Die Vorsitzende der Bildungsinitiative Bildung grenzenlos, Heidi Schrodt, fordert im Gastkommentar eine weitreichende Schulreform, deren Grundlage die autonome Schule darstellt.

Ich kopiere tonnenweise – schade um meine gute Ausbildung!" – So begann ein offener Brief an den Bildungsminister, in dem vor zwei Wochen 40 SchuldirektorInnen wie auch schulische Führungskräfte in einem Hilfeschrei ihre völlige Überlastung mit administrativen Tätigkeiten zum Ausdruck brachten. Für ihre eigentlichen zentralen Führungsaufgaben zur Verbesserung des Lehrens und Lernens an der Schule bleibe so gut wie keine Zeit mehr. Mit Nachdruck ersuchen sie die Politik, den administrativen Aufwand zu minimieren und ein mittleres Management einzuführen, und fordern mehr Autonomie und Handlungsspielräume in der Gestaltung des Schulalltags. Die hilflose Aktion des 500-Euro-Bonus geht an dem, was die Schulleitungen brauchen, mit Sicherheit vorbei.

Die Pandemie hat auch im Bereich der Bildung vorhandene Schwachstellen sichtbar gemacht. Ein Bereich, unter dem sich vermutlich wenige außerhalb des Systems etwas vorstellen können, ist die Schulautonomie, die Freiheit der Gestaltung – und Verantwortung – am Schulstandort. Schulautonomie kann den finanziellen Bereich betreffen, den personellen, also die Auswahl des Personals, und den pädagogischen. Dem gegenüber steht das Modell der zentral gesteuerten Schule, verbunden mit einer strengen Hierarchie und meist auch einem hohen Ausmaß an Bürokratie.

Sein Corona-Bonus für die Direktorinnen und Direktoren verärgert viele: Bildungsminister Martin Polaschek.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Autonome Freiräume

Mit Ausnahme von Belgien und den Niederlanden gab es in Europa keine Tradition für autonome Schulen. Das änderte sich ab den 80er-Jahren, als in den meisten europäischen Ländern eine Bewegung weg vom Zentralismus hin zur autonomen Schule einsetzte, getragen von der Erkenntnis, dass in einer dezentralisierten Schule die pädagogische Qualität profitiert. Die SchulleiterInnen werden von VerwalterInnen zu GestalterInnen, und alle Personen innerhalb der Schule erhalten autonome Freiräume. Autonomie heißt, dem Einzelnen Verantwortung zu übertragen und Freiheiten in seinem Handeln zu gewähren. Autonomie braucht natürlich Kontrolle, die durch Rechenschaftsberichte und zentrale Überprüfungen stattfindet. Schulautonomie ist per se noch kein Erfolgsrezept für eine erfolgreiche Schule, aber die wichtigste Voraussetzung.

Auch in Österreich gab es seit den späten 80er-Jahren Bestrebungen zur Einführung von Schulautonomie. 1993 fand zum Thema ein Kongress der Österreichischen Bildungsallianz statt. Unter Ministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) wurde in den 2000er-Jahren die Einführung erster Schritte im schulautonomen Bereich schwer beschädigt durch die Tatsache, dass die Schulen über Stundenkürzungen "autonom entscheiden" durften. 2022 muss nüchtern festgestellt werden: Worauf viele SchulleiterInnen noch in den 2000er-Jahren gehofft hatten, hat sich nicht erfüllt. Österreich ist auf dem Weg zur autonomen Schule steckengeblieben. Das bescheinigen uns auch internationale Bildungsstudien, wie die jährlich erscheinende OECD-Studie "Bildung auf einen Blick". Die hochbürokratische Tradition in unserem Schulsystem war stärker, der Zentralismus, gekoppelt mit einem obrigkeitsstaatlichen Verständnis von Schule, ist noch immer prägend. Dazu kommt die paradoxe Besonderheit einer zentralen Steuerung und Hierarchie einerseits und eines unübersichtlichen Wirrwarrs von Kompetenzen auf Länder- und Bezirksebene andererseits.

Großer Beamtenapparat

Auf der Ebene der Praxis sieht es so aus: Eine Zentrale mit einem großen Beamtenapparat erlässt nicht nur die Schulgesetze, sondern auch die Durchführungsbestimmungen in allen Einzelheiten, auch Reformen sind von diesem Procedere betroffen. Dass erfolgreiche Schulreformen auf diese Weise wenig Chancen auf Umsetzung haben, mag man sich leicht ausmalen. Gerade am Beispiel Schulautonomie lässt sich das gut illustrieren. 2017 wurde im Bildungsreformgesetz die Erweiterung der Schulautonomie beschlossen – ein sehr bescheidenes Kompromisspapier, nebenbei gesagt. Im Zuge dessen gab das Bildungsministerium ein fast 100-seitiges Handbuch mit Anleitungen zur Umsetzung der Autonomiereform heraus. Besser könnte man nicht illustrieren, wie es um das Verständnis von Autonomie hierzulande bestellt ist. So wird das nichts.

Was den Weg zu einer erfolgreichen autonomen Schule außerdem sehr erschwert, sind die flache Hierarchie an unseren Schulen, der Mangel an administrativem Personal und die äußerst ungenügende Ausstattung mit sogenanntem Support- oder Zusatzpersonal wie etwa SchulsozialarbeiterInnen, Förderlehrkräften, FreizeitpädagogInnen, SchulpsychologInnen, Zweitsprachenlehrkräften, Muttersprachenlehrkräften, SchulkrankenpflegerInnen. Unter vergleichbaren (OECD-)Ländern stehen wir diesbezüglich unrühmlich an einer der letzten Stellen. Und dass für Pflichtschulen nicht einmal ein Sekretariat vorgesehen ist, ist meines Wissens im internationalen Vergleich überhaupt einzigartig.

Zwar ist Wien gerade dabei, hier Abhilfe zu schaffen, aber zur selbstverständlichen Grundausstattung gehören Sekretariatskräfte per Gesetz noch immer nicht. All diese Mängel erschweren ein effizientes Führen von Schule enorm. Dazu kommt noch die Ressourcenzuteilung an Schulen, die längst nicht mehr den aktuellen Anforderungen entspricht. In urbanen Räumen haben wir immer mehr Schulen mit vielen zusätzlichen Herausforderungen. Sie bräuchten erheblich mehr Ressourcen. Eine gerechte Mittelzuteilung nach einem sogenannten Chancenindex ist überfällig. Nur in einer personell gut ausgestatteten Schule kann individuell ausgerichteter, zeitgemäßer Unterricht stattfinden.

Wie kann es weitergehen? Die kleinen, ja kleinsten Reformschritte haben uns nicht weitergebracht. Dass wir eine grundlegende Schulreform brauchen, wissen wir längst. Die autonome Schule wäre die Grundlage für die längst fällige große Reform. Leider ist der politische Wille dafür nicht erkennbar. (Heidi Schrodt, 24.4.2022)