Die moralische Entrüstung ist groß. In Österreich ist wieder ein Streit über den Sinn der EU-Sanktionen gegen Russland losgebrochen. Wie diese Auseinandersetzung geführt wird, ist über weite Strecken Gift für die Diskussionskultur. Wer kritische Anmerkungen zur Sanktionspolitik macht, wird zu rasch als "Putin-Freund" oder "Putin-Helferlein" abgekanzelt.

Dabei ist es gleich, ob diese Vorwürfe den oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) oder Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer treffen: So zu tun, als hätten ihre Einwürfe zur Russland-Politik keinen Platz im Diskurs, ist falsch. Die Sanktionsdebatte gehört dringend versachlicht – Kritikern muss mit Argumenten gekontert werden und nicht mit Diffamierungen.

Die Gaspreise sind schon vor Kriegsbeginn gestiegen.
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Zunächst sollte außer Streit stehen, dass Wirtschaftssanktionen gegen Russland moralisch richtig sind. Die Regierung in Moskau hat einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen ein Nachbarland begonnen, den es auf gnadenlose Art führt. Hier darf die internationale Staatengemeinschaft, und damit auch Österreich, nicht bloß als Zuschauer agieren. Es gilt, klar Position zu beziehen.

Aber das führt nur zur zweiten Ebene: Welche Sanktionen sind die richtigen? Ab hier wird es kompliziert. Prinzipiell gehörte jeder Kontakt mit der russischen Wirtschaft abgebrochen – wie sonst soll auf diesen Völkerrechtsbruch richtig reagiert werden? Aber diesen Weg lehnen die meisten EU-Länder und im Übrigen auch die USA zu Recht ab. Denn zwischen der EU und Russland bestehen starke gegenseitige Abhängigkeiten, und nicht nur die EU hat die Möglichkeit, Russland wirtschaftlich zu treffen, sondern das gilt auch umgekehrt. Genau deshalb wurden und werden nicht alle Verbindungen sofort gekappt.

Schuss ins eigene Knie

Die zentrale Frage lautet somit: Welche Ziele verfolgen wir mit den Sanktionen, bringen die konkreten Maßnahmen uns den Zielen näher, oder sind sie ein Schuss ins eigene Knie? Das muss kritisch debattiert werden, allein weil damit die Chancen steigen, die effektivsten Maßnahmen zu finden. Dass Stelzer die Sanktionen evaluiert sehen will, ist ebenso trivial wie richtig. Wer Treffsicherheit fordert, ist ein Putin-Helfer? Das ist doch unsinnig. Wie könnten Eckpunkte einer Evaluierung aktuell aussehen?

Da ist es falsch, wenn FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch so tut, als käme Russlands Wirtschaft unbeschadet durch den Krieg, während uns der Inflationskollaps drohte. Aktuell wächst die Wirtschaft in Österreich ebenso wie in fast allen EU-Ländern. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, während Russland in eine Rezession gestürzt ist. Russlands Wirtschaft leidet immens.

Aber richtig ist auch, dass die Sanktionen uns zusetzen und sich die Situation bei einem Gaslieferstopp zuspitzen würde. Zu einfach machen es sich auch jene, die sagen, dass Europa Gas gar nicht boykottiere, das Gasproblem also nichts mit den Sanktionen zu tun habe. Richtig ist, dass die Gaspreise schon vor Kriegsbeginn gestiegen sind. Aber diese Tendenz hat sich seitdem verstärkt. In einem Wirtschaftskonflikt schlägt jede Seite dort zu, wo sie es kann: die EU bei Technologie, Russland bei Gas.

Heißt das, Sanktionen gehören aufgeweicht, weil Putin mit einem Gasembargo liebäugelt? Nein. Aber uns muss bewusst sein, dass die Kosten immens wären und sie fair verteilt werden müssen. Auch dazu bräuchte es eine faktenbasierte und sachliche Debatte. (András Szigetvari, 23.8.2022)