Rechtsanwalt Philippe Kiehl schreibt in seinem Gastkommentar darüber, wie groß die Chancen sind, die steigenden Treibstoffpreise mittels Kartellrecht in den Griff zu bekommen.

Nach dem extremen Anstieg der Benzin- und Dieselpreise durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine beauftragte die Justizministerin den Bundeskartellanwalt und die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), zu prüfen, ob der Preisanstieg möglicherweise auf verbotenen Absprachen beruhen könnte. Am Montag gab die BWB bekannt, dass sie nach ihren Untersuchungen des Treibstoffmarktes im Jahr 2011 nun eine weitere Marktanalyse unter anderem auch des Rohölmarktes vornehmen werde. Zu diesem Zweck kann die BWB Auskunftsverlangen an die Marktteilnehmer schicken. Wenn sie den begründeten Verdacht hat, dass die Preiserhöhungen Folge einer Absprache waren, kann sie zur Sicherstellung von Beweisen auch Hausdurchsuchungen durchführen.

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Was tun gegen die steigenden Treibstoffpreise?
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Die Tatsache allein, dass die jüngsten Preiserhöhungen extrem waren, reicht jedoch nicht aus, um einen solchen Verdacht oder gar eine Verurteilung zu begründen. Die ermittelnden Behörden müssten zumindest konkrete Hinweise darauf haben, dass sich einige der in Österreich tätigen Mineralölkonzerne abgesprochen haben, die Preise zu erhöhen oder hochzuhalten.

Ebenso verboten wäre, wenn ein Mineralölkonzern seinen Wettbewerbern einseitig ein geheimes Signal gegeben hätte, dass er beabsichtigt, seine Preise zu erhöhen. In einem solchen Fall wird nämlich vermutet, dass die Empfänger dieses Signals ihr eigenes Marktverhalten entsprechend angepasst haben. Sowohl Absprachen als auch sogenannte abgestimmte Verhaltensweisen sind Kartellverstöße, die, sofern sie nachgewiesen werden können, mit empfindlichen Geldbußen von bis zu zehn Prozent des Konzernumsatzes sanktioniert werden könnten.

Hohe Markttransparenz

Angesichts der hohen Preistransparenz der Treibstoffmärkte können die großen Mineralölkonzerne und unabhängige Tankstellen ihre Preise aber auch legal an die Preise ihrer Wettbewerber anpassen, ohne dass es dazu einer Absprache bedürfte. Mit Tools wie zum Beispiel dem Spritpreisrechner der E-Control ist es leicht möglich, sich über die aktuellen Benzin- und Dieselpreise an österreichischen Tankstellen zu informieren. Das bedeutet zwar nicht, dass es nicht doch Absprachen der Mineralölkonzerne gegeben haben könnte – ohne konkrete Hinweise eines Insiders werden solche aber kaum nachweisbar sein.

Sowohl das deutsche Bundeskartellamt als auch die BWB stellten in Marktstudien vor über zehn Jahren fest, dass die in Deutschland beziehungsweise Österreich tätigen Mineralölkonzerne ein Oligopol bilden würden. Ausgehend von diesem Befund leitete das Bundeskartellamt 2012 ein Verfahren gegen fünf Mineralölkonzerne ein, weil diese ihre oligopolistische marktbeherrschende Stellung missbraucht hätten.

Obwohl das Bundeskartellamt dieses Verfahren letztlich nicht weiterführte, wäre das kartellrechtliche Missbrauchsverbot ein mögliches Instrument, das auch die BWB nutzen könnte, um gegen die Mineralölkonzerne vorzugehen. Einem marktbeherrschenden Unternehmen ist es untersagt, seine Stellung zum Beispiel dadurch zu missbrauchen, dass es exzessive Preise verlangt. Um als exzessiv zu gelten, müssen die Preise nach der Rechtsprechung allerdings erheblich über dem Niveau liegen, das sich bei effektivem Wettbewerb auf den relevanten Märkten gebildet hätte.

Staatliche Eingriffe

Einige EU-Mitgliedstaaten haben mit staatlichen Eingriffen versucht, den Preisanstieg bei Kraftstoffen zu beschränken. So haben Ungarn und Slowenien die aktuellen Kraftstoffpreise für einen begrenzten Zeitraum auf einem bestimmten Niveau "eingefroren", und Frankreich gewährt einen Rabatt auf Treibstoff. Auch eine Senkung der auf Kraftstoffe erhobenen Steuern, die rund 50 Prozent des Kraftstoffpreises ausmachen, wird erwogen. Die deutsche Koalition senkt die Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate auf das europäische Mindestmaß.

An den meisten dieser Maßnahmen wird kritisiert, dass Vermögende, die häufig Fahrzeuge mit höherem Kraftstoffverbrauch fahren, mehr profitieren als Geringverdiener, die von den hohen Preisen mehr belastet sind. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist es zudem zumindest hinterfragenswert, ob staatliche Mittel für eine Senkung der Kraftstoffpreise verwendet werden sollten.

Die österreichische Bundesregierung hat sich vor wenigen Tagen für eine viel kritisierte, aber zumindest etwas zielgerichtetere Maßnahme entschieden. Als Teil des "Energiepakets" sollen zeitlich befristet die Pendlerpauschale und der Pendlereuro erhöht und gleichzeitig die Preise für öffentlichen Verkehrsmittel gesenkt werden. Solche politischen Maßnahmen wird es wohl auch in Zukunft brauchen. Denn es ist fraglich, ob man Treibstoffpreiserhöhungen nur mit den Mitteln des Kartellrechts in den Griff bekommt. (Philippe Kiehl, 25.3.2022)