In meiner Zeit als CEO bei der Neuen Zürcher Zeitung hat uns 2015 der größte Werbekunde, eine Uhrenfirma, den Etat entzogen, weil die Berichterstattung über sie nicht so war, wie sie es gerne gehabt hätte. Wir haben redaktionell nichts geändert; der Kunde kam nach einem Jahr wieder, wenn auch mit viel weniger Umsatz.

Medien leben immer damit, dass jeder, der in ihnen vorkommt, sie beeinflussen will. Am häufigsten kommen Politiker vor, und die versuchen auch am meisten, die Berichterstattung zu ihren Gunsten zu verändern. Redaktionen sind in der Regel standfest. Aber das ist auf Dauer schwer, wenn man wirtschaftlich abhängig ist.

Medienministerin Susanne Raab und die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer präsentieren Details zu den Mediennovellen.
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Seit Jahren verlieren Verlage in Österreich schneller Printwerbung, die online zu Google oder Facebook zieht, als sie Nutzereinnahmen aufbauen können. Die Regierung bringt derzeit ein neues Mediengesetz auf den Weg, um Medien bei dieser Transformation zu helfen. Dafür gibt es eine neue Förderung, die an Qualitätskriterien gebunden sein wird, zum Beispiel an der Anzahl der Journalistinnen, die dem Kollektivvertrag unterliegen. Man kann das kritisieren – Quantität ist noch kein Qualitätsmerkmal –, aber es sind "nur" ca. 20 Millionen Euro Steuergeld. Einen weitaus größeren Betrag, jenseits von 200 Millionen Euro, geben Bund und Länder Jahr für Jahr an "Werbeausgaben" aus; eine Schamlosigkeit, die jede Bürgerin empören sollte. Die Stadt Wien etwa "bewirbt" ihr Müllabfuhrmonopol, was keinen erdenklichen betriebs- oder volkswirtschaftlichen Nutzen hat. Das Kalkül im Rathaus lautet wohl, damit die investigative Energie ernsthafter Publikationen zu drosseln und den Boulevard gnädig zu stimmen.

Bedrohter privater Medienmarkt

Diese "Werbung" wird im neuen Gesetz nicht begrenzt und reduziert. Wie Machiavelli sichern sich Machthabende damit nicht nur Einflussmöglichkeiten auf weniger standhafte Medien, sie bedrohen gleichzeitig den gesamten privaten Medienmarkt in ihrer Existenz. Die wichtigste Erlösquelle ist mittlerweile für die meisten Nachrichtenmedien der Nutzer. Da es sehr viele Abonnenten gibt und jeder einzelne wenig Gewicht hat, ist diese Erlösquelle diejenige, die auch mit Abstand am wenigsten Machtmissbrauchspotenzial hat.

Eine gute Medienpolitik sollte es Medien leichter machen, mehr Nutzereinnahmen online zu lukrieren. Durch die "Werbung", die zu einem großen Teil an Gratismedien wie Österreich oder Heute geht, wird die Entwicklung hin zu Online-Bezahlmedien aber wesentlich verlangsamt. Vergleichbare Länder wie Schweden, Dänemark oder die Niederlande zeigen, dass es für Medien ein Leben nach Print gibt, nämlich online und bezahlt. Hoch subventionierte Gratismedien stehen dem im Weg.

Die Erhöhung der kleinen staatlichen Förderung ohne eine drastische Senkung der riesigen staatlichen "Werbung" ist eine falsche Reform. Medien werden insgesamt abhängiger vom Staat. Nun mag es Stimmen geben, denen das keine Sorgen bereitet, weil sie prinzipiell kein Problem haben mit einer gewichtigen Rolle des Staates in der Wirtschaft. Denjenigen sei ein Blick auf Ungarn und Polen empfohlen. Wir sind immer nur eine Wahl von dortigen Medienverhältnissen entfernt. Private Vielfalt ist die beste Versicherung dagegen. (Veit Dengler, 9.10.2022)