Kurz nach 17 Uhr bekamen am Sonntag die Wahlsendungen über das Rennen um die Hofburg aus objektiver Sicht einen faden Beigeschmack. Da stand nämlich die zweite Amtsperiode von Bundespräsident Alexander Van der Bellen trotz Schwankungsbreite bereits fest. Eine Stichwahl war ausgeschlossen. Der blaue Kandidat, Walter Rosenkranz, war sicherer Zweiter. Das Treiben in der unteren Hälfte der Wahltabelle blieb etwas für politische Feinspitze. Dennoch lohnt sich ein zweiter, vielleicht sogar dritter Blick auf das Wahlergebnis. Daraus lässt sich nämlich durchaus etwas über die politische Verfassung Österreichs und künftige Wahlen ableiten. DER STANDARD hat sich vier Auffälligkeiten genauer angesehen.

Musste hinsichtlich einer zweiten Amtsperiode als Bundespräsident nicht lange zittern: Alexander Van der Bellen.
Foto: Heribert Corn

Van der Bellen hat eine Mehrheit, aber auch nicht mehr

Was auf dem ersten Blick nach einem Erfolg aussieht, ist es am Ende nur bedingt. Van der Bellens Anhang war bemüht, sich das Ergebnis nach dessen Wiederwahl auch ein wenig schönzureden. Ja, es waren so viele Kandidaten wie nie auf dem Stimmzettel. Und ja, Van der Bellen hat es mit rund 55 Prozent auf Anhieb über die Ziellinie geschafft und aus seiner Sicht eine Stichwahl vermieden. Aber aus dem Ergebnis lässt sich wohl auch ein gewisser Verdruss mit den aktuell Regierenden ableiten.

Immerhin erreichten die rechten und teils skurrilen Kandidaten gemeinsam deutlich mehr als 30 Prozent. Viel mehr als eine bloße Antihaltung zu Van der Bellen und der Bundesregierung war da im Wahlkampf nicht wahrnehmbar. Welch zunehmende Stimmung da aus der rechtspopulistischen Ecke Österreichs gerade in Krisenzeiten kommt, wird Van der Bellen am Ende wohl mehr interessieren als das gute Abschneiden seiner einzigen Konkurrenz auf linker Seite, Dominik Wlazny.

Es ist auch ein Trend: Seit Wochen schon hat die türkis-grüne Bundesregierung in aktuellen Umfragen nicht einmal mehr annährend eine Mehrheit (31 Prozent).

Der freiheitliche Abfluss und das rechte Potenzial

Schon im Wahlkampf zeichnete sich ab, dass das kein leichtes Rennen für die Freiheitlichen wird. Eine Stichwahl gegen Amtsinhaber Van der Bellen war für den blauen Volksanwalt Walter Rosenkranz aussichtslos. Dann musste er sich noch mit einer Reihe anderer Kandidaten (Tassilo Wallentin, Gerald Grosz, Michael Brunner) darum duellieren, wer der Rechteste ist. Am Ende sollte Rosenkranz (19,09 Prozent) niemand davon gefährlich werden. Aber die rechte Konkurrenz kostete den Blauen Stimmen. Von diesem Potenzial (16,52 Prozent) wäre wohl noch einiges zu holen gewesen, hätte es die anderen nicht gegeben.

Grosz profitierte laut Wählerstromanalyse (im Vergleich zur Nationalratswahl) dabei am meisten vom blauen Abfluss. Wallentin (222.000) hingegen räumte im Vergleich zu Rosenkranz (168.000) auffallend viele ÖVP-Stimmen ab. Auf die spitzten die Blauen auch mit ihrem Kandidaten.

Was aber kurzfristig negative Folgen für die FPÖ hatte, könnte ihr langfristig nützen. Die rechte Gegnerschaft spielte nämlich voll auf der blauen Klaviatur und verschafften dem "Anti-System"-Wahlkampf mangels Konkurrenz – Van der Bellen vermied praktisch das Wahlkämpfen – zahlenmäßig eine klare Mehrheit in der medialen Debatte.

