Von links nach rechts: Alev Korun, STANDARD-Redakteurin Irene Brickner, Mireille Ngosso.

Foto: Regine Hendrich

Es ist eine typische Szenerie für einen frühen Nachmittag auf dem Wiener Yppenplatz im Spätsommer: Kinder tummeln sich auf dem Spielplatz, die meisten Lokale und Cafés, die sich dort aneinanderreihen, sind schon ganz gut gefüllt, und dazwischen schlendern einige Marktbesucher zwischen den verschiedenen Standln durch den angrenzenden Brunnenmarkt.

Während die Standl am Brunnenmarkt vor allem von Migranten betrieben und auch besucht werden, hat sich der Yppenplatz in den letzten Jahren gewandelt und verstärkt ein hippes, junges Publikum angezogen. Der Ort wurde also nicht zufällig für das vierte und letzte Grätzl-Gespräch im Zuge der "Wien spricht"-Serie gewählt, bei dem diesmal über Integration und Zusammenleben diskutiert wurde – ein Thema, das auch den Wahlkampf zur anstehenden Wien-Wahl wenn nicht gerade dominiert, so zumindest stetig begleitet.

Statistiken, die verunsichern

Der Diskurs über das Thema wurde bei der Grätzl-Diskussion, die STANDARD-Redakteurin Irene Brickner mit der ehemaligen grünen Nationalratsabgeordneten Alev Korun und der stellvertretenden roten Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt, Mireille Ngosso, führte, von einer anderen als der herkömmlichen Seite aufgegriffen – und zwar von jener der Teilhabe und Chancengerechtigkeit.

Korun erinnerte daran, dass Österreich bereits in den 60er-Jahren die ersten Arbeitskräfteanwerbeabkommen unterzeichnete. Nun, Jahrzehnte später, diskutiere man immer noch über die Integration dieser Menschen: "Da geht es um Menschen, die seit 40 oder 50 Jahren bei uns wohnen, die die Straßen und Gemeindebauten dieser Stadt mitgebaut haben", sagt Korun. Statt ewig in derselben Diskussion stecken zu bleiben, sei es fruchtbarer, über das Zusammenleben aller zu sprechen. Doch wie könne es dann nach so langer Zeit sein, dass bloße Statistiken, die hohe Anteile von Menschen mit Migrationshintergrund aufweisen, die Bevölkerung verunsichern?

Das sei auch ein Ergebnis der vielen gesellschaftlichen Umwälzungen und Entwicklungen, die die Menschen in den letzten Jahren verunsicherten, meint Korun. Fragen der Identität würden dann virulenter. Ngosso verweist auf die politische Ebene: "Es gibt Parteien, die Migranten pauschal als Sündenböcke darstellen." Man brauche sich nur jüngere Wahlplakate anschauen: "Der Aufschrei diesbezüglich bleibt gering."

Eckpfeiler für Integration

Dahinter stehe die Frage, so der Tenor, wer sich denn eigentlich als Österreicher oder als Wiener bezeichnen dürfe: Darf es zum Beispiel auch mehrsprachige Österreicher geben? Sich anzupassen bedeute nicht, "auch seine Migrationsbiografie abzulegen", sagt Ngosso. Immer noch existiere zudem in Österreich struktureller Rassismus, in der Arbeitswelt, im Bildungsbereich oder auch bei der Polizei. Die Sozialdemokratin initiierte deshalb das "Black Voices"-Volksbegehren mit, das einen Aktionsplan gegen Rassismus fordert.

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) hingegen präsentierte kürzlich fünf "Eckpfeiler" für Integration in Österreich, darunter: "Eltern mit Migrationshintergrund in die Pflicht nehmen." Wenn sie den Punkt schon höre, setzt Ngosso an und schüttelt den Kopf. "Auch meine Eltern konnten mich in der Schule nicht unterstützen, aber nicht deshalb, weil sie nicht wollten", erzählt die Sozialdemokratin, die als Kind aus dem Kongo nach Wien kam und es über den zweiten Bildungsweg schließlich zum abgeschlossenen Medizinstudium schaffte. Den Schlüssel zu Integration und Teilhabe sehen sowohl Korun als auch Ngosso im Bildungsbereich – etwa einer hochwertigen Ganztagsschule für alle, wie Ngosso meint, oder einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr, wie Korun vorschlägt.

Auch der "Kampf gegen Parallelgesellschaften" ist Teil von Raabs Fünfpunkteplan. Ein Reizwort, das die Debatte über Integration meist dominiert. "Man wohnt dort, wo man es sich leisten kann. Ich würde auch gerne auf der Kärntner Straße wohnen, aber in meinem Haus ist das Klo eben am Gang", berichtete ein Syrer, der vor fünf Jahren aus Syrien nach Österreich kam, hier Asyl erhielt und als Zuhörer zur Diskussion gekommen war. Die Wertekurse, die er damals besuchte, ließen ihn hingegen ratlos zurück: Dort habe er etwa mitgeteilt bekommen, dass Frauen hier Bikinis und keine Burka tragen. "Die österreichischen Werte, über die alle immer sprechen, sind sehr abstrakt", sagt er. (Vanessa Gaigg, 18.9.2020)