Steuerkonflikte ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte, sagt Korinna Schönhärl. Im Gastkommentar widmet sie sich einer historischen Perspektive auf unsere Steuerkonflikte.

Illustration: Fatih Aydogdu

Vermögenssteuer oder nicht – oder doch wenigstens eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer? Die Debatte entbrennt in Österreich immer wieder, auch angesichts der Erkenntnis, dass die soziale Schere im Land noch weiter auseinandergeht als bisher angenommen. Wäre es da nicht fair, die unerhört Reichen, die auch noch viele Möglichkeiten zur "Steuergestaltung" zum Beispiel über Oasenländer haben, höher zu besteuern? Immer neue Steuerskandale heizen die öffentliche Empörung zusätzlich an. Aber mal ganz grundsätzlich: Wie sieht ein "faires" Steuersystem eigentlich aus? Ein Blick in die Geschichte hilft beim Nachdenken.

"The tax collector never won a popularity cup" – "der Steuereintreiber hat niemals einen Beliebtheitswettbewerb gewonnen", raunt der Sprecher des US-Films "Since the beginning of time" aus dem Jahr 1959 der Betrachterin zu. Wohlgemerkt: Die Szene spielt in einer steinzeitlichen Höhle, deren Bewohner sich darauf geeinigt haben, einen der Männer zur Bewachung von Frauen und Kindern gegen räuberische Dinos und Banditen zu Hause zu lassen – und ihm im Gegenzug einen fairen Anteil an ihrer Jagdbeute abzutreten. Der Film erklärt Steuern als Ausdruck von Solidarität: Alle legen zusammen, um Aufgaben zu finanzieren, von denen jede und jeder profitiert – auch wenn der Unwillen gegen das Abgeben immer da ist, mehr oder weniger latent.

Geld und Mühe

Dieser Steuerunwille und die Kritik am bestehenden Steuersystem lassen sich historisch mindestens bis ins antike Athen zurückverfolgen: In der Polis, die ihre Ausgaben zu einem Großteil aus Staatsbetrieben, zum Beispiel der Verpachtung von Silberminen, bestritt, mussten nur die Reichsten zahlen, beziehungsweise sie mussten bestimmte Aufgaben übernehmen und aus eigener Kasse finanzieren: die Ausrichtung von Festspielen etwa oder die Ausstattung von Kriegsschiffen. Je mehr Geld und Mühe ein Wohlhabender investierte, desto intensiver rühmten und bewunderten ihn seine Mitbürger.

Entziehen konnte man sich dieser "Pflicht" kaum, auch wenn sie als freiwillig galt. Immerhin konnte der Zahlungspflichtige auf Mitbürger verweisen, die angeblich noch reicher waren und deshalb zuerst an der Reihe seien. Weil dies anscheinend viel zu oft passierte, gab es einen Schutzmechanismus: Der angeblich noch Reichere konnte einen Vermögenstausch mit seinem "Denunzianten" erzwingen. So überlegte sich dieser die Sache vorher gewiss gut. Ob das System fair war, darüber wurde dennoch weiter gestritten.

Steuerkonflikte ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Wir finden sie in Ägypten unter römischer Herrschaft ebenso wie im Neumexiko der frühen Neuzeit; im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation genauso wie in vielen schweizerischen Kantonen des 19. Jahrhunderts; in Nigeria unter britischer Kolonialherrschaft, aber auch in der jungen Bundesrepublik. Immer wurde in diesen so unterschiedlichen Konflikten um das Steuerzahlen ausgehandelt, wie eine "gerechte" Gesellschaft aussehen sollte: Welche Verteilung der Lasten war (und ist) fair, wer muss zahlen, wer kann sich wie entziehen? Die Vorstellungen darüber wandelten sich in der Geschichte ständig, ebenso wie die Besteuerungstechniken, mit denen man sie in die Tat umzusetzen versuchte:

Mal sollte es nur die Reichen treffen, mal nur die Bauern; mal wurde vor allem der Verbrauch besteuert (was immer die Armen benachteiligt, die viele hungrige Mäuler zu stopfen haben), mal progressiv das Einkommen oder das Vermögen; mal lag der viel beklagte Spitzensteuersatz der per Quellenabzug eingetriebenen Einkommenssteuer bei vier Prozent, dann wieder bei über 50 Prozent; mal besteuerte man nur das Einkommen aus Kapital, dann wieder nur das aus Arbeit oder beide. Wer die Macht im Staat innehatte, der konnte gewöhnlich auch seine Vorstellungen von Steuergerechtigkeit durchsetzen.

Beobachtbarer Wandel

Die Debatte um die Wiedereinführung der 1993 abgeschafften österreichischen Vermögens- und der 2008 abgeschafften Erbschaftssteuer ist aus historischer Perspektive deshalb so interessant, weil man hier den Wandel von Gerechtigkeitsvorstellungen unter dem Brennglas mitverfolgen kann.

Die im OECD-Vergleich niedrige Besteuerung von Vermögen in Österreich wird angesichts wachsender Vermögensungleichheit von immer mehr Akteuren als ungerecht empfunden und angeprangert. Sie gefährde den sozialen Zusammenhalt und das Funktionieren der Demokratie. Solche Argumente für Vermögenssteuern sind ebenso wenig neu wie die dagegen. Das letzte Mal wurden sie alle in den Abschaffungsdebatten der 1990er- und der 2000er-Jahre ausgetauscht.

Doch die Corona-Krise hat den Ton verändert: Die Forderungen nach einer Vermögens- oder doch wenigstens einer Erbschaftssteuer mehren sich und werden immer vehementer vorgebracht, die Gegnerinnen und Gegner finden sich in der Defensive wieder. Die Gewichte verschieben sich deutlich – zugunsten der Nichtprivilegierten diesmal. (Korinna Schönhärl, 14.4.2022)