Von 11. bis 14. Juni wird Wien zur Velo-City 2013. Fahrradexperten aus aller Welt widmen sich im Rathaus der Zukunft des städtischen Radelns.

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Im aktuellen Streitthema grüne Radstreifen (derStandard.at berichtete) manifestieren sich die Konflikte rund um die Bestrebungen der Stadt und das verkehrspolitische Vetorecht der Bezirke.

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Es gibt noch viel zu tun: Die Verbindung von "Zweierlinie" und Gürtel über die Pfeilgasse wurde trotz starker Frequentierung nicht ausgebaut, der "Fahrradhighway" im Wiental nie fertiggestellt, dafür einer in der wenig befahrenen Kuchelauer Hafenstraße errichtet. Mehrere Konzepte wurden für das letzte Stück Getreidemarkt entwickelt und wieder verworfen (Bild).

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Neues auszuprobieren und letztendlich auf die Intelligenz der Menschen zu vertrauen sieht Wolfgang Gerlich von "Plansinn" als ein Rezept für funktionierende Mobilität. So könnte künftig die vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien entwickelte "Wiener Diagonale" für eine Bevorzugung des Fahrradverkehrs sorgen (derStandard.at berichtete)

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Kommende Woche wird Wien zur Fahrradmetropole. Von 11. bis 14. Juni treffen sich Experten aus aller Welt im Wiener Rathaus zur größten internationalen Konferenz rund um das urbane Radfahren: der Velo-City. In Vorträgen, Plenarsitzungen, Workshops und runden Tischen werden sie dabei nach Möglichkeiten für eine Verbesserung und Ausweitung des städtischen Radverkehrs suchen.

Ende 2012 betrug der Radverkehrsanteil in Wien 6,3 Prozent. Damit hinkt die Bundeshauptstadt Städten wie Salzburg mit gut 15 Prozent und Kopenhagen mit ganzen 50 Prozent weit hinterher. Das soll sich in nächster Zeit ändern. Bereits Ende 2013 will Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou eine Steigerung auf acht Prozent erreichen, zehn Prozent sollen es bis 2015 sein.

Die Strategien dafür laufen auf zwei Schienen: Zum einen gilt es, die Fahrrad-Infrastruktur zu verbessern, zum anderen, mit Imagekampagnen die Bewusstseinsbildung zu fördern und damit eine angenehme Atmosphäre für das Radfahren zu schaffen.

Heiße Themen: Infrastruktur ...

Konfliktträchtige Passagen sollen entschärft und das Radwegnetz noch heuer von 1.222 auf 1.240 Kilometer ausgebaut werden. Doch nur für fünf Kilometer kommen die Mittel aus dem Zentralbudget. Für die restlichen 13 Kilometer müssen die einzelnen Bezirke selbst Geld in die Hand nehmen. Ein Umstand, der bei manchen Bezirksvorständen auf massive wie dauerhafte Ablehnung stößt.

Obgleich in den letzten Jahren viele finanzielle Mittel und viel Energie ins Radfahren investiert wurden, lässt diese Gewaltenteilung der Verkehrsplanung in Stadt und Bezirke auch in Zeiten von Velo-City und Fahrradjahr keinen Lückenschluss des Radwegenetzes und keinen einheitlichen Status der Radanlagen zu. Etliche Radwege enden abrupt an Bezirksgrenzen oder verwandeln sich in jahrelang nicht sanierte Holperpisten.

... und Konflikte

Ebenfalls ein Langzeitthema ist das aufgeheizte Klima zwischen Autolenkern, Radfahren und Fußgängern, das in politische und mediale Kampagnen gegen "Radrowdys" und Forderungen nach Fahrradnummerntafeln mündet. Die Frage stellt sich, ob Wiens Positionierung als Fahrradmetropole in diesen Bereichen Verbesserungen bewirken kann und, falls ja, ob diese von Nachhaltigkeit sind.

"Das Radjahr 2013, die Fahrradwoche und die Velo-City schaffen bei der Bevölkerung große Aufmerksamkeit. In Summe könnte also ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden und Differenzen zwischen den Handlungsträgern verringert werden", meint Verkehrsplanerin Andrea Weninger vom Planungs- und Beratungsbüro Rosinak & Partner zum verkehrspolitischen Vetorecht der Bezirke, betrachtet das aber als einen längeren Prozess, der nicht im laufenden Jahr abgeschlossen sein kann.

"Nicht mit der Brechstange"

Ähnlich sieht das Wolfgang Gerlich, Geschäftsführer des Büros für Planungs- und Kommunikationsaufgaben Plansinn: "Es tut einer Stadt nicht gut, wenn keine durchgehende Qualität im Radwegenetz vorhanden ist." Er sieht einen Ansatz darin, die Bezirke, die sich derzeit gegen das Radfahren stellen, langfristig mit starken Argumenten von dessen Vorteilen zu überzeugen – "aber nicht mit der Brechstange, sondern in einem wertschätzenden Klima und ohne akuten Entscheidungsdruck".

