Deutschland ist anders. Der deutsche Bundespräsident Walter Steinmeier räumte in einem Gespräch mit Journalisten ein, dass er sich in der Beurteilung Putins und Russlands fundamental getäuscht habe (schon als Kanzleramtsminister und Außenminister): "Meine Einschätzung war, dass Wladimir Putin nicht den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde. Da habe ich mich, wie andere auch, geirrt."

So etwas würde man gerne von unseren offiziellen Putin-Verstehern hören, von denen die größten allerdings nicht mehr im Amt sind. Vielleicht wäre auch ein U-Ausschuss nützlich, der klärt, wie eine taubblinde Truppe aus Wirtschafts- und Politikvertretern uns in diese katastrophale Abhängigkeit von russischem Gas gebracht hat und wer davon profitierte.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew.
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Das russische Gas schnell abzudrehen würde eine Rezession, wenn nicht eine Depression auslösen. Es ist hingegen gut, dass Kanzler Karl Nehammer zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Kiew fährt. Auch Gesten sind nützlich: Besuche von westlichen Regierungspersönlichkeiten können dazu beitragen, dass etwaige Pläne, doch noch eine Mörderbande auf Selenskyj loszulassen, fallengelassen werden. Ganz zu Beginn des Krieges war das ja geplant, die entsprechende Truppe wurde aber von den Ukrainern abgefangen.

Solidarität

Solche Zeichen der Solidarität sind sehr wichtig angesichts des Irrsinns, der in Russland inzwischen quasioffiziellen Status erreicht hat. Unter westlichen Beobachtern wird derzeit ein Kommentar herumgereicht, den der Politologe Timofej Sergejzew auf dem Sender der Agentur Ria Nowosti veröffentlicht hat. Die Ukraine sei ein Nazi-Land, nicht nur die Eliten, sondern auch große Teile der Bevölkerung. Diese müssten "umerzogen" werden. "Die gerechte Strafe für diesen Teil der Bevölkerung besteht darin, dass sie die unvermeidlichen Schwierigkeiten erleiden müssen, die einem gerechten Krieg gegen das NS-System folgen." Der Name Ukraine müsse ausgelöscht werden.

Das ist keine durchgeknallte Randfigur, sondern das intellektuelle Aushängeschild der wichtigsten Nachrichtenagentur des Landes. Viel Unterschied zu Putins Fantasien über die "russische Welt" ist da übrigens nicht. Das "gemeinsame europäische Haus unter Einbeziehung Russlands", von dem immer die Rede war, kann nicht gebaut werden, solange so eine Mentalität herrscht.

Im Zweiten Tschetschenienkrieg, den der frisch (von Boris Jelzin) installierte Putin zu seinem Projekt Nummer eins machte, kam es zu noch ärgeren Massakern als jenem in den Vororten von Kiew. Die malaysische Passagiermaschine mit 300 Menschen wurde 2014 mit einer Rakete abgeschossen, die Putin den Separatisten im Donbass gegeben hatte.

Inzwischen haben die Ukrainer bereits die Einheiten und die Namen der Offiziere (teilweise auch der Mannschaften) veröffentlicht, die zum Zeitpunkt der Morde in Butscha anwesend waren. Ermittler der UN nehmen die Arbeit auf.

Steinmeier sagte, mit Putin gebe es keine Rückkehr zum früheren Status quo. Im Westen dürfte Einigkeit herrschen, dass er diesen Krieg nicht gewinnen darf. Das bedeutet wahrscheinlich eine längere Periode schwerer Belastung für die Ukrainer, aber auch für die Europäer. Aber es geht nicht anders. (Hans Rauscher, 5.4.2022)