Van der Bellen und die türkis-grüne Bundesregierung wurden dabei als Feindbild auserkoren. Der Groll richtete sich gegen die Corona-Maßnahmen und die Sanktionspolitik gegenüber Russland. Auf Stimmenfang gingen gleichsam alle rechten Kandidaten mit dem Versprechen, als Bundespräsident die Regierung umgehend aus dem Amt zu jagen. Davon fühlte sich ein Drittel aller Wählerinnen und Wähler angesprochen.

Eine menschgewordene Kunstfigur für die Jungen

Die Wandlung vom Musiker Marco Pogo zum wählbaren Präsidentschaftskandidaten ist Dominik Wlazny gelungen. Ohne klassischen Parteiapparat im Rücken und mit einem Wahlkampf via Social Media erreichte der 35-Jährige und somit jüngste Kandidat auf Anhieb mehr als acht Prozent. Das ist ein ansehnliches Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Wallentin (8,39 Prozent) und Grosz (5,96 Prozent) jeweils eine auflagenstarke Boulevardzeitung hinter sich hatten. In Wien sammelte Wlazny sogar rund elf Prozent der Stimmen ein.

Wlazny bot über Plattformen wie Tiktok und Co vor allem vielen Jungen eine neue politische Heimat. Jeder Fünfte unter 30 Jahren hätte das Gesicht der Bierpartei gerne in der Hofburg gesehen. Weniger begeistert waren dagegen die Älteren. Nur drei Prozent der über 60-Jährigen konnten mit dem Musiker, Mediziner und Kabarettisten etwas anfangen.

Die Impfskeptiker lechzen nach Corona-Maßnahmen

Nichts zu jubeln gab es hingegen für die Impfskeptiker der Partei Menschen, Freiheit, Grundrechte (MFG). Nur etwas mehr als zwei Prozent der Österreicherinnen und Österreicher konnten sich Michael Brunner als Bundespräsidenten vorstellen. Vielleicht mag der 61-jährige Rechtsanwalt vielen nicht sympathisch gewesen sein. Womöglich liegt es aber auch daran, dass die MFG für ein gutes Wahlergebnis die Corona-Maßnahmen der Regierung braucht, die sie dann lautstark bekämpfen kann.

Als die MFG bei der Gemeinderatswahl in Waidhofen an der Ybbs im Jänner mit rund 17 Prozent für einen Erdrutsch in Niederösterreich sorgte wurde gerade heftig über die zuvor beschlossene gesetzliche Impfpflicht diskutiert. Außerdem galt von November bis Ende Jänner ein Lockdown lediglich für Ungeimpfte. Ähnlich argumentieren lässt sich wohl auch der prompte Einzug in den oberösterreichischen Landtag im vergangenen Jahr.

Seit österreichweit Corona-Maßnahmen zurückgenommen wurden, schwindet auch das Potenzial der Impfskeptiker. Bei der Landtagswahl in Tirol Ende September verfehlte die MFG mit 2,78 Prozent den Einzug deutlich. Und nun war Brunner alles, nur keine Konkurrenz bei der Präsidentschaftswahl. Generell rumort es bei der MFG. Zuletzt zog sich der burgenländische Landessprecher wegen "autokratischer Zustände" zurück. Die Bundespartei sei wegen Intrigen und Turbulenzen dabei, "sich in die Luft zu sprengen".

Es wird ja gemunkelt, dass die Bundesregierung trotz steigender Corona-Infektionszahlen vor der Wahl bewusst mit verschärfenden Maßnahmen zugewartet hat, um ja keine Stimmen in diese Richtung zu verlieren. Die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer kündigte jedenfalls direkt danach an, dass die Maskenpflicht zurückkehren wird. Wann genau, sei noch unklar. (Jan Michael Marchart, 10.10.2022)