Der europäische Gaspreis ist am Freitag im Großhandel wieder nach oben geschnellt – auf ein Rekordhoch von 340 Euro je Megawattstunde. Im Schlepptau steigen auch die Preise für Strom. Abgesehen von der Preisbremse, die die Regierung demnächst präsentieren will, geht es nun auch um die Frage, ob und wie der Strom- vom Gaspreis entkoppelt werden könnte.

Bundeskanzler Karl Nehammer drängt auf eine europäische Lösung. Er habe sich in der Frage auch mit Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) und dem Premier des derzeitigen EU-Vorsitzlandes Tschechien, Petr Fiala, beraten. Man müsse "diesen Irrsinn, der sich derzeit auf den Energiemärkten abspielt, endlich stoppen", sagt Nehammer (ÖVP) in einem schriftlichen Statement im Vorfeld des Energiegipfels am Sonntag. Das gehe nur durch eine europäische Lösung. Man müsse den Strompreis vom Gaspreis entkoppeln und er müsse sich wieder an die tatsächlichen Kosten der Erzeugung annähern. Man dürfe "nicht zulassen, dass Putin jeden Tag über den europäischen Strompreis entscheidet".

In einer Ansprache vor dem Gipfel erklärte Nehammer weiters, man müsse gemeinsam das tun, was nötig ist, um ein vernünftiges Wirtschaften für die Industrie zu ermöglichen und gleichzeitig den Lebensstandard der Menschen in Europa nicht unnötig zu belasten. Wie die ZIB 1 berichtet, seien sich auch Strom- und Gasmarkt-Expertinnen und Experten einig, dass es eine gemeinsame europäische Lösung brauchte, denn aufgrund der Verwobenheit des Marktes fürchte man, dass kleinteilige, nationale Lösungen die Preise weiter in die Höhe schnellen lassen könnten.

Warum der Termin so kurzfristig zustande kam, könnte laut Einschätzung der ZIB aus dem verstärkten Druck auf die Regierung der letzten Tage resultieren. Es werde außerdem gemunkelt, die Stadt Wien könnte in den nächsten Tagen eine eigene Lösung auf den Tisch legen.

Statements nach dem Treffen sind am Abend nicht geplant. Für die sogenannte Übergewinnsteuer legen AK und ÖGB ein erstes technisches Modell vor.

Frage: Warum sind die Energiepreise wieder so kräftig gestiegen?

Antwort: Der Gaspreis ist unter anderem deswegen so hochgeschnellt, weil Russland angekündigt hat, Ende August die Gaslieferungen über Nord Stream 1 für drei Tage zu unterbrechen. Das nährt die Sorge, dass der Gasfluss aus Russland komplett stoppen könnte und Russland die Lieferung danach nicht wiederaufnimmt. An den Börsen spielen bekanntlich auch Erwartungshaltungen eine Rolle. Am Gaspreis hängt aber auch der Strompreis.

Frage: Ist das ein Naturgesetz?

Antwort: Nein. Deswegen wird nicht nur in Österreich über Auswege aus dem auch durch das Merit-Order-Prinzip mitverursachten Preiskarussell, wonach hohe Gaspreise automatisch das Strompreisniveau nach oben ziehen, debattiert. Es geht um die Frage, ob und wie man den Strompreis vom steigenden Gaspreis entkoppeln kann.

Die Sorge vor Gasknappheit treibt die Preise weiter nach oben. Das zieht auch den Strompreis mit.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Frage: Kann man die Merit-Order nicht einfach außer Kraft setzen, sodass nicht mehr das teuerste Kraftwerk den Preis bestimmt?

Antwort: Es wäre ein komplexes Vorhaben, das kaum auf nationaler Ebene umgesetzt werden kann. Auch die europäische Ebene muss eingebunden werden. Eine rasche Lösung ist unrealistisch. Dies würde zudem an der Strombörse zu einem anderen Bieterverhalten führen, was die Preise sogar treiben könnte, erklärten Karina Knaus und Christian Furtwängler im Energieagentur-Podcast "Petajoule". Knaus spricht von "Marktversagen" und vergleicht die Lage mit der Ölkrise der 1970er-Jahre. Der Ausweg wären schon da mehr Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien gewesen. Im Unterschied zu damals gebe es heute aber die technischen Lösungen. Auch andere Experten wie etwa die deutsche Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnen, dass es keine Vorschläge gebe, die besser seien als dieses Marktdesign.

Frage: Was ist mit dem Plan, Krisenprofiteure mit einer Übergewinnsteuer zu belegen?

Antwort: Die Debatte über eine solche "Windfall Tax" ist europaweit im Gange. Die EU-Kommission ist nicht abgeneigt. Hierzulande sind SPÖ, AK und ÖGB dafür, in der Regierung ist man unentschieden.

Frage: AK und ÖGB legen ein erstes ausgearbeitetes Modell vor. Wen würde die Abgabe treffen?

Antwort: Sie würde Energieunternehmen in Österreich befristet für die Jahre 2022 bis 2024 treffen, mit Ausnahme von Kleinunternehmen bis zu einem Umsatz von einer Million Euro. OMV, Verbund und Landesenergieversorger wären betroffen.

Frage: Wie hoch würde die Sonderabgabe ausfallen?

Antwort: Das Modell sieht eine Abschöpfung von 60 bis 90 Prozent der Übergewinne vor. Übergewinne wären dabei Gewinne, die über den Durchschnitt (vor Abschreibungen, Finanzergebnis und Steuern, Ebitda) der Jahre 2019 bis 2021 hinausgehen. Bei mehr als 110 Prozent dieses Referenzgewinns würde ein Steuersatz von 60 Prozent fällig, bei über 130 Prozent wären es 90 Prozent. Zudem wäre die Steuer von Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer absetzbar. Abgezogen werden könnten zudem Investitionen in erneuerbare Energie im Inland.

Europaweit wird darüber debattiert, wie man die Menschen entlasten kann – und wer die Kosten für die entsprechenden Maßnahmen übernimmt.
Foto: APA / Tobias Steinmaurer

Frage: Wäre so etwas Neuland?

Antwort: Georg Kofler, Professor für Internationales Steuerrecht an der WU Wien, verweist darauf, dass es immer wieder Zeiten gab, in denen man solche Abgaben auf gewisse Sektoren oder Zufallsgewinne einhob: etwa die Bankenabgabe nach der Finanzkrise. Die Verfassungsrichter hatten gegen diese Sonderabgabe auf einen bestimmten Wirtschaftssektor keine Bedenken. Den Vorschlag hält er für eine "gute Diskussionsgrundlage: Im internationalen Vergleich ist es quasi das Best-of davon, was wir derzeit in Europa haben." Zudem fasse er Punkte der Leitlinie der EU-Kommission im Rahmen der REPowerEU-Initiative ins Auge. (Regina Bruckner, 28.8.2022)