Totschnig ist nun offiziell Minister.

Foto: Heribert Corn

Der Schmäh ist alt, gebracht wird er trotzdem immer noch: Bundespräsident Alexander Van der Bellen habe sich seine Amtszeit anders vorgestellt – weniger stressig. Denn: Er kommt aus dem Angeloben nicht mehr heraus. Tatsächlich ist Österreich in einer recht unsteten Phase, was die Posten in der Bundesregierung angeht – allein seit Jänner 2020 gab es da 14 Wechsel.

Auch das Satireportal "Tagespresse" scherzt über den engen Terminkalender des Präsidenten.

Dass Van der Bellen am Mittwoch erneut ausrücken musste, ist aber auch der Pandemie geschuldet. Als nach den Rücktritten von Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck (beide ÖVP) die Regierung umgebaut wurde und die Nachfolger und Nachfolgerinnen angelobt wurden, war Norbert Totschnig in Quarantäne. Schon vor einer Woche war das, nun wurde die Angelobung am Mittwochmorgen nachgeholt.

Kaunertal und Mariupol

Die Infektion Totschnigs, so Van der Bellen, sei ein Beispiel dafür, dass das Virus nicht schlafe. Vom üblichen Prozedere wolle er übrigens abweichen. Also holte er aus zu einer kurzen Rede, die den Bogen von der Ukraine bis ins Kaunertal spannte.

Zwei große Herausforderungen sieht der Präsident für den neuen Landwirtschaftsminister. Die erste ist die bereits beginnende und wohl noch schlimmer werdende Lebensmittelknappheit, die auch dem Angriff auf die Ukraine geschuldet ist. Wobei Van der Bellen einräumte: Das seien Szenarien, auf die Österreich kaum bis keinen Einfluss habe. Da gehe es darum, ob in der "Kornkammer der Welt" ausgesät und geerntet werden kann, ob der Transport gelinge, das Meer befahrbar sei. Das habe indirekte Folgen auch für die EU und für Österreich.

Der zweite zentrale Punkt, den der unabhängige, aber ehemals grüne Präsident sieht, ist die Klimakrise. Um dies zu verdeutlichen, führte er eine Reihe an persönlichen Beobachtungen an, die vom Wasserstand des Neusiedler Sees über den Weinbau in der Wachau bis zu einem Wanderführer im Kaunertal reichten. Die Bedeutung der Land- und Forstwirtschaft könne überhaupt nicht unterschätzt werden, sagte Van der Bellen zu Totschnig, "aber das wissen Sie als Direktor des Bauernbundes besser als ich".

Terminstress

Nach einem kurzen Formalakt – Gelöbnis, Unterschriften und Fotos – müssen die Regierungsmitglieder auch gleich weiter in den Nationalrat, denn dort wurden die neuen Minister und Staatssekretäre den Abgeordneten vorgestellt.

Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) betonte nun auch als Ressortchef für die Wirtschaft, dass Österreich mit guten Wirtschaftszahlen in schwierige Zeiten gehe. Dass bei ihm die Kompetenzen zusammengezogen werden, sieht er auch als Chance. Schon bisher habe man eng kooperiert, nun könne vieles stringenter und schneller erledigt werden.

Totschnig betonte, dass die Lebensmittelversorgung in Österreich auch in schwierigen Zeiten gesichert sei und dies mit ihm auch so bleiben solle. Skizziert wurden von ihm die herausfordernden Rahmenbedingungen der Landwirtschaft, begonnen beim Borkenkäfer. Auch betonte er den stärkeren Fokus auf Tier- und Umweltschutz bei gleichzeitig schärferen Wettbewerbsbedingungen. Schließlich gab er an, die Chancengleichheit zwischen Stadt und Land weiter verbessern zu wollen.

Kurze Vorstellungsstatements gab es auch von den weiteren Neuen. Kraus-Winkler versprach, für die Erholung des Tourismus in Österreich alles in Bewegung setzen zu wollen, Tursky stellte bis 2030 Gigabit-Datenanschlüsse für ganz Österreich in Aussicht. Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm, die nun auch für Zivildienst und Ehrenamt zuständig ist, dankte Nehammer für das erweiterte Vertrauen.

Ukraine, Corona und Immunität,...

Im Nationalrat stehen auch diverse Beschlüsse an, etwa die Anhebung der Studienbeihilfe und Änderungen bei der Sozialhilfe, die den Ländern etwas großzügigere Regeln ermöglichen. Budgetär muss vor allem wegen des Ukraine-Kriegs vorgesorgt werden. Für heuer wird ein Defizit von 3,1 Prozent des BIP eingeplant, statt der bei der Budgeterstellung erwarteten 2,3 Prozent. Verlängert werden diverse Corona-Sonderregeln, von Impfungen durch Sanitäter bis zur Basis für die Durchführung von Screeningprogrammen.

Außerdem kam am Mittwoch der Immunitätsausschuss zusammen, um über die Auslieferung von FPÖ-Klubchef Herbert Kickl abzustimmen. Man stimmte einstimmig dagegen. Der Magistrat wollte gegen Kickl nach einer Empfehlung für Ivermectin, einem Wurmmittel, zur Behandlung von Corona vorgehen. Doch die Parlamentarier sehen einen Zusammenhang mit Kickls Tätigkeit als Mandatar und ermöglichten die Verfolgung nicht.

... und die Reparatur eines "skandalösen" Gesetzes

Auch eine Gesetzesreparatur wird beschlossen. Es geht dabei um das Rücktrittsrecht von Lebensversicherungen bei vorliegender Fehlberatung, das zurückkommen soll. Ab sofort ist damit gesetzlich klargestellt, dass Konsumentinnen und Konsumenten bei einem Spätrücktritt wegen fehlender oder grob fehlerhafter Belehrung die einbezahlten Prämien zurückerhalten. Die Türkis-Blaue Regierung hatte 2018 Beschränkungen eingeführt, wonach ein Rücktritt kostenlos nur noch ein Jahr und ab dem sechsten Jahr der Versicherungszeit gar nicht mehr möglich ist. Empörte Reaktionen von Konsumentenschützern waren die Folge, später kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Regelung teilweise, die Versicherungen waren erfreut.

Nina Tomaselli (Grüne) bezeichnet den bereits damals stark kritisierten Beschluss auch heute noch als skandalös: "Wir Grüne haben diesen Kniefall vor der Versicherungsbranche im Ibiza-U-AUsschuss auf die Tagesordnung gebracht. Die Aushöhlung des Konsumentinnenschutzes wurde von Türkis-Blau billigend in Kauf genommen", so Tomaselli, die auch im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss Fraktionsführerin der Grünen ist. Im Hintergrund seien damals, 2019, außerdem "undurchsichtige Deals mit Strache" gelaufen, das würden Akten belegen. Wie berichtet forderte der damalige FPÖ-Vizekanzler Strache "im Gegenzug Öffnung des Prikraf". Strache wurde letzten Spätsommer in einem Verfahren um einen vermuteten Gesetzeskauf im Zusammenhang mit der Privatklinik Währing wegen Bestechlichkeit schuldig gesprochen. (elas, lhag, APA, 18.5.2022)