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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron, Stefan Lofven (Schweden) und Sanna Marin (Finnland).

Foto: AP / John Thys

Brüssel – Die Verhandlungen über das EU-Konjunkturprogramm zur Bewältigung der Corona-Krise gestalten sich weiter schwierig. Beim EU-Sondergipfel in Brüssel wurde am Sonntag eine eigentlich für 12 Uhr angesetzte Sitzung aller 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf zunächst unbestimmte Zeit verschoben. Wie es aus Ratskreisen hieß, war eine Wiederaufnahme der Unterredungen im großen Rahmen zunächst für 16 Uhr geplant, danach hieß es, man werde "nicht vor 17.30 Uhr beginnen". Zuletzt wurde 19 Uhr als Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Gespräche genannt.

Die Vorgespräche dauerten noch an, hieß es von Diplomaten. Es würden zunächst in kleiner Runde mögliche Kompromisslinien getestet. Man könne sich daher noch nicht in größerer Runde wieder treffen.

Verhandlungen über Corona-Hilfen und Haushaltsplan

Die EU-Staaten verhandeln seit Freitagvormittag in Brüssel über ein milliardenschweres Konjunkturprogramm, das die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abfedern soll. Zudem muss eine Einigung über den langfristigen EU-Haushalt erzielt werden. Insgesamt geht es um rund 1,8 Billionen Euro. Eigentlich sollte der Gipfel nur zwei Tage dauern.

Streitpunkt ist unter anderem die Höhe der nicht zurückzahlbaren Zuschüsse. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollen nach Angaben von Diplomaten nicht akzeptieren, dass die Summe der dafür zur Verfügung stehenden Mittel bei unter 400 Milliarden Euro liegt. Vorgeschlagen worden waren zuletzt 450 Milliarden an Zuschüssen und 300 Milliarden an Krediten.

Gegen diese Idee gibt es allerdings Widerstand von Österreich, Dänemark, Schweden und den Niederlanden, die als gemeinsame Gruppe der "Sparsamen Vier" auftreten. Dem Vernehmen nach wollen sie, dass die Zuschüsse unter 400 Milliarden Euro liegen, womit nahezu ein Gleichgewicht an Zuschüssen und rückzahlbaren Krediten hergestellt wäre.

Auch Finnland, das formell nicht Teil dieser Gruppe ist, nahm am Sonntag an Gesprächen mit den vier Staaten teil. Helsinki will insgesamt die Höhe des Hilfspakets senken. Später traf sich Ratspräsident Charles Michel mit der Gruppe, die auch über Beitragsrabatte für sparsame Staaten verhandelt.

"Rutte hasst die Ungarn"

Darüber hinaus geht es um die Frage der Verwendung dieser Gelder. Kanzler Kurz, der im Vorfeld der Gipfels mit Aussagen über "Staaten, die in ihren Systemen kaputt sind" aufhorchen ließ, und damit für Ärger bei den ärmeren EU-Staaten sorgte, fordert genaue Angaben darüber, wie die Mittel eingesetzt werden. Gleiches wollen auch die Niederlande. Michel hatte zuletzt eine "Super-Notbremse" für die Zahlungen vorgeschlagen, die jedes Land ziehen kann, das wegen der Verwendung konkrete Bedenken hat.

Schließlich wird auch über die Rechtsstaatlichkeit gestritten. Einige Staaten wollen die Vergabe von Geldern an Kriterien dazu binden. Besonders prononciert tritt auch in dieser Frage der niederländische Premier Mark Rutte auf. Polen und Ungarn, deren Regierung wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit Ziel mehrerer EU-Verfahren sind, sind gegen diese Idee. Polen spricht von "Erpressung". Ungarns Premier Viktor Orbán sagte, "dieser niederländische Typ" sei Schuld daran, wenn der Gipfel wegen der Rechtsstaatlichkeit platzen sollte. In einem anderen Interview warf er Rutte auch vor, "Ungarn oder mich zu hassen". Kurz sagte, er wolle nicht auf "individuelle Statements" reagieren. Es handle sich aber um "eine ernste Frage", man dürfe bei der Rechtsstaatlichkeit "keine schlechten Kompromisse machen".

Kurz hält Ergebnis noch für möglich

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hält ein Ergebnis beim EU-Gipfel dennoch für möglich. "Ich würde es persönlich sehr schade finden, wenn es zu einem Abbruch kommt", sagte er am Sonntag kurz vor dem nun verschobenen Treffen. Die Aussagen Orbans, der bei einer Knüpfung des EU-Budgets an rechtsstaatliche Kriterien mit Veto gedroht hatte, wollte Kurz nicht kommentieren. Es brauche aber Kontrollen, sagte der Kanzler.

Kurz berichtete auch von den Gesprächen der "Sparsamen" mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der Nacht. Es gebe Bewegung bei der von ihm gewünschten Redimensionierung des Wiederaufbaufonds, doch würden die Verhandlungen noch laufen. Auch deutete Kurz an, dass es möglicherweise noch einen höheren Beitragsrabatt für Österreich geben könnte. "Die Dinge entwickeln sich in eine gerechte Richtung", sagte er.

Wie es mit dem Gipfel konkret weitergeht, war vorerst unsicher. Auch ein Abbruch stand im Raum. Der Premier Portugals, António Costa, sagte, die Chancen stünden 50 zu 50. Ein Scheitern würde aber auch das Scheitern Europas in die Nähe rücken lassen. Krišjānis Kariņš, der Regierungschef Lettlands, tweetete, dass "der Geist des Kompromisses" noch nicht verloren sei. Kurz sagte laut einem Bericht der Plattform "Politico", er verstehe, dass seine Kolleginnen und Kollegen langsam müde würden und Dinge sagten, die sie ausgeschlafen so nicht sagen würden. "Manche hatten auch andere Pläne für das Wochenende oder den Sonntag, das verstehe ich". Es wäre aber nach den Worten Kurz' "sehr sehr schade", wenn es zu einem Abbruch komme. (red, APA, 19.7.2020)