Diese Woche bekamen Europas Bürgerinnen und Bürger anschaulich serviert, warum ihre Staaten und damit die EU als Ganzes tief in der Krise stecken. Sie sind unfähig, einigermaßen zügig Lösungen zu finden. Anstatt einander zuzugestehen, dass es bei komplexen Themen Abstriche von der eigenen Position, Kompromisse braucht, flüchten die Staatenvertreter zu oft in den Nebel populistischer Sprüche.

Damit kann man vielleicht kurzfristig punkten und einem Teil der Wählerschaft im eigenen Land einreden, dass man es den anderen "in Brüssel" wieder einmal gezeigt hat. Aber es trägt letztlich nicht. Das gilt auch beim Streit darüber, wie wir Europäer bei der Umsetzung des Klimapakets in einer Übergangsperiode mit Atomenergie und Erdgasverbrauch umgehen.

Tausende Flüchtlinge sterben an Europas Grenzen.
Foto: imago images/Michael Trammer

Österreich fällt dabei extra unangenehm auf: Die Regierung spielt den Erdgaspropagandisten, mit gleichzeitiger Fundi-Haltung in Sachen Atomkraft.

Nächstes Beispiel: die unversöhnliche Spaltung der Regierungen beim Thema Migration, Flüchtlingspolitik, Sicherheit bzw. Kontrolle der Grenzen. Es ist mit menschlichen Dramen verbunden, tausende Flüchtlinge sterben an Europas Grenzen. Andererseits wird durch das immer brutalere Vorgehen von organisierten Schlepperbanden das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung herausgefordert. Das ist nicht zu ignorieren.

Nationaler Egoismus

Entsprechend groß ist deshalb die Versuchung von Politikern und Aktivisten, das Thema ideologisch zu instrumentalisieren, die Welt in Gute und Böse zu teilen. Mit unschöner Regelmäßigkeit poppt dieses Muster bei den EU-Innenministern auf. Eine Gruppe, die sich bizarrerweise "Allianz der Vernunft" nennt, tut so, als ginge es nur um die Sicherheit der eigenen Bevölkerung, als müsse alles getan werden, Flüchtlinge von Europa abzuwehren. Das ist illusorisch und unverantwortlich.

Das nährt nationalen Egoismus, parteipolitische Blindheit, Eigennutz. Eine "Gegengruppe" der Willigen hält dagegen, will Flüchtlinge auf alle EU-Staaten aufteilen. Das klingt edel, sympathischer jedenfalls als die Hardliner, bei denen sich Österreichs neuer Innenminister Gerhard Karner ohne Not eingereiht hat.

Aber "die Willigen" mit Deutschland voran machen es sich auch zu leicht. Die Vorschläge der EU-Kommission wurden bisher abgelehnt, ein mehrheitsfähiges Konzept einer notfalls "flexiblen Lastenverteilung" nicht vorgelegt. Ein solches wird man brauchen, um alle Gegensätze unter einen Hut zu bringen. Sicher ist: Mit Zuspitzung kommt man nicht weiter.(Thomas Mayer, 4.2.2022)