Im Gastkommentar analysiert die frühere Wien-Korrespondentin Joëlle Stolz das Verhältnis Österreich zu Frankreich.

Cyrano de Bergerac, die Theaterfigur von Edmond de Rostand, ist für viele die Inkarnation des spirituellen und feurigen Franzosen, dessen aktueller Avatar Emmanuel Macron wäre. Die Aura, die er auf der internationalen Bühne genießt, insbesondere in der Europäischen Union, steht im Gegensatz zur Feindseligkeit eines großen Teils der französischen Wählerschaft. In Österreich ist dieses Prestige vielleicht noch stärker. "Was für ein Glück, ihn als Präsidenten zu haben!", ist eine häufige Bemerkung. Warum? Denn Frankreich ist für Österreich über seinen Staatschef hinaus längst ein unentbehrliches Gegengewicht zu Deutschland, dieser vertrauten, aber irgendwie bedrohlichen Macht.

Bild nicht mehr verfügbar.

Frankreich wählt am Sonntag. Am 24. April findet dann wohl die Stichwahl statt, bei der nur die zwei stimmenstärksten Kandidierenden antreten.
Foto: AP / Thibault Camus

Frankreich war ein rotes Tuch für Österreichs konservative Eliten: Es war Napoleon, der sich in Schönbrunn niederließ und Marie-Louise heiratete. Frankreich war damals auf dem Höhepunkt seines Einflusses und das bevölkerungsreichste Land Europas, erinnert sich der rechtsextreme Kandidat Éric Zemmour (der Napoleon viel mehr als einen Charles de Gaulle schätzt). Auf der anderen Seite bewunderten immer die Sozialdemokraten und Liberalen den revolutionären Elan Frankreichs, dessen Säkularismus ihnen als Schutz gegen die Engstirnigkeit und Bigotterie Österreichs erschien. Tatsächlich ist eine Gebetsstunde, die der derzeitige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka mitten im Parlament organisiert hat, in meinem Land undenkbar.

Traumatische Erfahrungen

Aber Österreich hat traumatische Erfahrungen mit Deutschland gemacht, spätestens seit der Schlacht von Königgrätz 1866, dem Sieg des preußischen Nationalismus über das Habsburgerreich, bis zum Anschluss 1938, der dieses Land von der Karte tilgte. Weil sie dann Deutsche wurden, wollten die Österreicher nach 1945 ihre Differenz markieren. Sie fanden in der Person von General Antoine Béthouart, Kommandant der französischen Besatzungstruppen in Österreich, einen Verbündeten. Seine mit den Alliierten geteilten These des "ersten Opfers des Nationalsozialismus" hat allerdings das Land lang daran gehindert, seine Rolle im Dritten Reich infrage zu stellen.

Dass Frankreich, als die Vergangenheit von Präsident Kurt Waldheim in der Wehrmacht 1986 bekannt wurde, sich empörter zeigte als manch andere, wurde von den österreichischen frankophilen Eliten als Verrat empfunden. Damals Korrespondentin in Österreich, habe ich analysiert, wie die Kritik am "kleinen" Österreich für die Franzosen ein Weg war, um zu vermeiden, das viel größere Deutschland anzugreifen, gerade zu einer Zeit, als die französische Öffentlichkeit nur anfing, sich der Kollaboration zu stellen. Noch schmerzhafter war die französische Kritik zum Zeitpunkt der europäischen Sanktionen gegen Schwarz-Blau zu spüren, die im Jahr 2000 auf Initiative des französischen Präsidenten Jacques Chirac beschlossen wurden.

"In keiner anderen westlichen Demokratie konzentriert das Staatsoberhaupt so viele Exekutivgewalten."

Österreich befindet sich wieder in derselben Lage wie nach 1945: Die Beziehungen zu Paris sind eine willkommene Alternative zu einem sonst dominierenden Tête-à-Tête mit Berlin. Aus ähnlichen Gründen wurde der Brexit in den Niederlanden besonders negativ aufgenommen, wodurch man zwischen Deutschland und Frankreich "eingeklemmt" blieb.

Aber der Handel zeigt die überwältigende Dominanz des deutschen Nachbarn für Österreich: 108,7 Milliarden Euro im Jahr 2021, gegenüber 6,3 Milliarden mit Frankreich. Seine Industrie ist weitgehend an den deutschen Motor gekoppelt. Da die Wiedervereinigung mit der DDR nicht verdaut werden musste, sind die Gehälter und Renten hier nach wie vor höher als in Deutschland, und im Allgemeinen rühmen sich die Menschen einer besseren Lebensqualität: eine süße Revanche für die Vergangenheit.

"Da Frankreich nur noch eine Mittelmacht ist, muss es die Außenpolitik einer Großmacht haben", sagte de Gaulle, als er Präsident der Fünften Republik war. Macron hat diese Linie unserem Jahrhundert angepasst. Er kämpft dafür, dass die Europäische Union eine starke Rolle in der Welt spielen und zunehmend eine Wertegemeinschaft sein sollte, nicht nur ein Konglomerat wirtschaftlicher Interessen – wie übrigens einst Chirac, der besonders wütend war wegen der Entscheidung der ÖVP, mit der FPÖ zu regieren.

Rolle ausgebaut

Andererseits hat Macron ein Grundprinzip übernommen: In Krisenzeiten wie Covid (und jetzt Ukraine-Krieg) wirkt eine "Große Koalition" zwischen Mitte-rechts und Mitte-links beruhigend. Er setzte es in die Praxis um, indem er in seine Regierung Leute von rechts (wie seinen ehemaligen Ministerpräsidenten Édouard Philippe) und von links (seinen Außenminister Jean-Yves Le Drian) integrierte. Leider hat er die Verfassung nicht zugunsten des Parlaments reformiert: In keiner anderen westlichen Demokratie konzentriert das Staatsoberhaupt so viele Exekutivgewalten, unter anderem die Verteidigung und die Außenpolitik. Sie machen aus dem französischen Präsidenten eine Art Monarchen, wurde oft kritisiert, und Macron hat diese Rolle selbst weiter ausgebaut. Das könnte allerdings fatal sein, wenn eines Tages ein rechtsextremer Kandidat gewählt würde. (Joëlle Stolz, 9.4.2022)