Jahrzehntelang hat der Journalist und Politiker Boris Johnson seine britischen Landsleute – aber auch die weltweite Öffentlichkeit – mit munteren Sprüchen und riskanten Witzen unterhalten, sie augenzwinkernd an die Fehlbarkeit des Menschen, nicht zuletzt des Menschen Boris Johnson, erinnert. Das hat ihm in gewisser Weise auch das Amt des Londoner Bürgermeisters und schließlich sogar den ersehnten Chefposten als Erster Minister Ihrer britannischen Majestät eingebracht.

Risikofreude, Lebenslust, eine Laissez-faire-Attitüde gegenüber Regeln und Gesetzen: Der britische Premierminister verkörpert und verkörperte eine Spielart englischer Politik, die bis zum Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert zurückreicht. Republikanische Roundheads gegen monarchistische Cavaliers hieß damals der Gegensatz; heute lautet die Frontstellung brave, gesetzestreue Demokraten gegen leichtfertige, rücksichtslose, ungenierte Populisten.

Boris Johnsons Rücktritt ist unvermeidlich.
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Als Letzterer hat sich Johnson spätestens dann positioniert, als er ohne eigene Überzeugung Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union nicht nur befürwortete, sondern sich auch plötzlich und mit Begeisterung an die Spitze der Brexiteers setzte. Johnsons leichenblasses Gesicht am Morgen nach dem gewonnenen folgenreichen Referendum im Juni 2016 verriet: Niemals hatten er und seine Spießgesellen mit dem Erfolg bei der Abstimmung gerechnet – kein Plan lag bereit.

Bis heute vermitteln die Brexiteers nicht den Eindruck, als wüssten sie mit der zweifellos größten Umwälzung britischer Innen- und Außenpolitik seit 50 Jahren umzugehen. Der schwere Schaden für das Vereinigte Königreich, für Europa und für den Ruf verantwortungsvoller Demokratien wird von Tag zu Tag deutlicher.

Schwerwiegende Probleme

Der Kavalier Johnson war stets und ausschließlich ein Mann für vergnügliche, angenehme, gute Zeiten. Wie er jahrzehntelang seine Frau, seine Geliebten und seine Vorgesetzten belogen und betrogen hatte, so belog und betrog er nun sein Land.

Aber die Corona-Pandemie, der weltweite Wirtschaftseinbruch, die galoppierende Inflation auf der Insel, der russische Überfall auf die Ukraine: All diese schwerwiegenden Probleme verlangen nach ernsthafter, mühseliger, integrer Politik. Dafür war Johnson noch nie geeignet.

Man mag spotten über all jene Konservativen, die unter dem Eindruck immer neuer Skandale plötzlich feststellen, welch mieser Charakter ihr Vorsitzender ist. Zu Recht spricht Labour-Oppositionsführer Keir Starmer von einer "korrumpierten Partei", die jahrelang das unverzeihliche Benehmen des Chefs verteidigt hat. Der jüngste Skandal um sexuelle Übergriffe im Regierungsteam und der jämmerliche Versuch, Johnsons Inkompetenz zu vertuschen, hat die Schockstarre beendet.

Sajid Javid, der von seinem Amt als Gesundheitsminister zurückgetreten ist, brachte das Problem auf den Punkt: Die Tories waren in ihrer langen Geschichte keineswegs immer populär. Aber sie hatten sich immerhin den Ruf erarbeitet, einigermaßen kompetent und mit Werten jenseits des egoistischen Eigeninteresses eine Regierung zu leiten. Diese Reputation hat schon unter David Cameron und Theresa May schwer gelitten. Johnson hat sie in den Staub getreten. Sein Rücktritt ist unvermeidlich. Großbritannien wird Jahre brauchen, um den Scherbenhaufen zusammenzukehren. (Sebastian Borger, 6.7.2022)