Wie viel würden Sie arbeiten, wenn Sie es sich aussuchen könnten?
Foto: Anton Vierietin

Nur so viel arbeiten, wie man möchte – klingt das nicht verlockend? Das Beratungsunternehmen Accenture hat genau das umgesetzt. Einmal im Jahr, zu einem beliebigen Zeitpunkt, ist es möglich, die Arbeitsstunden neu zu definieren. Teilzeit? Kein Problem. Oder wieder mehr arbeiten? Auch kein Problem. Accenture entwickelte ein Onlinetool, mit dem Mitarbeitende ihre Arbeitsstunden selbst bestimmen können – sofern sie seit mindestens sechs Monaten Teil des Unternehmens sind.

Onlinetool gibt Auskunft

Das Tool berechnet und zeigt an, wie hoch oder niedrig das Gehalt mit den verringerten oder erhöhten Arbeitsstunden ist. Es gibt auch die Möglichkeit, sich bis zu 15 Tage im Jahr mehr Urlaub zu erkaufen. Der Tagessatz wird dann aliquot vom Verdienst abgezogen. Zusätzlich kann man wählen, ob man nur an einem Projektstandort arbeiten möchte. Ein paar Einschränkungen gibt es allerdings: Es muss mindestens 16 Stunden in der Woche gearbeitet werden. Und die selbstgewählte Stundenanzahl ist für ein Jahr fix und in diesem Zeitraum nicht veränderbar.

Ansonsten wäre der bürokratische Aufwand zu hoch. Hat man selbst die neuen Arbeitsstunden im Onlinetool festgelegt, werden sie an die Personalabteilung weitergeleitet. Diese informiert dann die jeweilige Führungskraft. Trotz des Onlinetools hat die Personalabteilung (HR) durch dieses Angebot einen Mehraufwand, denn Pensions-, Krankenversicherung und Finanzamt müssen jedes Mal informiert werden, damit die Sätze angepasst werden. Die Anzahl der Mitarbeitenden in der Personalabteilung musste dafür aber nicht erhöht werden.

Chefin darf nicht mitreden

Was neu ist und so manch einer Führungskraft befremdlich scheinen mag: Sie haben bei der Änderung der Stunden kein Mitbestimmungsrecht. Und es muss vorher nicht mit ihnen besprochen sein. Ob eine Stundenänderung genehmigt wird oder nicht, ist damit nicht mehr vom Verhandlungsgeschick der Mitarbeitenden abhängig. Es müssen auch keine Gründe für die neue Stundenanzahl genannt werden.

Doch wie kommt die Veränderung im Team an? Fühlt man sich den Kollegen gegenüber nicht verpflichtet, sich zu erklären? Kann man guten Gewissens das Team mit der erhöhten Arbeitslast zurücklassen? Sprich: Gibt es trotzdem soziale Kontrolle oder Zwänge?

Die einjährige Testphase wurde vor fünf Jahren mit rund 2000 Personen im gesamten deutschsprachigen Raum durchgeführt. Am Anfang befürchteten die Führungskräfte große, plötzliche Personalnot: Was, wenn alle Mitarbeitenden nur mehr Teilzeit arbeiten wollen?

Nur wenige nutzen es

Diese Angst bewahrheitete sich aber nicht. Im Durchschnitt nutzen momentan von den rund 1000 Mitarbeitenden in Österreich nur rund fünf Prozent dieses Angebot. Laut Aussagen des Unternehmens nehmen das Angebot Menschen aller Alters- und Einkommensklassen an sowie ungefähr gleich viele Männer wie Frauen wahr.

"Wir bekommen sehr positives Feedback für dieses Angebot", sagt Martina Pitterle, HR-Chefin bei Accenture Österreich. Warum es allerdings trotzdem nur so wenige nutzen, wissen die Zuständigen des Unternehmens nicht. Auch in anderen Unternehmen werden solche Angeboten eher wenig angenommen. Die Crowdfunding-Plattform Kickstarter beispielsweise zog die Möglichkeit, unbegrenzten Urlaub zu nehmen, wieder zurück, weil sich die Mitarbeiter noch weniger freinahmen als zuvor. Vielleicht wird sich das in Zukunft aber ändern. Denn laut Umfragen wollen immer mehr Menschen Teilzeit arbeiten. (Natascha Ickert, 28.10.2022)