Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Forderungen an die Regierung herangetragen würden, der rekordverdächtig hohen Inflation doch etwas entgegenzusetzen. Ideen dafür gibt es genug, schließlich sind die Preissteigerungen ja kein rein österreichisches Phänomen – mehr oder weniger vernünftige Vorschläge für preisdämpfende Maßnahmen gibt es in ganz Europa. Die österreichische Politik braucht sich da nur zu bedienen.

Den Forderungen gemeinsam ist ein wiederbelebtes Vertrauen in einen starken, fürsorglichen Staat, der seiner Bevölkerung allerlei Beschwerlichkeiten abnimmt – und zwar so, dass für die Kosten niemand aufkommen muss. Und wenn doch, kann man immer noch ein Schröpfen irgendwelcher ominöser "Superreicher" oder internationaler Konzerne in den populistischen Diskurs werfen. Es entspricht der ideologischen Grundausrichtung der Sozialdemokratie, dass sie sich beim Ruf nach Preisdeckeln und Gebührenbremsen ganz besonders weit vorwagt.

Die Stadt Wien will die Gebühren für Wasser, Müll und Parkscheine erhöhen.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Und es entspricht dem Realismus roter Verantwortungsträger in Bundesländern und Gemeinden, dass sie dort, wo die SPÖ das Sagen hat, leider, leider doch auch die Preise und Gebühren erhöhen müssen. Argumentieren lässt sich ja immerhin: Der böse Markt und die ähnlich böse neoliberale Regierung ließen den guten linken Managern ja keine Wahl.

Scheinheiligkeit

Mit einigem Recht wird vor allem den roten Populisten – blaue und andersfarbige Populisten sind mangels öffentlicher Zuständigkeit nicht in der Verlegenheit, Gebührenerhöhungen im eigenen Bereich verteidigen zu müssen – eine gewisse Scheinheiligkeit unterstellt.

Das gehört zum politischen Geschäft. Schon schwieriger wird es für ÖVP und Grüne, der Bevölkerung klarzumachen, dass man sie zwar in der Pandemie durch strenge Auflagen gängeln musste – die Bemutterung aber dort an ihre Grenzen stößt, wo sie mit massiver staatlicher Umverteilung von Einkommen und wohl auch von Vermögen verbunden wäre. Hier ist linker Populismus – auch in der rechten, völkischen Variante "Unser Geld für unsere Leut‘" – eben erheblich eingängiger als die Prinzipien von Eigenverantwortung, schlankem Staat oder enkelgerechter Finanzpolitik.

Nicht einmal die Grünen trauen sich, öffentlich Freude darüber zu bekunden, dass sich die Energiepreise nun in jene Richtung bewegen, die Umweltschäden durch Energieverschwendung einsichtig und eine Veränderung der Energieverbrauchsgewohnheiten lohnend machen.

Zu sagen, dass der Staat nicht alles kann; zuzugeben, dass auch öffentliche Versorger ihre gestiegenen Kosten weitergeben müssen – das ist eben nicht populär. Die Hilfen und Ausgleichszahlungen, mit denen man nicht nur den Ärmsten (wahlberechtigt sind schließlich auch die nicht ganz so Armen) hilft, reichen aus Sicht der Opposition ohnehin nicht – dass sie auch hier kritisiert, ist ebenfalls Teil des politischen Geschäfts. Und zum politischen Geschäft gehört natürlich auch, dass der Gewerkschaftsbund mit der politischen Losung "Preise runter!" in vielen Städten auf die Straße gehen will. Adressat: die (Bundes-)Politik, die nach ÖGB-Lesart die Hände in den Schoß legt. Viel weniger politisch, aber für die Arbeitnehmer wirkungsvoller, wäre natürlich, wenn der ÖGB für deutlich höhere Löhne und Gehälter streiten würde. Das könnte ihm sogar wieder neue Mitglieder bringen. (Conrad Seidl, 19.8.2022)