Bislang galt die scheidende Rechtsschutzbeauftragte der österreichischen Justiz Gabriele Aicher den meisten Beobachtern als eine Art Beate Hartinger-Klein des Systems Pilnacek. Oder um es in Aichers eigenen Worten zu sagen: "Sie müssen sich vorstellen, ich bin ein eigenständiges Organ mit Minimalausstattung." Nach ihrem Auftritt vor dem parlamentarischen ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss muss man aber erkennen, dass sie es auch im emotionalen Bereich nicht leicht hat. Warum es ihr "nicht zuzumuten" sei, weiterhin als Rechtsschutzbeauftragte tätig zu sein, erklärte sie unter anderem mit dem Umstand, dass es in Österreich Fan-Gruppen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gebe, die mit "I love WKStA"- T-Shirts herumliefen, während niemand ein "I love Rechtsschutz"-Leiberl trage.

Es gibt in Österreich Fan-Gruppen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die mit "I love WKStA"- T-Shirts herumlaufen.
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Ob es sich bei diesem Phänomen um einen echten Liebes-Indikator handelt oder nur um eine Marktlücke, könnte der Erfolg neuer Produkte klären. Die Modelle "I love Observation der missratenen WKStA", "Aktenfotografie – ja bitte!", "Uns fehlt Trump" oder "Ich war bei Gernots Vorbereitung auf Vernehmung – and all I got was this lousy T-Shirt" wären dafür ebenso prädestiniert wie Sinnsprüche à la "Bevor ma uns mit Akten plog’n, tua mas liaber glei daschlog’n", oder "Mi’m Eurofighter is jetzt Ruh, da mache ich ein Auge zu".

Literarisches Schaffen

Das OLG Wien befand allerdings, dass eine Zumutung eher in Aichers Vorwürfen gegen die WKStA bestünde, weil diese außerhalb der "Kontrollbefugnis der Rechtsschutzbeauftragten" lagen. Im November hatten STANDARD und Spiegel aufgedeckt, dass die Rechtsschutzbeauftragte sich die Presseerklärung zu ihrer WKStA-Kritik von der Kanzlei Ainedter hatte schreiben lassen, die einige Beschuldigte in den von Aicher kritisierten Verfahren vertritt. Dazu erklärte Aicher nun im U-Ausschuss, dass sie die Presseerklärung in der Kanzlei selbst geschrieben hätte. Das erscheint nicht unplausibel. In einer Stadt, die berühmt dafür ist, dass Schriftsteller ihre Werke in Kaffeehäusern verfasst haben, soll es auch einer Rechtsschutzbeauftragten erlaubt sein, für ihr literarisches Schaffen eine inspirierende Umgebung zu wählen.

Verstörender wirkt Aichers Rechtfertigung, sie selbst habe nicht davon gewusst, dass die Kanzlei Beschuldigte aus dem ÖVP-Umfeld vertritt, und sich im Vorfeld auch nicht darüber informiert.

Das sollte uns Kommentatoren, die wir uns ständig mit den Akten der Inseratenkorruptionsaffäre beschäftigen, zu denken geben. Wir glauben, dass mittlerweile schon wirklich alle wissen, um wen es da geht. Welch ein Irrtum! Nicht einmal die Rechtsschutzbeauftragte im Justizministerium weiß, wer da beschuldigt ist! Umso bewundernswerter, dass Frau Aicher trotzdem eine Beschwerde zu den Ermittlungen in genau diesem Verfahren eingebracht hat.

In der Rechtsprechung gilt der Grundsatz "ohne Ansehen der Personen". Gabriele Aicher dürfte das wörtlich interpretiert und ihre Beschwerde eingebracht haben, ohne dabei wahrzunehmen, um wen es überhaupt geht. Um das zu schaffen, hat sie möglicherweise das Prinzip "ohne Ansehen der Personen" auf "ohne Ansehen der Akten" ausgeweitet. (Florian Scheuba, 2.6.2022)