Ein Blick nach München, die Velo-City-Stadt 2007, zeige, dass alleine die Ausrichtung der Konferenz innerhalb der Verwaltungseinheiten zum Umdenken angeregt hat, sagt Andrea Weninger. Vor der Konferenz sei der Radverkehrsanteil in München bei etwa elf Prozent gelegen, sechs Jahre später bei rund 17 Prozent. "Die Konferenz alleine kann das nicht bewirken", meint Wolfgang Gerlich, "sie muss aber einen Nutzen für die Stadt haben, in der sie stattfindet. Durch sie kommen Dinge in Gang, etwa mehr Investitionen in die Radinfrastruktur und in Bewusstseinsbildung."

Wien soll nicht Kopenhagen werden

Dabei kann und soll laut Weninger Wien weder München noch Kopenhagen werden: "Wien muss seine eigene Fahrradkultur entwickeln", meint die Verkehrsplanerin und Programmchefin der Velo-City 2013. Dazu zählen ein neuer Umgang in der Infrastrukturplanung sowie ein komfortables Hauptradroutennetz, was Hand in Hand mit einer langsamen Reduktion der Pkw-Abstellflächen im öffentlichen Raum und bei Neubauten geht.

"Es ist bekannt, dass der Motorisierungsgrad trotz wachsender Einwohnerzahlen weiterhin sinken wird und in 15 bis 20 Jahren ein deutlicher Stellplatzüberhang vorhanden sein wird", sagt Weninger.

Ebenso sieht sie Bedarf an einem flächendeckend verkehrsberuhigten Nebenstraßennetz sowie mehr Radabstellanlagen, insbesondere in Altbaugebieten und im öffentlichen Raum. Angesichts wachsender Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr könne der Rad- und Fußverkehr zu Kapazitätsentlastungen beitragen. Deshalb werde in Zukunft der Umweltverbund – bestehend aus öffentlichem Verkehr, Radverkehr und Fußgängern – auf vermehrte Kooperation und Synergien angewiesen sein.

Rezept Empathie

Derzeit scheint öffentlicher Raum oft Mangelware zu sein. "Der Mensch ist ein territoriales Wesen, und wenn das Territorium knapp wird, dann wird es emotional", sagt Gerlich. "Das Absurde ist, dass die meisten Menschen sowohl Fußgänger als auch Autofahrer und Radfahrer sind. Je nachdem, in welcher Rolle man ist, geht man sich selbst unglaublich auf die Nerven", konstatiert der Landschaftsplaner und sieht exakt an dieser Stelle einen Lösungsansatz: den empathischen Zugang für ein besseres Miteinander.

Man könne sich das Leben leichter machen, wenn man gedanklich kurz in die Fußstapfen des anderen trete. Sich etwa im Zuge des Führerscheinkurses ein paar Stunden aufs Rad zu setzen und Situationen aus der Sicht des Radfahrers zu erleben oder umgekehrt. So früh wie möglich solle damit begonnen werden: "Wenn Kinder die Situation des Radfahrens früh erleben können, dann sind sie erfahren darin, wie sich das Radfahren in der Stadt anfühlt", so Gerlich.

Irritation Radfahrer

Bereits eine Steigerung des Radverkehrsanteils auf acht Prozent kann Wesentliches bewirken: Ab diesem wissenschaftlich belegten Schwellenwert im Modal Split (der Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel) rechnen die anderen Verkehrsteilnehmer mit Radfahrern. Das Überraschungselement, das Gefühl eines Hindernisses und einer Irritation in einem sonst üblichen Zustand fallen weg.

Dennoch sind Konflikte unter den Verkehrsteilnehmern programmiert. Sie beruhen auf den unterschiedlichen Kulturen und Haltungen, wie man sich bewegt, wie empathisch man ist. "Es wird immer Reibungen geben", sagt Gerlich, "nicht nur zwischen Autofahrern und Radfahren, sondern auch zwischen Autofahrern und Autofahrern, zwischen Fußgängern mit und ohne Hund, mit und ohne Kind, zwischen schnellen und langsamen Radfahrenden, zwischen Alt und Jung."

Trial and Error

Ausprobieren, zulassen und letztendlich auf die Intelligenz der Menschen vertrauen ist ein mögliches Rezept für funktionierende Mobilität. Dazu gehören laut Gerlich auch Versuche und Fehlschläge. Doch Fehlschläge kosten Geld, und verschwendetes Steuergeld sorgt für Unmut unter den Bürgern. "Die Kostenfrage ist so relativ", meint dazu der Plansinn-Geschäftsführer. Der Ausbau von ein paar hundert Meter Autobahn und derselben Strecke Radweg bewege sich in völlig verschiedenen finanziellen Dimensionen.

Den einstelligen Millionenbetrag, den die Stadt Wien 2013 für das "Radjahr" sowie für Fahrradinfrastruktur ausgibt, sieht Gerlich als sehr gut investiert, gemessen daran, wie viele Kilometer Wegeleistung sie unterstützen, wie viele Menschen sie nutzen und was an berechenbaren Effekten in Sachen Klimaschutz und Gesundheit bekannt ist. "Vor allem für eine Stadt, die sich Lebensqualität auf ihre Fahnen heftet, muss die Investition in das Radfahren und andere nachhaltige Verkehrsformen selbstverständlich sein. Das Jahr 2014 wird übrigens den Fußgängern gewidmet sein." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 7.6.2013)