Dass Deradikalisierung in Österreich nicht immer gelingt, zeigte erst kürzlich der Fall eines Mannes, der während seines zweiten Haftaufenthalts mehrere Anschläge, auch am Stephansplatz, geplant hatte. Dass dahinter unter anderem eine Gesetzeslücke steckt, kam im Zuge der Diskussion um diesen Einzelfall an die Öffentlichkeit. Selbst das damalige Justizministerium räumte schließlich ein, dass Handlungsbedarf bestehe. Nämlich dann, wenn ein Straftäter bedingt aus der Haft entlassen wird und weiterhin deradikalisiert werden müsste – wegen einer Unschärfe im Gesetz und gesellschaftlicher Entwicklungen ist die Finanzierung dessen unsicher, wie DER STANDARD berichtete.

Im türkis-grünen Regierungsprogramm wird das Problem nur recht vage angegangen. Dort steht, es brauche einen bundesweiten und themenübergreifenden "Ausbau von Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen ", außerdem werde ein "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus und gegen den religiös motivierten politischen Extremismus" ausgearbeitet. Daran gibt es nun von mehreren Seiten Kritik.

Der Hintergrund der Gesetzeslücke: Einzelne Gerichte sind nach einer Weisung nicht bereit, die Kosten für Deradikalisierungsmaßnahmen in der Zeit nach der Haft zu übernehmen, und sehen sich nicht zuständig für die Finanzierung, wie ein Gericht dem STANDARD bestätigt. Grund dafür ist, dass zwar geregelt ist, dass Gerichte etwa für einen Entzug oder eine Psychotherapie aufkommen, nicht aber, wer eine Deradikalisierungsbetreuung bezahlt. Diese wird vom Verein Derad durchgeführt, mit dem das Justizministerium seit 2016 zusammenarbeitet.

Simple Lösung

Darum hilft man sich mit Notlösungen aus, etwa indem der Bewährungshilfeverein Neustart schon in seiner Anregung an das Gericht angibt, dass der Klient die Deradikalisierung nicht selbst bezahlen kann. Die Zusammenarbeit mit Derad, so heißt es von Neustart-Obmann Nikolaus Tsekas, sei wichtig und notwendig. Es gebe Felder, die man selbst nicht übernehmen könne, "etwa die Auseinandersetzung mit dem Koran und seine Interpretation", so Tsekas. Diese Deradikalisierung dürfe nicht an den "doch sehr geringen Kosten" scheitern, sagt er.

Die Lösung des Problems wäre eine einfache: In Paragraf 51 des Strafgesetzbuches sind Weisungen, etwa was Wohnort und Alkoholkonsum betrifft, geregelt. Würde Deradikalisierung dort explizit erwähnt werden, wäre die Finanzierung klar. Tsekas kritisiert, dass sich im Regierungsprogramm im Justizbereich generell "wenig Konkretes" finden würde, außerdem müsse man aufpassen, Extremismus "in seiner ganzen Bandbreite" abzubilden.

Auch der Verein Derad kritisiert die Pläne der neuen Regierung. Obmann Moussa Al-Hassan Diaw sagt, das "Feinziel" fehle, dabei müsse man "schnell handeln". Seit Bekanntwerden der Attentatspläne am Stephansplatz im Dezember hätte es weitere Probleme gegeben, etwa dass Weisungen völlig fehlen würden. Laut Insidern wurde erst kürzlich ein Häftling mit Bezug zu einer terroristischen Vereinigung auf Bewährung entlassen, ohne weiterhin per Weisung betreut zu werden. Auch im Fall Stephansplatz gab es keine Weisung an Derad. Das sei problematisch, "denn die Leute sind dann aus der Haft draußen und wieder in ihrer gedanklichen Welt", so Al-Hassan Diaw.

Terrorurteile steigen

Das Problem der Radikalisierung ist kein neues, es nimmt aber doch immer mehr zu. So wurden wegen Paragraf 278b – Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung – noch im Jahr 2013 null Personen verurteilt, 31 waren es im Jahr 2018. 59 Menschen sind aktuell in Zusammenhang mit Terrorismusverfahren in Haft, so das Justizministerium. 2016 wurde das Problem dann als solches erkannt und ein Maßnahmenplan ausgerufen. Die Zeit nach der Haft jedoch, so Al-Hassan Diaw, wurde damals schlicht nicht bedacht. (Gabriele Scherndl, 14.1.2020)