Es droht schon lange, jetzt wird es wahrscheinlich Realität. In den USA könnte das Grundsatzurteil Roe v. Wade fallen, und das schon im Juni. Es schrieb vor fast 50 Jahren das verfassungsmäßige Recht von Frauen fest, allein über die Fortführung einer Schwangerschaft zu entscheiden. Dieses Gesetz – ähnliche wurden zu dieser Zeit auch in vielen anderen Ländern beschlossen – war ein feministischer Meilenstein. Dass in den USA dieser nun zerstört und die Uhr vor die Zeit der Zweiten Frauenbewegung der 1970er-Jahre zurückgedreht werden soll, ist Irrsinn.

Bild nicht mehr verfügbar.

Abtreibungsgegnerinnen und
-befürworterinnen demonstrieren vor dem Supreme Court in Washington.
Foto: REUTERS/Evelyn Hockstein

Denn schon jetzt war es im Rahmen von Roe v. Wade für die US-Bundesstaaten unter konservativer Führung möglich, ungewollt schwangere Frauen zu schikanieren. Und dieser Rahmen wurde in den vergangenen Jahren ausgereizt. In Texas trat etwa im vergangenen September ein Gesetz in Kraft, das Abbrüche schon ab der sechsten Schwangerschaftswoche verbietet, in einer Phase, in der viele Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. Es wäre also höchste Zeit gewesen, das Recht auf Abtreibung so zu stärken, dass derartig Beschränkungen nicht ständig durch die Hintertür daherkommen. Wenn das grundsätzliche Recht auf Abtreibung gekippt wird, werden sie zahlreiche Bundesstaaten schnell verbieten.

Spätestens seit Donald Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 war klar, dass schon die Aufrechterhaltung des Status quo harte Arbeit für Frauenrechtlerinnen wird. Trump hatte im Wahlkampf bekanntlich sehr viel Unterstützung von Erzkonservativen und Evangelikalen. Im Gegenzug sprach er sich gegen das Recht auf Abtreibung aus und trat bei Antiabtreibungsveranstaltungen auf. Noch düsterer wurden die Aussichten für Frauen, als während seiner Präsidentschaft Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett in den Supreme Court nachrückten und somit eine massive konservative Mehrheit entstand.

Kulturkampf

Immer wieder wird im Zusammenhang mit Abtreibung in den USA von einem jahrzehntealten Kulturkampf gesprochen. Das stimmt nicht ganz, denn der gesellschaftspolitische Rückschritt ist ein Erfolg der konsequenten Lobbyarbeit der Rechten. Und eines ihrer zentralen und langjährigen Ziele war die Streichung von Roe v. Wade. Nicht umsonst schreibt in dem nun geleakten Entwurf einer Mehrheitsmeinung der Richterinnen und Richter des Obersten Gerichtshofs der konservative Richter Samuel Alito: "Roe war von Anfang an ungeheuerlich falsch."

Dass die Rechte nun kurz vor diesem Ziel steht, ist katastrophal. Ohne das Recht der Frauen, allein über ihren Körper zu bestimmen, ist Gleichstellung zwischen Männern und Frauen nicht möglich. "Die Entscheidung, ob man ein Kind auf die Welt bringt oder nicht, ist für das Leben von Frauen, für ihre Würde und ihr Wohl zentral." Das sind die Worte der 2020 verstorbenen langjährigen liberalen Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg. Sie war der Überzeugung, dass, wenn eine Regierung Frauen diese Entscheidung nimmt, sie sie nicht als vollwertige Menschen anerkennt, die selbst für ihre Entscheidungen verantwortlich sind.

Die Mehrheit sieht es auch so. Laut Umfragen sind knapp 60 Prozent der Menschen in den USA für das Recht auf einen Abbruch. Diese Menschen müssen jetzt auf die Straße gehen und auch an der Wahlurne für das Recht der Frauen kämpfen. Es geht um viel. (Beate Hausbichler, 3.5.2022)