Kulturgeschichten des Alltags und Konsumkritik: Lukas Resetarits.

Foto: Katrin Werzinger

Der chinesische Spruch "Mögest du in interessanten Zeiten leben" wird ja gern positiv interpretiert. Fälschlich allerdings, denn tatsächlich handelt es sich dabei um einen Fluch. Und wenn sogar einer wie Lukas Resetarits mit seinen 74 Jahren an Humorerfahrung bekennt, dass jene "interessanten Zeiten", die wir heute durchzustehen haben, so schnell geworden sind, dass man mit dem Kabarettschreiben gar nicht mehr hinterherkommt, gibt das zu denken.

Nach 70er – leben lassen, Wurscht und Das Letzte legt der Kabarett-Großmeister nun mit Über Leben in nur fünf Jahren sein viertes Programm vor. Im Herbst seiner Karriere kehrt Resetarits damit zu einer rasanten Taktung zurück, mit der er zuletzt in den 1980er-Jahren auf den Bühnen unterwegs war. Er tue das, weil es nötig sei. Politiker wechseln so schnell, dass man sich nicht einmal mehr ihre Namen merke, von den Krisen ganz zu schweigen.

Nach dem tragischen Unfalltod seines Bruders Willi "Ostbahn Kurti" Resetarits im April dieses Jahres ist für Lukas auch eine Zeit gekommen, etwas persönlicher zurückzublicken. Veranstaltungsplakate zeigen den als Burgenlandkroaten in Stinatz Geborenen in verschiedenen Lebensaltern, vom kleinen Bub bis heute; mit Krowod – Erinnerungen an meine Jugend ist im Ueberreuter-Verlag ein Buch erschienen, das Resetarits als Student der Psychologie, "Beinahe-Rockstar" in Schweden, "Gammler" in Venedig oder "Polizeihäftling" in München beschreibt – Stationen eines gelebten Lebens, die natürlich auch in den Kabarettprogrammen auftauchen.

Gemüseanbau und Fallholz sammeln

In Über Leben aber zeigt Resetarits vor allem, wie alles das, von dem man dachte, dass es längst der Vergangenheit angehöre, in neuem Gewand wiederkommt: Die im Kalten Krieg still und heimlich angelegten Atombunker in Privathäusern, zwischenzeitlich zu Partykellern geworden, werden reaktiviert; Gemüseanbau, Nutztierhaltung und Norwegerpulli werden wieder in; in der Au sammeln Menschen Fallholz für den Kachelofen; das Waschen mit kaltem Wasser feiert fröhliche Urständ, diesmal nur vielleicht marketingtechnisch besser verpackt als "gut für die Hautstraffung".

Resetarits’ Tochter Kathrin fungierte wie bei den letzten zehn Programmen als Co-Autorin. So ist abermals ein Text entstanden, der Nostalgisches aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts versiert mit Trends der Gegenwart verschneidet. Von der Katzenwäsche im Lavoir ("Lawua") ist man bald bei den Duschgewohnheiten Kim Kardashians, vom Vierteltelefon bald bei Smartphone und Social Media – wovon er, Resetarits, manchmal die Finger lassen sollte, wie er zugibt.

Die sich wie Kreise schließenden Kulturgeschichten des Alltags, die Resetarits mit Konsumkritik verknüpft, aus der er sich selbst nicht ausnimmt, haben am Ende fast etwas Spirituelles. Ernsthaft aussprechen würde ein aufgeklärter Geist wie Resetarits es zwar nicht. Aber wenn alles wiederkehrt? Ist vielleicht auch der Tod nicht endgültig. (Stefan Weiss, 12.10.2022)