Arthur Fürnhammer hat Bücher über die kleinen Lokale, die man in Wien liebevoll Tschocherln nennt, geschrieben. Im Gastkommentar anlässlich der Debatte zur Schließung des Café Westend widmet er sich dem Kulturerbe Kaffeehaus.

Noch ein letzter Blick ins Westend. Vor zwei Wochen sperrte das Café an der Ecke Mariahilfer Straße und Gürtel zu.
Foto: Oliver Das Gupta

Das Café Westend ist Geschichte. Wahrscheinlich – wenn ihm nicht die Stadt Wien unter die Arme greift. Geschichte wie das Café Industrie, das Café Schottenring und über kurz oder lang wohl auch das Café Weidinger. Jedes Mal, wenn ich ins Weidinger gehe, denke ich mir: ein Wunder, dass es das noch gibt. Natürlich ist es schade, wenn wieder ein Kaffeehaus zusperrt. Es stirbt ein Teil von Wien. Und der Satz von Bert Brecht, wonach Wien ein Haufen von Kaffeehäusern sei, um die herum eine Stadt gebaut worden sei, verliert wieder ein Stück mehr Gültigkeit.

Reicht Tradition?

Ich bin mit dem Westend nie warm geworden. Warum, habe ich nie hinterfragt. Es ist ein Gefühl. Man fühlt sich wohl in einem Lokal oder nicht. Wenn ich jetzt darüber nachdenke: Vielleicht reicht es nicht, alt zu sein, Geschichte und Tradition zu haben. Irgendwann fiel mir das Westend gar nicht mehr ein, wenn ich in der Nähe war und einen Kaffee trinken wollte. Und das will was heißen bei jemandem, der so gern ins Kaffeehaus geht wie ich. Mein letzter Besuch muss fünf Jahre her sein. Seitdem ist das Westend offenbar renoviert worden, lese ich. Fraglich, ob das für mich etwas geändert hätte. Renovierungen bei Kaffeehäusern sind eine heikle Sache. Manchmal wird mehr zerstört als gewonnen. Wie etwa beim Café Hummel. Ins Hummel ging ich ganz gern, bis es renoviert wurde. Danach hat es jede Patina, jeden Charme verloren.

"Nach dem Regalkauf noch schnell zur Stärkung auf ein Schnitzel und eine Melange?"

Das Westend hat vielleicht zu lange nicht gewusst, was es sein will. Oder man hat sich darauf verlassen, dass bei dieser Lage, gegenüber von einem der größten Bahnhöfe Wiens, schon nichts schiefgehen kann. Aber seit ein paar Jahren ist der Westbahnhof, das Tor zum Westen, auch nicht mehr das, was er einmal war. Internationale Touristinnen und Touristen kommen hier jedenfalls nicht mehr an. Dafür gibt es jetzt gegenüber vom Westend einen Ikea. Ob das eine Aufwertung des Viertels darstellt, weiß ich nicht. Aber es gibt Kundschaft, die man vielleicht hätte abschöpfen können. Nach dem Regalkauf noch schnell zur Stärkung auf ein Schnitzel und eine Melange? Aber ein Café gibt's natürlich auch im Ikea selbst. Mit gemütlichen Sitzen noch dazu. Und einer tollen Aussicht, wenn man will.

Auch mein Stammcafé – das Eiles – wurde vor einigen Jahren renoviert. Zum Glück gelang hier die Übung. Die Qualität des Inventars wurde verbessert, die Patina irgendwie erhalten. Das Café atmet Atmosphäre. Und wurde behutsam ins 21. Jahrhundert geholt. Mit dem neuen Eigentümer kamen zwar auch die Touristinnen und Touristen, aber in verträglichen Maßen. Obwohl es fast im ersten Bezirk liegt, wurde es nicht zur reinen Touristenattraktion. Keine Menschenschlangen vor dem Eingang wie beim Café Central oder beim Hawelka.

Ein Kulturerbe – wie das Riesenrad

Natürlich kann man philosophieren, wie es mit den Kaffeehäusern in Wien weitergeht. Klar ist, dass sie zum Wiener Kulturerbe zählen wie das Riesenrad. Und dass es keine neuen geben wird. Sperrt eines zu, kommt es nicht wieder. Noch gibt es sie, noch kann ich – und das ist ja das typisch Wienerische –, wenn ich will, einen kleinen Braunen bestellen und den ganzen Nachmittag lang Zeitung lesen, ohne vom Kellner schief angesehen zu werden. Noch gibt es den Ort, zu dem ich gehen kann, wenn ich allein sein will, aber dafür Gesellschaft brauche (danke, Alfred Polgar). Aber wie viele Leute wollen das heute überhaupt noch außer mir?

Braucht es also Touristinnen und Touristen, damit die Kaffeehäuser überleben? Das mag mit ein Grund sein, warum auch das Café Ritter strauchelt und schon einmal Geld von der Stadt Wien bekam. In die Ottakringer Vorstadt verirren sich nur wenige ausländische Besucherinnen und Besucher. Braucht es mehr Innovation? Der Chef vom Café Schopenhauer hat das Konzept des Phil – Kaffeehaus und Buchladen in einem – ins Schopenhauer übertragen. Mit Erfolg, das Kaffeehaus boomt. Und das im 18. Bezirk in Gürtel-Nähe.

"Die soziale Komponente ist heute nur noch in einer schlecht angesehenen Spielart des Wiener Kaffeehauses zu Hause, dem Tschocherl."

Tatsache ist, dass die Kaffeehäuser ein Nachwuchsproblem haben. Ich habe keine Ahnung, wie die heute 20- oder 30-Jährigen denken. Aber wenn ich weiß, dass es bei Starbucks gemütliche Lehnsessel gibt und eventuell Musik nach meinem Geschmack, warum soll ich mich dann in ein altertümlich wirkendes Café setzen, mit unbequemen Sitzgarnituren, wenig Beinfreiheit oder gar mit knarzenden Thonet-Sesseln? Dass es dort internationale Zeitungen gibt (was für ein Luxus heutzutage!), geht bei der Jugend wohl auch ins Leere. Den Spiegel oder die Zeit am iPad auf der eigenen Couch zu lesen ist deutlich gemütlicher, und es gibt sie ja auch in den sogenannten sozialen Netzwerken.

Wie Familie

Soziale Netzwerke waren die Kaffeehäuser früher selbst einmal. Man kannte sich, traf Kommilitonen, Kollegen, Gleichgesinnte, Freunde. Diese soziale Komponente ist heute nur noch in einer schlecht angesehenen Spielart des Wiener Kaffeehauses zu Hause, dem Tschocherl. Hier mag man den einen Gast mehr, den anderen weniger, aber man ist unter sich, wie in einer Familie. Die Kellnerin fragt, wie es einem geht, man ist zu Hause, wie in einem verlängerten Wohnzimmer. Aber auch die Tschocherln haben ein Nachwuchsproblem. Auch die sperren zu, wie das Café Chaos und das Espresso Florida in meiner Nachbarschaft. Nur bei den Tschocherln fällt's keinem auf. (Arthur Fürnhammer, 16.7.2022)