Wird die SPÖ-Chefin nach der Wahl im September jubeln?

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Die SPÖ hätte den Misstrauensantrag besser begründen müssen, aktuell schlechte Umfragewerte seien selbstverschuldet. Was aus dem roten Tief herausführt, erläutert SJ-Vorsitzende Julia Herr im Gastkommentar. Eine andere Position in der SPÖ-Debatte vertritt Kulturwissenschafter Christoph Landerer

Wer drei Monate vor der Nationalratswahl Interviews ehemaliger und aktueller SPÖ-Parteigranden liest, könnte Zweifel bekommen, dass sie die Wahl gewinnen wollen. Die einen rufen von der Seitenlinie zu, die Wahl sei schon verloren. Die anderen meinen, nur unter Sebastian Kurz gäbe es eine Chance auf eine Regierungsbeteiligung. Da kann man als SPÖ-Mitglied nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen!

Was eigentlich gesagt gehört: ÖVP und FPÖ sind 2017 ans Werk gegangen, um ihr wesentliches politisches Ziel umzusetzen: fette Rendite für ihre mächtigen Großspender zu liefern. Mit Diskussionen rund ums Thema Asyl versuchten sie immer wieder vom eigentlichen Plan abzulenken. Das wirklich Neue an der Regierung Kurz war die Schamlosigkeit, mit der Lobbyinteressen bedient worden sind. Deshalb ist die SPÖ auch weder in einer Koalition mit Türkis noch mit Blau denkbar: Der geplante Umbau unseres Staates zum Selbstbedienungsladen für Millionäre ist mit der SPÖ nicht zu machen.

Käufliche Politik

Ibiza markiert ein politisches Erdbeben. Nicht wegen des fragwürdigen weißen Pulvers am Glastisch oder wegen der medial in Szene gesetzten Leiden des jungen Sebastian Kurz. Sondern weil hier offen ausgesprochen wurde, wie Türkis-Blau dann tatsächlich regiert hat. Weil endlich verständlich ist, warum man plötzlich, in einer isolierten Einzelmaßnahme, die Umsatzsteuer für Hoteliers um 140 Millionen Euro gesenkt hat, nachdem wenige Monate zuvor Hoteliers Geld an Kurz spendeten.

Straches Ibiza-Video wirft zwangsläufig die Frage auf, ob die Kurz-ÖVP mit der Stückelung von Millionenspenden und der Nutzung seltsamer Vereine nicht genau jenes System der illegalen Parteienfinanzierung betreibt, das Strache im Video mit Händen und Füßen erklärt. Und es richtet die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit darauf, welchen Zusammenhang es zwischen Millionenspenden von Großindustriellen und der schnellen Einführung des Zwölfstundentags gibt.

Natürlich, die SPÖ hätte schneller, härter, pointierter auf Ibiza reagieren können. Sie hätte den Misstrauensantrag besser begründen, offensiver auftreten müssen. Und sie trägt selbst Schuld an den aktuell schlechten Umfragewerten. Aber wir dürfen nicht blind sein für die Chance, die sich jetzt ergibt: den Einfluss von Millionären auf unsere Wahlen zu bremsen! Denn nie war käufliche Politik so sichtbar wie heute.

Millionärsroute schließen

Die Wahl am 29. September ist keine Wahl wie jede andere. Sie muss eine Abstimmung zwischen gekaufter Politik und einer Politik für die vielen sein. Eine Abstimmung darüber, ob die Gier und der Machthunger einzelner Karrierepolitiker das Land regieren soll, oder ob wir gemeinsam die Kontrolle über unser Leben zurückerlangen.

Ist eine Neuauflage von Türkis-Blau nicht ohnehin fix? Stehen nicht die Neos, womöglich auch Teile der Grünen, bereit, um Kurz eine alternative Mehrheit zu verschaffen? Ehrlich? Keine Ahnung! Was ich aber weiß ist, dass niemand vor zwei Jahren zu hoffen gewagt hätte, dass Türkis-Blau so rasch und so offen ihren Regierungszweck enttarnen: Millionärs-Route statt Balkan-Route.

Rote To-do-Liste

Die SPÖ hat im Nationalrat damit begonnen, die wesentlichen inhaltlichen Auseinandersetzungen dieses Wahlkampfs abzustecken: Die volle Anrechnung der Karenzzeiten bringt für hunderttausende Frauen im Land bares Geld und einen Riesenschritt in Richtung Lohngleichheit. Der Papamonat ist ein wichtiges Symbol für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auch für junge Väter. Das Glyphosat-Verbot ist ein lang überfälliges Lebenszeichen einer Politik, die den Umwelt- und Klimaschutz wieder über die Interessen der Agrar- und Industrielobby stellt. Diesen Anträgen müssen und werden weitere folgen.

Die SPÖ muss in den nächsten drei Monaten klarmachen, worin die eigentliche Wahl besteht: die Wahl zwischen einer Arbeitswelt, wo Beschäftigte das Recht auf eine selbstbestimmte Viertagewoche bekommen, oder einer Arbeitswelt, wo für weniger Geld mehr gearbeitet werden muss. Die Wahl zwischen Klimaschutz oder Klimakatastrophe. Die Wahl zwischen einem unternehmerischen Staat, der eingreift, um unser Klima zu retten und grüne Jobs der Zukunft zu schaffen oder die blinde Anbiederung an den Markt, à la "der Kapitalismus wird das schon regeln".

Diese Auseinandersetzung müssen wir mit aller Klarheit und Härte führen. Der Weg zu einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung führt nicht über eine Unterwerfung unter den abgewählten Sebastian Kurz. Sondern über die Abwahl des von ihm vertretenen Systems einer käuflichen Politik. Dafür, und nur dafür lohnt es sich die nächsten drei Monate zu streiten. (Julia Herr, 25.6.2019)