Es war wieder einmal eine politische Woche voller Zorn. FPÖ-Chef Herbert Kickl startete sie mit verbalen Rundumschlägen nach links und rechts, weiter ging es im Parlament, wo sich die Opposition vereint über die Erdgas-Lenkungsmaßnahmen-Verordnung empörte – und diese per Abstimmung verhinderte. Darauf verlagerte sich der Zorn in Richtung Regierung. Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer schimpfte die Sozialdemokraten gar, sie seien schuld, wenn in diesem Winter Österreichs Kinderzimmer kalt blieben.

Das Konzept Gemütlichkeit der SPÖ hat über Jahrzehnte bestens funktioniert.
Foto: Heribert CORN

Währenddessen fackelt Putin Gas ab, das die EU gut gebrauchen könnte; die ÖVP kämpft mit allen Mitteln gegen den U-Ausschuss, der ihre mutmaßliche Korrumpierbarkeit untersuchen soll. Was die Menschen unmittelbar betrifft: Die Teuerung galoppiert davon, und Corona ist auch noch immer da. Ein Konglomerat an negativen Gefühlen all das.

Da verwundert nicht, dass viele Menschen "die" Politik einigermaßen satthaben und zum Beispiel jeden noch so obskuren Kandidaten für das Bundespräsidentenamt unterstützen. Nach fast drei Jahren Pandemie, mit den Folgen des Ukraine-Kriegs, die immer stärker spürbar werden, und angesichts immer neuer Enthüllungen über die Methoden der Langzeitregierungspartei ÖVP lechzen viele Wahlberechtigte nach Alternativen – seien sie noch so seltsam.

Gemütlichkeit

Das ist für alle etablierten Parteien ein Problem – nicht nur für die Kanzlerpartei und ihren kleinen Koalitionspartner, die Grünen, die sich zunehmend im türkisen Strudel verfangen. Die SPÖ erfreut sich zwar gerade ziemlich guter Umfragewerte – aber das schlüssige Gegenkonzept, die logische Gegenerzählung in der momentanen Situation multipler Krisen fehlen auch hier. "Die soziale Frage bestimmt die Debatten, doch die Sozialdemokratie ist verstummt", schrieb vor kurzem die "Zeit" und meinte die Kanzlerpartei in Deutschland. Der Befund trifft auf die größte Oppositionspartei in Österreich genauso zu. Hier ein bisschen mehr verteilen, dort ein bisschen mehr fördern, am besten nicht die Steuern erhöhen. Der Erfolg der Sozialdemokratie sei ihre "Allmählichkeit", schreibt die deutsche Wochenzeitung – in Österreich könnte man es mit Gemütlichkeit übersetzen: nicht so traditionalistisch verhaftet und rückwärtsgewandt wie die Konservativen, aber auch nicht radikal wie die Kommunisten. Wohlstand und Gerechtigkeit für alle, so langsam gesteigert, dass sich alle daran gewöhnen können. Dieses Konzept hat über Jahrzehnte bestens funktioniert. Das neue Jahrtausend hält aber offenbar nichts von Gemächlichkeit: Eine Krise jagt die andere, und die größte, nachhaltigste ist wohl die Klimaerhitzung, die neue, noch viel kompliziertere Verteilungsfragen aufwirft.

Man soll sich von guten Umfragen nicht täuschen lassen: Will man das Wahlvolk nicht an Obskuranten am Rande des politischen Spektrums verlieren, muss auch die SPÖ deutlich an Tempo zulegen in der Beantwortung der großen Fragen dieser Zeit – mit einem großen Gegenentwurf. Der ist im Moment nicht auszumachen. (Petra Stuiber, 26.8.2022)