Es sind die Räume, nicht die Plätze, die im Büro von heute im Fokus stehen. Was damit gemeint ist? Der eingesessene Schreibtischsessel, das Bild von der Familie sowie der Kaktus, die am Schreibtisch stehen, sind Schnee von gestern. Über die letzten Jahre "entwickelte sich eine regelrechte Kultur des eigenen Ortes im Einzel- oder Großraumbüro", schreibt der Autor und Architekturhistoriker Andreas K. Vetter im Vorwort des Buches "Best Workspaces". Und genau diesen einen Ort will man im modernen Büro auflösen. Im 21. Jahrhundert gehe es nun endlich auch in der Arbeitswelt um Innenarchitektur, schreibt Vetter weiter, und das Büro wurde "kontinuierlich in eine vollkommen neue Qualität transformiert".

Wie diese neue Arbeitswelt aussieht, zeigt sich an den Ergebnissen des Wettbewerbs sowie der dazugehörigen Publikation "Best Workspaces", die im Callwey-Verlag erschienen ist.

Im Bild: Auf dem ersten Platz und somit "Best Workspace" ist der Carlsen-Verlagscampus in Hamburg, geplant von de Winter Architekten. Das ehemalige Fabrikgebäude ist Arbeitsplatz für 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wo es in der großen Halle zu laut werden könnte, wurden Büroboxen aufgestellt. Da der Verlag auf Kinder- und Jugendbücher spezialisiert ist, widmet sich die Gestaltung Comicfiguren wie Petzi, Tim und Struppi oder den Peanuts, gleichzeitig wurden alte Schalthebel oder Kranzüge aus der früheren Nutzung des Gebäudes erhalten. Die Jury nennt das Büro eine "außergewöhnliche Arbeitsumgebung".

Foto: Mark Seelen, Best Workspaces

Aus allen Einreichungen wurden 50 Projekte ausgewählt und ausgezeichnet, fünf erhielten eine Anerkennung, und ein Projekt wurde mit dem ersten Preis als "Best Workspace" prämiert (siehe oben).

In einer Zeit, in der immer mehr Menschen auch daheim oder von unterwegs arbeiten, müssen sich aber auch die Büros dieser neuen Situation anpassen. Wohnliches Ambiente werde auch am Arbeitsplatz zunehmend wichtiger, schreibt Vetter. Er hat das Buch zum Award gemeinsam mit Nicole Haft-Zboril verfasst, sie ist Senior Vice President Real Estate Management der BMW Group. Das Unternehmen hat den Wettbewerb gemeinsam mit weiteren Partnern aus der Wirtschaft sowie zwei Architektur- beziehungsweise Baumagazinen ausgerufen.

Im Bild: Ein Anerkennungspreis ging an das Büro von Personio München, geplant von INpuls interior design & architecture. Das Softwareunternehmen entwickelt HR-Lösungen und ist im Gebäude des ehemaligen Postverteilerzentrums Hopfenpost nahe dem Münchner Hauptbahnhof ansässig. 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in dem Büro mit Rohbaucharakter. Neben Einzeltischen für fokussiertes Arbeiten gibt es Gesprächsräume, Teambüros und spezifische Funktionsinseln zur Förderung von Aktivität und Kommunikation, dazwischen liegen bepflanzte Barrieren. Ziel ist ein schneller Wechsel vom Computerarbeitsplatz zur Meeting-Fläche. Es gibt zudem eine Kantine, eine Bar sowie einen "Playroom". Die Jury spricht von einem Büro, "in dem Mensch und Raum erfolgreich miteinander agieren können".

Foto: Daniel Schäfer/INpuls, Best Workspaces

In vielen der vorgestellten Projekte spielt nicht nur der Büroraum an sich eine Rolle, sondern auch die Zusatzangebote, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in der Mittagspause oder nach Feierabend nutzen können. Hinzu kommt oft, dass diese Angebote, etwa Kantinen, auch für das Umfeld und somit für Externe geöffnet werden.

Im Bild: Das Büro des Digitaldienstleisters TWT Digital Group in Düsseldorf, geplant von brandherm + krumrey interior architecture erhielt ebenfalls einen Anerkennungspreis. Das Gebäude mit Dachterrasse verfügt über 20 feste Arbeitsplätze, die als Fundament für die Planung dienten. Es gibt aber auch Open Spaces, Mehrfachbüros und umformbare Konferenzräume sowie Telefon- und Videoboxen, Meeting-Inseln, "Coffee-Points", Relax- und Fitnessräume. Laut Jury bietet die "großzügig entkernte Raumstruktur sehr viel kreativen Freiraum und ganz unterschiedliche Möglichkeiten, die Fläche immer wieder neu zu gestalten".

Foto: Joachim Grothus, Best Workspaces

Noch einen Schritt weiter geht das nächste Projekt, das die gleichzeitige Anwesenheit von Kindern und Eltern ermöglicht. Im Buch ist von einem Alleinstellungsmerkmal die Rede, "denn bisher gab es wohl keine einzige wirklich funktionierende Symbiose einer Kita mit einem ernstzunehmenden Arbeitsplatz".

