Im Gastblog fragt Rainer Saurugg, ob und wie der vermehrte Einsatz von elektronischen Hilfsmitteln im Unterricht die versprochenen Lernresultate liefern kann.

Gleich eines vorweg: Wäre ich heute im Alter meiner Oberstufenschüler und Oberstufenschülerinnen, ich hätte auch eines haben wollen! Die Rede ist von einem iPad. Aber nicht irgendeines. Ein richtiges iPad Pro mit Apple Pencil. Meine Eltern hätten mir aber klar einen Vogel gezeigt.
 
Was jetzt wie eine Verkaufsveranstaltung klingt, bringt mich immer wieder zum Staunen, wenn meine Schüler und Schülerinnen ihre "Geräte" im Unterricht auspacken. 1199 Euro kostet der Spaß mit der größtmöglichen Bildschirmdiagonale. Man möchte ja auch genug Platz haben, oder? Ach ja, der Pencil schlägt sich zusätzlich mit 135 Euro zu Buche. Ohne geht’s ja nicht. Eh klar.

Schreiben, lesen, lernen - digitalisierte Tätigkeiten?
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Aus Buch und Heft wird Tablet

Innerhalb der letzten Jahre ging es rasend schnell: Immer mehr meiner Nachhilfeschüler und Nachhilfeschülerinnen stiegen von Heft auf Tablet um. Die häufigste Begründung: Man hätte immer alles dabei. Nicht nur jede Mitschrift eines jeden Faches wird mit digitalem Stift auf das digitale Glas gebracht, sondern auch alle Schulbücher lassen sich als Online-Variante damit abrufen. Der Inhalt der Schultasche lässt sich daher auf 700 Gramm reduzieren.
 
"Faszinierend!", würde Mr. Spock sagen. Ich mit meinen 44 Jahren frage mich hingegen, was das Ganze eigentlich soll. Oder besser macht. Wird jetzt irgendetwas effektiver? Aus Sicht der Schülerinnen und Schüler mit zahlungskräftigen Eltern ist so was natürlich ein Must-Have. "In unserer Klasse haben nur zwei kein Tablet!", erklärte mir unlängst ein Maturant eines katholischen Privatgymnasiums.

In aller Fairness muss ich zugeben, dass Apple das Schreibgefühl in punkto Usability perfektioniert hat. Es ist das Beste, was man für (elterliches) Geld bekommen kann. Aber zwangsläufig drängt sich für mich die Frage auf, was – neben dem Coolness-Faktor – damit im faktischen Unterricht anders oder besser wird. Immer wieder erzählen mir Schüler und Schülerinnen, dass ihre Klasse nun eine Laptop-Klasse sei. Sprich: Ein Endgerät auf private Kosten wird offiziell vorausgesetzt.

Weniger Papier, weniger Lebensnähe

Gehen wir nun davon aus, dass unsere Schüler und Schülerinnen mit digitalen Endgeräten in der Klasse sitzen. Was ist nun im Mathematikunterricht fundamental anders, neu oder innovativer im Vergleich zu einer Nicht-Laptop-Klasse? Als erstes fällt mir ein, dass weniger Papier verbraucht wird, da sämtliche Arbeitsblätter via Microsoft Teams abrufbar sind. Kopieren in Klassenstärke war also gestern. Als nächstes kann das Mathebuch daheimbleiben, da man es am Bildschirm "durchblättern" kann. Dann besteht noch die Möglichkeit, sich das eigene Mitschreiben zu ersparen: Ein Schnappschuss des Tafelbildes lässt sich mühelos in die digitale Mitschrift einbauen.
 
Eine gewisse Portion Ironie meinerseits wird wohl kaum zu überlesen sein. Ist das nun der große Wurf, wenn es um Digitalisierung im Unterricht geht? Ich lasse diese Frage mal stehen. Es gibt ja auch ein gängiges Mathematikprogramm, das im Großteil der Schulen eingesetzt wird: GeoGebra. Die einen Schulen verwenden CAS-fähige Taschenrechner in der Oberstufe, die anderen GeoGebra. Letztlich kommt in beiden Varianten das Gleiche raus: Zum einen die richtige Lösung und zum anderen der Einsatz von Technologien, die es im echten Leben für 99 Prozent der Maturanten und Maturantinnen de facto nicht geben wird. Welche Jobs – außer bei Mathematiklehrern und Mathematiklehrerinnen – kennen Sie, wo 150 Euro teure Taschenrechner oder GeoGebra standardmäßig eingesetzt werden? Das würde mich tatsächlich interessieren.

Alternativen und Ausblick

Warum redet niemand über Excel? Dieses Programm ist als Teil des Microsoft Office Pakets geradezu eine Selbstverständlichkeit und es ist stets schnell zur Hand, um Daten, Zahlen oder Listen schnell auszuwerten. Und vor allem das Thema der statistischen Kennzahlen, vom arithmetischen Mittelwert über die Standardabweichung bis hin zum Korrelationskoeffizienten, ließe sich damit wunderbar behandeln. Und unsere Schüler und Schülerinnen würden ein paar Anwendungskenntnisse fürs Leben mitnehmen. Etwas mehr Realitätsnähe wäre also wünschenswert.

Noch eine kleine Frage am Rande: Können die jungen Leute anhand ihrer Mitschrift auf ihrem iPad eigentlich gut lernen? Oder wäre da das gute alte Heft nicht nur aus haptischen Gründen praktischer? Unlängst erklärte mir eine Maturantin, die schon relativ früh auf das Tablett umgestiegen war, dass sie ohne eigentlich besser lernen könne. Also besser zurück zum Ursprung?

Was soll ich nun als Vater eines heute Vierjährigen dazu sagen? Dieses Thema wird auch mir irgendwann um die Ohren fliegen. Aber gerade in Zeiten, wo immer mehr Inhalte (von der Smartwatch bis zum Tablet, von Facetime bis Zoom) uns tagtäglich via Bildschirm erreichen, ist ein Schulbuch und eine eigene Mitschrift schon fast wie ein digitales Detoxing. Und vielleicht auch eine Erholung für die Augen. Und wahrscheinlich auch für die Geldbörse. (Rainer Saurugg, 31.8.2022)

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