Als die Strafprozessordnung zu Jahresbeginn 2008 modernisiert wurde, war sie eigentlich schon wieder überholt. Denn wenige Wochen zuvor war ein Ding erschienen, das in seinen unterschiedlichen Ausprägungen das Leben der Menschen wie kein anderes verändern sollte: das iPhone. Es folgten der rasante Aufstieg von Facebook und Whatsapp bis hin zu Telegram.

Reagiert hat die Justizpolitik darauf punktuell, etwa mit Maßnahmen gegen Hass im Netz. Aber ein großes Update, das umfassend alle einzelnen Ausprägung des Justizsystems ins Online-Zeitalter brachte, gab es bislang nicht.

Man kann die Forderung von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), doch zumindest über die Auswirkungen der Smartphone-Ära auf Strafverfahren zu debattieren, also nicht so einfach vom Tisch wischen. Vermutlich wäre das Thema nicht so hoch auf ihrer Agenda, wäre nicht "ihr" Kanzler Sebastian Kurz durch den Inhalt ausgewerteter Chatnachrichten gefallen und wären nicht so viele Parteifreunde von ähnlichen Ermittlungen betroffen. Aber nur weil man die Motive anzweifelt, muss man nicht den Inhalt ignorieren.

Karoline Edtstadler will über die Auswirkungen der Smartphone-Ära auf Strafverfahren debattieren.
Foto: Heribert Corn

De facto ist es unter Juristinnen und Juristen schon fast Konsens, dass die Einstufung von Smartphones als "Gegenständen", die man als Ermittler "sicherstellen" kann, anachronistisch ist. Fast alle plädieren dafür, hier höhere Hürden anzusetzen.

Die Krux liegt natürlich in der Ausgestaltung einer Reform. Edtstadler fragt, wie man sicherstellen kann, dass Staatsanwälte nicht überschießend viel auswerten. Genauso muss man aber darauf achten, dass Ermittler nicht zu wenige Daten erhalten. Gerade bei Korruptionsdelikten sucht man die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen, und selbst die erkennt man oft erst, wenn man den beruflichen Kontext und den Jargon der Beschuldigten durch zahlreiche andere Nachrichten rekonstruiert hat.

Die Rolle der Chats

Dass bei diesem Thema auch justizintern viel in Bewegung ist, zeigte zuletzt der Korruptionsprozess gegen Heinz-Christian Strache. Während die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) davon sprach, dass Chats nicht lügen würden, und sich auf die Kraft des geschriebenen Wortes als Beweismittel verließ, argumentierte die Richterin in ihrem Freispruch, dass Chats "schnell hingeschrieben" würden – man sie also nicht überbewerten solle.

Ein anderes Beispiel findet sich in Paragraf 115 des Strafgesetzbuchs: Wer per E-Mail beleidigt wird, hat derzeit dagegen keine Handhabe. Denn eine Beschimpfung, Verspottung oder auch eine körperliche Misshandlung wie ein Stoß müsse vor mindestens drei Personen stattfinden, heißt es im Strafgesetzbuch. Ist das noch zeitgemäß?

Sich da einer Diskussion zu verweigern, nur weil der Anstoß aus den Reihen der ÖVP kommt, ist nicht angebracht. Allerdings wirken manche ihrer Vorschläge, als wären sie zu sehr mit den ÖVP-Affären im Hinterkopf entwickelt. Denn die Regeln hätten auch große Wirkung auf die Arbeit von Ermittlern gegen Kinderpornografie oder Drogendelikte – und deren Arbeit zu erschweren wäre für eine konservative Politikerin und Ex-Richterin in dem Bereich paradox.

Bevor man auch nur einen Beistrich an der Strafprozessordnung ändert, sollten also viele Betroffene gehört werden. Womöglich wäre eine Enquete der richtige Ort dafür. Eine öffentliche Diskussion ist jedenfalls notwendig. (Fabian Schmid, 4.8.2022)