Im Bild: Der Co-Workingspace Easy Busy in Berlin, geplant von transstruktura, Studio Singer, Futteralhaus, wurde mit einem Anerkennungspreis ausgezeichnet. Insgesamt gibt es 22 Arbeitsplätze an Einzel- oder Mehrpersonentischen in zwei Open-Space-Räumen sowie eine kinderfreundlich gestaltete Empfangs- und Bistrotheke. In einem von den Arbeitsplätzen durch eine Schallschutztür sowie einen Zwischenraum getrennten Bereich werden Kinder betreut. Es gibt außerdem eine Rückzugszone für stillende Mütter sowie eine kindgerechte Sanitäranlage. Und selbst im Kinderbereich sind Arbeitsmöglichkeiten für Eltern vorhanden. In dem Projekt "kommen Co-Working und Co-Playing als experimentelle Ideen zur ausgezeichneten Anwendung, die scheinbar gegensätzliche Welten in Balance halten und Verständnis fördern, wonach Leben und Arbeit zusammengehören und sich sozial und human verbinden lassen", schreibt die Jury.

Foto: Marco Armborst/Studio Singer transstruktura, Best Workspaces

Bei all der hochwertigen Planung ist nicht nur das Wohlfühlen zentraler Aspekt, natürlich geht es auch um die Steigerung der Produktivität in modernen Büros. Und dafür wird fast jeder Aspekt eines Raumes modelliert, etwa auch Licht und Akustik. Ein großer Teil der ausgezeichneten Projekte arbeitet mit Expertinnen und Experten zusammen, die genau auf diese räumlichen Gegebenheiten spezialisiert sind.

Im Bild: Eine weitere Anerkennung erhielt die Agentur Werbewelt, geplant von Seebald. Studio für Architektur & Gestaltung. Das Büro befindet sich in drei nebeneinander liegenden Geschäftslokalen in der Stuttgarter Innenstadt. Das erste dient dem konzentrierten Arbeiten, das zweite wird genutzt für Meetings und das dritte für Präsentationen und Events. Die Räume lassen sich durch Vorhänge trennen oder miteinander verbinden. Wichtig war den Auftraggebern ein explizit öffentlichkeitsnahes Interieurkonzept. Die Jury urteilt: "eine ganz besondere Arbeitsumgebung" und "eine echte Alternative zum Homeoffice".

Foto: David Franck Photographie

Die Kriterien, die von der Jury für die Auswahl der Preisträger herangezogen wurden, sind: Flexibilität, Kollaboration, Kommunikation, Konzentration und Wohlbefinden. Denn für die Gestaltung eines Büros brauche es heute ein ganzheitliches Konzept. Im Buch ist von einer hochkomplexen Herausforderung die Rede. Es gehe lange nicht mehr nur um die architektonische Hülle und die Inneneinrichtung. Planerinnen und Planer müssten sich viele Fragen stellen: Welche Arbeitsprozesse gibt es? Wie viele Menschen sind physisch präsent, und wie interagieren sie? Braucht es Bereiche für Kundinnen und Kunden? Welche Gemeinschafts- und Freizeitflächen oder welche Kinderbetreuungsangebote sind nötig? Nicht umsonst spreche man inzwischen von Arbeitswelten.

Im Bild: Die Leonhard-Arbeitswelt in Filderstadt bekam ebenfalls einen Anerkennungspreis. Die neuen Firmenräume des Büroeinrichters wurden geplant von blocher partners. Die Auftraggeberin selbst spricht vom "Büro als Lebensraum", da Menschen sich dort mehrere Stunden am Tag aufhalten. Die Arbeitsplätze lassen sich einfach vom Sitzen ins Stehen einstellen und sogar inklusive der nötigen Materialien von Raum zu Raum tragen – so sei auch spontanes Teambuilding möglich, heißt es im Buch. Plantboxen, Regalbretter und Aktenhalterungen lassen sich mittels Holzscharnieren je nach Bedarf umhängen. Es gibt ein Mikro-Apartment als Rückzugs- und Ruheraum mit Bett, Waschbecken und Dusche. "Hier würde sicher jeder geistig Tätige gerne arbeiten", sagt die Jury und nennt das Büro eine Ideallösung.

Foto: Joachim Grothus/partners, Best Workspaces

Neben konkreten Projekten wurden auch zwölf Produkte für Workspaces ausgezeichnet. Das Buch zum Wettbewerb stellt beide Kategorien ausführlich vor und zeigt zahlreiche Bilder, dazu gibt es Interviews mit den Architektinnen und Architekten sowie die ausführlichen Stellungnahmen der Jury zu lesen. Gleichzeitig zeigt sich bei der Lektüre der Status quo moderner Arbeitswelten – und vor allem, welche hohen Maßstäbe in der Branche mittlerweile gelten.

Im Bild: Der Schauraum des Textilunternehmens Hakro in Schrozberg wurde geplant von Seebald. Studio für Architektur & Gestaltung + Werbewelt. Insgesamt 1.600 Pflanzen wachsen in schwarzen, raumteilenden Stahlregalsystemen. Es gibt außerdem eine Dachterrasse und einen mit weißen Vorhängen umrandeten Showroom. Sechs abgeschirmte Inseln dienen als Besprechungs- und Präsentationsräume. Daneben gibt es eine Showküche, eine Bar sowie einen Bistro- und Lounge-Bereich. (Bernadette Redl, 6.8.2022)

Foto: David Franck Photographie/Best Workspaces

"Best Workspaces 2022"
Nicole Haft-Zboril und Andreas K. Vetter

€ 100,80 / 368 Seiten
Callwey 2022

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