Jahrelang war es ein großes Mysterium: Warum gibt es in Industrieländern keine Inflation? Mit Ende der Pandemie hat sich das Rätsel auf unerwartete Weise gelöst. Nach der Flaute ist die Teuerung spektakulär zurückgekehrt. Das spüren auch Menschen in Österreich. Gaspreise sind binnen zwölf Monaten um 27 Prozent gestiegen. Gebrauchtwagen und Fahrräder verteuerten sich um zehn, Wohnungsreparaturen um sechs Prozent. Die Inflation hat mit 5,1 Prozent im Jänner den höchsten Wert seit fast 40 Jahren erreicht.

Diese Entwicklung bringt die türkis-grüne Koalition in Bedrängnis. Rufe von Opposition und Interessenvertretern wie Pensionistenverbänden werden lauter, die Regierung müsse gegensteuern. Und der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) wächst: Sie soll für Preisstabilität im Euroraum sorgen, die Teuerung hat den ganzen Währungsraum erfasst. Doch es ist ein Dilemma, vor allem für die EZB. Wer einfache Auswege propagiert, handelt populistisch oder hat von Wirtschaftspolitik wenig Ahnung.

Gaspreise sind binnen zwölf Monaten um 27 Prozent gestiegen.
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Klar ist, dass die Inflation weit über dem EZB-Zielwert von zwei Prozent liegt. Die Hoffnung, der Preisanstieg werde rasch abflachen, hat sich nicht erfüllt. Das spricht dafür zu handeln. Doch es gibt gute Gründe abzuwarten.

Für Menschen, die ihre Gasrechnung sehen, mag es ein schwacher Trost sein, aber: Die hohe Inflation ist auch eine gute Nachricht. Die Weltwirtschaft hat sich von den Pandemiefolgen überraschend schnell erholt, die Arbeitslosigkeit ist in Europa deutlich gefallen. Daher ist die Nachfrage nach Waren aller Art extrem hoch. Die Industrie schnurrt, daher gibt es gewaltigen Bedarf an Rohstoffen wie Öl und Gas.

Lieferschwierigkeiten

Das Ölkartell Opec und Russland als größter Gaslieferant des Kontinents nutzten das aus, um ihre Preise zu erhöhen. Das ist der eine große Inflationstreiber. Der zweite: Die starke Nachfrage führte zu Lieferschwierigkeiten, es wurden zu wenige Autos und Möbel produziert.

Genau hier liegt das Problem der EZB. Ihre wichtigste Waffe gegen den Preisanstieg ist, den Leitzins zu erhöhen. Das kann sie tun. Aber sie kann nicht dafür sorgen, dass Saudi-Arabien sein Öl billiger verkauft oder Computerchips in China schneller gebaut werden. Die Wirkung eines Zinsanstieges könnte verpuffen.

Dazu kommt, dass ein Zinsanstieg kein Klacks ist. Steigen die Zinsen, investieren Unternehmen und Haushalte weniger, weil sich Kredite verteuern. Das dämpft im Idealfall die Inflation. Weniger Investitionen heißt aber: weniger Jobs. Und die meisten Menschen können eine höhere Stromrechnung eher verdauen als den Ausfall ihres Gehalts.

Es ist also vernünftig, wenn die EZB vorsichtig agiert und mit Zinsanhebungen wartet. Aktiv werden müsste sie, wenn plötzlich Löhne rapide steigen und Unternehmen ihre Preise deswegen weiter erhöhen müssten. Wenn also Inflation zum Selbstläufer wird. Dafür gibt es in Europa aber bisher keine Anzeichen.

Die Leidtragenden sind daher natürlich jene Haushalte, die von der Teuerung hart getroffen werden. Dazu gehört in Österreich das ärmste Fünftel, das gut acht Prozent seiner Ausgaben für Energie aufwenden muss. Ihnen gezielt zu helfen ist sinnvoll. Das hat die Koalition schon getan. Auch andere Härtefälle abzufedern ist wichtig. Falsch wäre, wenn die Politik allen Geld gibt, so wie bei den Energieschecks. Das ist teuer – und könnte die Inflation erst recht anheizen, weil noch mehr Geld für Konsum bliebe. (András Szigetvari, 3.2.2022)