieder die Periode". Da bekommt man schon als Mädchen immer wieder vermittelt, andere halten den Schmerz auch aus, der gehört halt dazu. "Warum hältst du das nicht aus?" Wir haben gelernt zu akzeptieren, dass Schmerzen in der Periode normal sind.

Aber es ist nicht normal, wenn man so starke Schmerzen hat, dass man den Alltag nicht mehr bewältigen kann. Wir haben gar keine Sprache für diese Art von Schmerzen, die gegen Medikamente resistent sind und die betroffene Frauen jeden Monat Stunden oder auch Tage ihres Lebens kosten. Es ist ja nicht mit der Periode getan, auch das ist Teil des Problems. Viele Frauen haben eben auch in den Wochen, in denen sie nicht bluten, Magen-, Darm- und Bauchprobleme und sind durch all diese Probleme echt dauerkaputt.

STANDARD: Das greift in alle Lebensbereiche über ...

De Liz: Genau. Wenn man als junger Mensch vor lauter Erschöpfung keine Lust und Energie mehr hat, auf Partys und Festivals zu gehen oder überhaupt Leute zu treffen, dann ist das nicht gut. Wir sind aber gesellschaftlich darauf trainiert, dass wir als Frauen die Arschkarte gezogen haben. Wir bluten und haben Schmerzen: Arschkarte. Wir verdienen weniger, wir werden schwanger und müssen in der Arbeit zurückstecken: Arschkarte. Mit den Wechseljahren geht das dann direkt weiter. Und ständig wird uns gesagt, das sei doch normal. Aber was ist, wenn das nicht normal ist? Was passiert, wenn wir das nicht akzeptieren?

STANDARD: Nämlich? Was passiert, wenn Frauen erkennen, dass ihre Schmerzen nicht normal sind?

De Liz: Wichtig ist als Erstes, eine Diagnose zu bekommen. Das Schwierigste für die Frau ist ja, wenn sie das Gefühl hat, sie wird von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin nicht ernst genommen. Wenn man einen Verdacht in die Richtung hat, sollte man in ein spezielles Endometriose-Zentrum gehen, die gibt es in allen größeren Städten und an Unikliniken. Hat man dann Klarheit, gibt es mehrere Möglichkeiten, was man tun kann. Das hängt unter anderem davon ab, wie alt man ist und ob ein Kinderwunsch da ist.

Sitzt da etwa eine junge Frau, die sagt, Kinderwunsch ist derzeit noch kein Thema, wird man wahrscheinlich mit einer Pille ganz gut fahren. Es gibt spezielle Endometriose-Pillen, dann kann man Herde sozusagen austrocknen. Eine andere Möglichkeit ist, komplett in den Hormonzyklus einzugreifen und die Frau für einige Monate in eine Art künstlichen Wechsel zu versetzen, damit der Körper einmal die Chance hat, das alles zu bewältigen. Oder man entfernt die Herde operativ und verschreibt eventuell noch eine Pille. Gibt es dagegen einen akuten Kinderwunsch, muss man wieder anders vorgehen und womöglich gemeinsam mit einem Kinderwunschzentrum einen Plan entwickeln.

STANDARD: Warum kann Endometriose bei einem Kinderwunsch zum Problem werden?

De Liz: Wenn die Gebärmutterschleimhaut auswandert, können zum Beispiel kleine Fetzchen im Eileiter hängenbleiben. Oder sie verkleben den Auffangarm und lösen dort eine Entzündung aus. Ein verklebter oder entzündeter Eileiter ist aber nicht mehr brauchbar, weil der Weg des Eis blockiert ist. Oder er bewegt sich nicht mehr ausreichend. Das tut er nämlich wie so eine Art Schlange, damit das befruchtete Ei weitertransportiert wird. Kommt es nicht durch, kann es womöglich zu einer Eileiterschwangerschaft kommen. Es kann aber auch passieren, dass die Eileiter ganz durchlässig sind, das befruchtete Ei sich aber nicht in der Gebärmutter einnistet und es immer wieder zu Fehlgeburten kommt.

STANDARD: Warum wird da nicht mehr geforscht? Liegt es daran, dass es "nur" die Frau betrifft?

De Liz: Das stimmt ja nicht, aber ich habe manchmal den Eindruck, alles, was mit der Gebärmutter zu tun hat, wird immer noch nicht besonders ernst genommen. Tatsächlich betrifft das Thema die ganze Gesellschaft. Zehn bis 20 Prozent der Frauen haben Endometriose, das verursacht eine Menge Kosten und Kollateralschäden. Dass die Frauen trotzdem nicht ernst genommen werden, ist total verrückt und auch nicht nachvollziehbar, wenn man den Blick auf andere Krankheitsbilder richtet. Ähnlich viele Frauen sind zum Beispiel von Diabetes betroffen, und hier gibt es jede Menge Forschung und Medikamente. Ich denke, es liegt auch daran, dass man mit Endometriose nicht so viel Geld verdienen kann. Forschung ist teuer, die will bezahlt werden. Aber ich finde das nicht in Ordnung, ich finde, hier muss man endlich genauer hinschauen.

STANDARD: Frauengesundheit ist immer noch ein Tabuthema. Frauen untereinander sprechen inzwischen offener, aber der gesellschaftliche Dialog scheint noch nicht sehr weit gediehen.

De Liz: Die tägliche Praxis zeigt, wie viel hier noch passieren muss. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Arztkollege aus einem anderen Fachbereich hat mir vor kurzem erzählt, er habe auf einem Schmerzsymposium einen Vortrag über Endometriose gehört. Und da hätten sie sich alle irgendwie ins Fäustchen gelacht, weil ehrlich, so ein bisschen Regelschmerzen, das müsse man doch aushalten. Da habe ich ihn angeschaut und gesagt, Herr Kollege, diese Schmerzen können so brutal sein, als hätten sie jeden Monat drei Tage lang massive Koliken, man kann davon in Ohnmacht fallen. Es gibt Fälle, in denen Frauen ein Teil des Darms entfernt werden muss, die brauchen übergangsweise einen künstlichen Darmausgang. Das ist nicht zum Lachen.

Ich finde es wirklich erstaunlich, dass man ein Thema einfach so kleinreden kann, weil es einen nicht betrifft. Ich würde doch nie im Leben auf die Idee kommen, wenn ein Mann, sagen wir mal, jeden Monat extremste Hodenkrämpfe hat, deshalb womöglich sogar ins Krankenhaus muss, das zu verharmlosen. Aber Frauen, vor allem auch viele junge Frauen, belächelt man. Das muss sich ändern. (Pia Kruckenhauser, 20.3.2024)