Was wäre jetzt gerade los? Das habe ich mich in den vergangenen Tagen fast stündlich gefragt. Am Donnerstag hätten wir Pressekonferenz mit den internationalen Eliteläufern gehabt, am Freitag Pressekonferenz mit den besten Österreichern aus dem VCM Team Austria. Wir hätten beim Start und im Zielgelände vor dem Burgtheater aufgebaut, am Freitag und Samstag hätten wir in der Marx-Halle auf unserer Messe die Startnummern ausgegeben. Es wäre der Teufel los gewesen. Jetzt ist er auch los, der Teufel, aber anders und fast auf der ganzen Welt.

Konrad: "100 Meter vor dem Ziel mit 200 km/h gegen die Wand."
Foto: GEPA pictures/ Michael Meindl

Dieser Vienna City Marathon (VCM) wäre der 32. gewesen, den ich veranstalte. Und es wäre der erste nach Eliud Kipchoge gewesen, der im Oktober auf der Hauptallee in Wien als Erster über die Marathondistanz unter zwei Stunden geblieben ist. Mit Kipchoge im Rücken wären wir international durchgestartet. Das hat voll gegriffen, die Nachfrage war enorm. Viele wollten in Wien auf der Kipchoge-Strecke laufen, die ein Teil unserer Marathonstrecke ist. Doch dieses Thema, diese Euphorie ist jetzt plötzlich sehr weit weg. Manchmal weiß ich nicht einmal, welcher Wochentag ist, so sehr haben sich die Dinge verändert. Seit Anfang Februar sind meine Frau und ich Großeltern – unsere Enkeltochter haben wir nur dreimal gesehen und in den letzten sechs Wochen gar nicht mehr. Das tut uns richtig weh.

Wir haben so lange gehofft

Eh bin ich nicht der Einzige, den die Corona-Krise trifft – was soll ich groß jammern? Sie trifft unzählige Menschen, und viele von ihnen trifft sie härter als mich und meine Familie. Wir sind alle gesund, das ist das Wichtigste. Aber Illusionen gebe ich mich keinen hin. Ob ich meinen 32. Marathon noch organisiere, weiß ich nicht. Wer kann schon sagen, was morgen oder in einem Jahr ist? Die Absage war eine riesige Enttäuschung. Wir haben so lange gehofft. Auch als die ersten Verhaltensregeln kamen, haben wir gedacht, wir kriegen das hin. Dann hat der Bundeskanzler verkündet, es muss sich auf Monate alles verändern. Für uns war das dramatisch – und traumatisch.

Vienna City Marathon 2020 – eine Illusion.
Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

Das ist keine Kritik an den Maßnahmen, ich und mein Team verstehen sie voll und ganz. Was mir aber jetzt fehlt, ist die Interessenvertretung für uns Sportveranstalter. Wir haben keine Stimme, weder in der Gesetzgebung noch in der jetzigen Diskussion. Dabei sind wir ein riesiger Wirtschaftszweig. Wir organisieren Laufveranstaltungen, Radrennen, Triathlons, Langlaufbewerbe, alles Mögliche. Da sind etliche Familienunternehmen dabei, die seit Jahren das volle Risiko übernehmen und für den Sport tolle Veranstaltungen organisieren, wir als VCM sind nur eines von vielen Beispielen. Die 15.000 Sportvereine, von denen jetzt oft geredet wird, sind extrem wichtig, sie sind die Basis. Aber ich würde mir wünschen, dass auch die Veranstalter nicht vergessen werden. Wünsche wird man ja noch haben dürfen!

Wir stehen mit nichts da

Ich habe zehn Fixangestellte, für alle ist jetzt Kurzarbeit beantragt. Wir arbeiten das ganze Jahr für dieses eine Wochenende, jetzt stehen wir mit nichts und momentan ohne Perspektive da. Seit vier Wochen sind wir im Homeoffice, wir müssen rückabwickeln. Dabei wird mir erst klar, wie komplex die Organisation eines Marathons ist. Wenn alles läuft wie geplant, wissen wir, was zu tun ist. Wir hatten längst alles unter Dach und Fach, die Spitzenläuferinnen und -läufer waren verpflichtet, die Hotelzimmer und Flüge bestellt und bezahlt, 120 Lieferanten beauftragt, mit 95 Behörden war alles fixiert. Fast 40.000 Teilnehmer aus rund 120 Ländern waren registriert. Jedes Detail war besprochen. Meine Maxime war immer: Vier Wochen vor dem Marathon darf es kaum offene Fragen geben.

Wir sind 100 Meter vor dem Ziel mit 200 km/h gegen die Wand gefahren. Welches Minus am Ende herauskommt, kann ich noch gar nicht sagen. Sagen kann ich, dass 1,5 bis 1,7 Millionen Euro unwiederbringlich verloren sind. Dieses Geld haben wir ausgegeben, und das kriege ich nie wieder zurück. Eine meiner letzten großen Überweisungen waren 67.000 Euro für die Finisher-Medaillen, ich habe aber gebeten, dass sie mir die Medaillen gar nicht schicken sollen. So ersparen wir uns wenigstens die Transportkosten.

Wir bemühen uns sehr

Die Frage der Nenngebühren ist eine schwierige. In den allgemeinen Geschäftsbedingungen wird eine Rückforderung bei Absage wegen höherer Gewalt ausgeschlossen. Aber auf diesen Standpunkt wollen wir uns gar nicht zurückziehen. Ich sehe die Teilnehmer als unsere Kunden. Wir arbeiten hart daran, eine zufriedenstellende Lösung zu finden. Sie darf nur nicht dazu führen, dass wir vor die Hunde gehen. Wir haben mit allen Teilnehmern kommuniziert, es gab viele positive Reaktionen. Viele zeigen sich solidarisch, viele wollen uns sogar das Nenngeld schenken. Die negativen Reaktionen waren so wenige, dass wir fast all diese Leute angerufen und ihnen versichert haben, wie sehr wir uns bemühen.

Ein Schnappschuss aus der guten, alten Zeit.
Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

Die große Frage lautet: Was ist 2021? Kann da wieder Marathon gelaufen werden? Ich hab in den letzten Tagen oft mit Mark Milde telefoniert, er ist Rennleiter in Wien und auch beim Berlin-Marathon. Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn Berlin Ende September stattfinden kann, das wäre ein weltweites Signal.

Manchmal hab ich mir fast gewünscht, dass es am Marathontag wenigstens schneien oder hageln soll. Aber das Wetter am Sonntag wird eh ganz okay. Ich wäre nur noch Passagier gewesen, ich wäre am Start gestanden und im Ziel. Ein Rädchen hätte ins andere gegriffen – wie in den 31 Jahren davor. Ich hätte mich entspannt. (Fritz Neumann, 18.4.2020)