Auf dem Trockenen? FM4-Ente im geleerten ORF-Zierteich, damals zur Begrüßung der FM4-Belegschaft auf dem Küniglberg platziert.

Foto: APA / Vera Bandion

Wien – In einem offenen Brief an ORF-Generaldirektor Roland Weißmann protestieren Kulturschaffende gegen Überlegungen im ORF, auf der Frequenz von FM4 eine Art junges Ö3 zu etablieren. ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher sprach über diese Möglichkeit im Freitag veröffentlichten STANDARD-Interview. Würden die Überlegungen für FM4 und Ö1 umgesetzt, bedeute das einen "Anschlag auf die gesamte Kunst- und Kulturszene des Landes".

Update: Den Brief unterzeichneten, Stand Samstagnachmittag:

  • Bilderbuch,
  • Wanda,
  • Voodoo Jürgens,
  • Fuzzman (Herwig Zamernik),
  • Tocotronic (Dirk von Lowtzow),
  • Soap&Skin (Anja Plaschg),
  • Josef Hader,
  • Veronika Franz,
  • David Schalko,
  • Robert Stadlober,
  • Erwin Steinhauer,
  • Nikolaus Ofczarek,
  • Verena Altenberger,
  • Thomas Stipsits,
  • Stefan Grissemann,
  • Robert Palfrader,
  • Doris Schretzmayer,
  • Daniel Prochaska,
  • Pia Hierzegger,
  • Kati Strasser,
  • Sabine Wiedenhofer,
  • Lena Hoschek,
  • Michael Ostrowski,
  • Julia Cencig,
  • Cornelius Obonya,
  • Gregor Seberg,
  • Paul Poet,
  • Ulrich Seidl,
  • Markus Schleinzer,
  • Walter Gröbchen,
  • Stefan Redelsteiner,
  • Jutta Fastian,
  • Leila Abolahrar,
  • Hias Schaschko,
  • Oliver Welter,
  • Evi Romen,
  • Alexandra Venier,
  • Kurdwin Ayub,
  • Bettina Unterlercher,
  • Natascha Gangl,
  • Ute Liepold,
  • Stefan Sterzinger,
  • Bernhard Eder,
  • Clemens Berndorff,
  • Bernhard Kern,
  • Alex Kranabetter,
  • Daniel Wisser und
  • Eberhard Forcher.

Die Kulturschaffenden fordern "ein klares Bekenntnis zu FM4, zur Medienvielfalt und dem öffentlich-rechtlichen Auftrag der ORF Radioflotte". Dem STANDARD liegt ein Text des offenen Briefes vor, der am Samstag unter Kulturschaffenden zirkulierte und per Mail um Unterstützung warb. Die Rede ist von hunderten Unterstützerinnen und Unterstützern.

Der offene Brief fasst Thurnhers Aussagen teils sehr zugespitzt so zusammen: FM4 solle eine Art Ö3 für Junge werden und der Kultursender Ö1 ein "CNN Radio für Arme". Tatsächlich sprach Thurnher von mehr Wortinhalten auf Ö1 auf Kosten von Musik insbesondere in der Früh. Parallel berichtete der STANDARD über Sparpläne für das Ö1-Programm.

"Unendlich wertvoller Beitrag zur Popkultur"

FM4 habe in mehr als 25 Jahren "nicht nur einen unendlich wertvollen Beitrag zur Popkultur geleistet und internationale Karrieren von zahlreichen Stars mitbegründet". Der Alternative-Sender des ORF "war und ist Talenteschmiede und Ausgangspunkt für die Kunst- und Kulturschaffenden des Landes: SchauspielerInnen, RegisseurInnen, ModeratorInnen, bildende KünstlerInnen, MusikerInnen, die heute durch ihre Arbeit bedeutungsvolle Werke schaffen und damit hunderttausende Menschen, weit über Österreichs Grenzen hinweg erreichen, haben ihre ersten Schritte bei FM4 gesetzt", heißt es in dem offenen Brief.

