Der Rechtswissenschafter Günther Schaunig und die Universitätsprofessorin Martina Zemp analysieren in ihrem Gastkommentar die Rektorswahl an der Universität Wien aus dem Blickwinkel der Gendergerechtigkeit.

Für den designierten Rektor der Universität Wien, den Kunsthistoriker Sebastian Schütze, hat die "Außenwahrnehmung" eine "gewisse Wirkung". In der Tat: Die einzige weibliche Mitbewerberin in den Dreierlisten der Findungskommission und des Senats, eine Professorin für Bildungspsychologie, hat die Wahl verloren. Das ist einerseits eine verpasste Chance für gelebte Interdisziplinarität, weil die Psychologie an der Schnittstelle zwischen Geistes- und Naturwissenschaften liegt. Andererseits wäre die Wahl einer Bildungspsychologin eine spannende Botschaft nicht nur für die Evolution universitärer Lehre, sondern für den gesamten Bildungsstandort Österreich gewesen. Besonders auffällig ist aber die versäumte Geschlechtergleichberechtigung: Seit Gründung der Wiener Universität vor mehr als 650 Jahren besetzten ausschließlich Männer den Rektorsposten. Woran liegt diese Ignoranz?

Geschlechtergerechtigkeit im Corporate Design, aber keine einzige Stimme für die Frau aus dem Dreiervorschlag.
Illustration: Oana Rotariu

Österreich ist ein Land der Pfründeverwalter. Wer gibt schon gern freiwillig eine kraft patriarchaler Konvention etablierte Vormachtstellung auf? Das Interesse von Männern an Frauen in Spitzen- und Führungspositionen könnte sich also in Grenzen halten. Ein beispielgebendes Ereignis ist eine Podiumsdiskussion an der Universität Wien zum Thema "Gläserne Decke für Frauen", an der der männliche Co-Autor dieses Beitrags teilnahm. Im Auditorium saßen damals geschätzte 100 Frauen, aber nur gezählte vier Männer. Offenbar interessieren sich also Männer nicht gleichermaßen wie Frauen für die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Mangelnde Einbindung

Zur Rektorswahl verlautbart der Universitätsrat auf seiner Homepage: "Nach intensiver Suche nach geeigneten Persönlichkeiten liegen 17 Bewerbungen vor, davon zwei von Frauen." Auch das mangelnde Interesse von Frauen an Spitzenpositionen sollte also in die Debatte einfließen. Monokausale Erklärungen verbieten sich freilich; daher ist insbesondere Zusammenhängen zwischen unterschiedlichen Hindernissen für Frauen nachzuspüren. Nach der Psychologin und Philosophin Carola Meier-Seethaler haben Kriegsmentalität und Frauenunterdrückung ein und dieselbe Wurzel. Nach der Autorin Hilde Schmölzer ist die Entwicklung patriarchaler Herrschaft ursächlich verknüpft mit Krieg und Gewalt. Vielleicht strecken also Frauen nicht so gern die Ellenbogen raus.

Übrigens war das finale Hearing im Universitätsrat nicht öffentlich. Der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der Universität Wien kritisierte in einer Stellungnahme seine mangelnde Einbindung und die unklare rechtliche Beschwerdemöglichkeit. All das ist in einem von Vetternwirtschaft erschütterten Land kein glückliches Signal. Auch bei einem sauberen und fairen Verfahren ist immer der äußere Eindruck entscheidend – in den Worten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: "Justice must not only be done, it must also be seen to be done."

"Satzungen von Universitäten könnten festschreiben, dass – jedenfalls bei mit Männern vergleichbarer Qualifikation – künftig nur Frauen Rektorinnen werden dürfen."

Das Gleichbehandlungsrecht und der in der Verfassung verankerte Gleichheitssatz erlauben prinzipiell sogenannte positive Maßnahmen: Zum gezielten Ausgleich der strukturellen Benachteiligung sollen Frauen in eng definierten Konstellationen (bei gleicher Qualifikation) vorrangig berücksichtigt oder mit Vorteilen bedacht werden. Echte Veränderungen erfordern daher kreatives Denken.

Beispielsweise lassen sich unter dem Schlagwort "gender based taxation" niedrigere Steuersätze für Frauen auf Erwerbseinkommen zur Kompensation von Wettbewerbsnachteilen diskutieren. Oder: Die Mitgliedsverbindungen des Österreichischen Cartellverbands nehmen keine Frauen auf. Zahlreiche Spitzenfunktionsträger im öffentlichen Dienst stammen aber aus diesem Sammelbecken. Es wäre zu diskutieren, dass keine Männer aus "Männerbünden" in Spitzenpositionen kommen dürfen. Möglicherweise könnten sogar Satzungen von Universitäten festschreiben, dass – jedenfalls bei mit Männern vergleichbarer Qualifikation – künftig nur Frauen Rektorinnen werden dürfen. Es müsste ja nicht gleich für die nächsten 650 Jahre sein; man könnte einmal mit 25 Jahren beginnen und schauen, was passiert. Das absehbare Naserümpfen der Systemverwalter wäre gleichzeitig ein Indiz für die Sinnhaftigkeit derartiger Experimente.

Zeichen setzen

Dass es im Jahr 2022 bei der Rektorswahl an einer Universität, die mit einem Gendersternchen Geschlechtergleichheit ins Corporate Design diktiert, keine einzige Stimme für die Frau aus dem Dreiervorschlag gab, ist ein Armutszeugnis. Das Gendersternchen verkommt so schnell zu einem Alibisternchen. Hoffentlich nutzt die universitäre Stimmenvielfalt die rückschrittlichen Zeichen alter Systeme zur Vorbereitung einer neuen guten Tat, die ein echtes Zeichen von Stärke wäre: die erste weibliche Person oder die erste Person mit nichtbinärer Geschlechtsidentität an der Spitze der Universität Wien. Es ist Zeit. (Günther Schaunig, Martina Zemp, 30.5.2022)