Die Protestnote an Weißmann und Thurnher: "FM4 schafft Plattformen, Möglichkeiten, Experimentierfelder auf denen junge Menschen mit ihren Ideen erstmals ein breites Publikum erreichen können. Möglich, dass diese Vorstellungen so manchen in Politik und in Chefetagen nicht immer gefallen, umso wichtiger sind sie für Demokratie und Kultur im gesamten deutschsprachigen Raum. Kulturszenen vieler anderer Länder beneiden Österreich um diesen landesweiten Sender. Der Erfolg von FM4 und der FM4 KünstlerInnen in Deutschlandund der Schweiz sind dafür Beleg."

"Widerspruch zum öffentlichen Auftrag"

FM4 als Flankenschutz für Ö3 "in die Schlacht um immer mehr Werbegelder zu werfen, mag aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar sein, steht aber im klassischen Widerspruch zum öffentlichen Auftrag des ORF, der Verwendung der Gebührengeldern und ist nicht mit dem ORF-Gesetz vereinbar", heißt es weiter in dem offenen Brief.

Und: "Die Idee, den Musik- und Kulturanteil bei Ö1 zu Gunsten eines Inforadiokonzeptes zu reduzieren, mag möglicherweise der beruflichen Vergangenheit der Hörfunkdirektorin geschuldet sein, in ihrer neuen Position als Hörfunkdirektorin sollte sich Frau Thurnher langsam allerdings auch ihrer Verantwortung gegenüber der Kulturwelt bewusst werden."

Thurner sprach im STANDARD-Interview von mehr Wortinhalten und weniger Musik vor allem im Morgenprogramm von Ö1 – Pläne für ein Inforadio verneinte sie.

Bekenntnis zu FM4 und Ö1"als Kunst- und Kultursender"

Die Unterzeichner fordern ORF-Generaldirektor Weißmann auf, "ein klares Bekenntnis zum Fortbestand von FM4 und Ö1 als Kunst- und Kultursender dieses Landes abzulegen und die Ihnen, von der Bevölkerung zur Verfügung gestellten Gebührengelder für Bildung, Kunst und Kultur – auch in Ihrer Radioflotte – zu investieren."

Aber: "Dies ist keine Absage an Veränderungen", betont der Brief: "Dies ist die Aufforderung, diese nach öffentlich-rechtlichen und kulturellen, statt nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien umzusetzen. Gebührengelder sind für ein kulturell anspruchsvolles Programm einzusetzen und nicht für eine weitere Kommerzialisierung des ORF. Nur so kann einer Forderung nach einer Abschaffung der Gebührenfinanzierung von politischer Seite entgegengewirkt werden."

Samstagnachmittag wurden noch per Mail Unterstützungserklärungen gesammelt.

Update am Sonntag um 15.30 Uhr

ORF-Chef Weißmann hielt schriftlich gegenüber der APA fest, "selbstverständlich" die Kritik der namhaften Kunstschaffenden "sehr ernst" zu nehmen. "Es ist unser Auftrag und Anspruch, der heimischen Kreativszene als Auftraggeber, Plattform und Multiplikator zu dienen", so Weißmann. Der öffentlich-rechtliche Auftrag und der Umfang der ORF-Radioangebote stehe in keiner Weise zur Disposition. Auch entbehre eine aus den Aussagen falsch abgeleitete Kommerzialisierung der ORF-Radioflotte jeder Grundlage. "Eine wirtschaftliche und sparsame Gebarung ist allerdings auch und gerade für den ORF als überwiegend öffentlich finanzierte Institution eine Notwendigkeit", merkte der ORF-Generaldirektor an. Ziel sei es, die Radioflotte des ORF in die digitale Welt zu transformieren, sie in Einklang mit den sich ändernden Hör-Möglichkeiten und -Gewohnheiten unserer Hörerinnen und Hörer zu bringen und zu optimieren.

Er bemängelte eine "sehr verkürzte, polemische Darstellung" bzw. freie Interpretation Thurnhers Aussagen. So ist im offenen Brief von FM4 als "ein Art Ö3 für Junge" und Ö1 als "eine Art CNN Radio für Arme" zu lesen. Er lädt die Unterzeichnenden des Briefs ein, sich aktiv und konstruktiv und ohne Polemik an den Überlegungen für die Zukunft der Radioflotte zu beteiligen. (fid, 1.10.2022)