Telegram steht seit längerem in der Kritik, Desinformation und Hetze eine Plattform zu bieten.

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Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit. Schon seit mehreren Jahren versuchen deutsche Behörden erfolglos, Telegram zur Einrichtung gesetzeskonformer Meldewege und zur Benennung eines Zustellberechtigten zu bewegen. Nun muss der Messenger ein Bußgeld in Höhe von knapp 5,3 Millionen Euro zahlen. Es handelt sich um einen Präzedenzfall, der mehrere Fragen aufwirft. Allen voran aber jene, ob die Strafe überhaupt exekutiert werden kann. Immerhin war das Unternehmen mit Sitz in Dubai bisher kaum erreichbar, Rufe nach strengerer Moderation werden meist geflissentlich ignoriert.

Dennoch ist die Strafe von nicht unerheblicher Bedeutung. Sie dürfte eine Signalwirkung haben und klarstellen, dass auch Telegram sich an Gesetze halten muss. Das deutsche Innenministerium hat unter Nancy Faeser (SPD) bereits eine härtere Gangart eingelegt. Grund waren Morddrohungen gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Dezember letzten Jahres. Faeser kündigte kurz darauf an, härter gegen Hetze und Gewaltaufrufe auf der Plattform vorgehen zu wollen. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) stellte gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" sogar eine Netzsperre des Messengers in den Raum.

So weit ist es offensichtlich nicht gekommen. Stattdessen gab die deutsche Innenministerin im Februar bekannt, den Kontakt zu Telegrams Konzernspitze hergestellt zu haben. Ein erstes Gespräch sei demnach konstruktiv verlaufen, und man habe vereinbart, "den Austausch fortzusetzen und zu intensivieren".

Erstmals eine Geldstrafe

Tatsächlich scheint der Messenger seither immer öfter auf Behördenanfragen zu reagieren. Mitte Jänner wurden mehr als 60 Kanäle gesperrt, offenbar auf Druck des deutschen Bundeskriminalamts. Kurz zuvor verschwand bereits der rechte Hetzer Attila Hildmann von der Plattform. Als Begründung wurden Verstöße gegen "lokale Gesetze" genannt. Auch die EU-Sanktionen gegen Russland werden respektiert. Seit Anfang März ist der Staatssender RT DE deshalb nicht mehr erreichbar. Er galt als wichtige Informationsquelle für Verschwörungsideologen.

Schon im Februar konnte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Kontakt zu Telegram herstellen.

Dass Telegram nun mit einer Geldstrafe konfrontiert wird, verleiht den deutschen Bemühungen Nachdruck. Das Bundesamt für Justiz (BfJ) wirft dem Messenger "Verstöße gegen die Pflicht zur Vorhaltung gesetzeskonformer Meldewege sowie gegen die Pflicht zur Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten" vor. Aufgrund von Versäumnissen verstoße Telegram gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Netz DG) – also gegen das deutsche Pendant zum hiesigen Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPl-G) –, das Social-Media-Plattformen reguliert.

Schreiben ignoriert

In Wirklichkeit entzog sich der Messenger sehr lange dem Anwendungsbereich des Netz DG, indem er nicht auf Verfahrensschreiben reagierte. Seit April 2021 versuchte das BfJ eigenen Angaben zufolge wiederholt, diese "am Firmensitz von Telegram in Dubai zuzustellen". Erfolglos. Im März 2022 habe die Behörde "deshalb die öffentliche Zustellung beider Anhörungsschreiben im Bundesanzeiger" veranlasst, woraufhin sich eine deutsche Anwaltskanzlei im Namen Telegrams gemeldet habe. Die Vorwürfe hätte diese aber nicht entkräften können. Die am 10. Oktober zugestellten Bußgeldbescheide sind laut BfJ nicht rechtskräftig, Telegram kann also Beschwerde einlegen.

Ob sich der Messenger wegen einer Strafe in Höhe von 5,3 Millionen Euro tatsächlich in Bewegung setzt, muss man laut Miro Dittrich noch abwarten. Er ist Rechtsextremismusforscher beim gemeinnützigen Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) in Deutschland. Dieses hat unter anderem die Rolle Telegrams im Ukraine-Krieg untersucht.

Laut Dittrich könne man durchaus eine grundsätzliche Entwicklung Telegrams hin zu mehr Moderation erkennen. Auch auf Löschanfragen deutscher Strafverfolgungsbehörden reagiere der Messenger – wie eingangs erwähnt – mittlerweile häufiger. Die Sanktionsmöglichkeiten des BfJ seien jedenfalls längst nicht ausgeschöpft.

Keine Netzsperre

Ein Extrembeispiel möglicher Konsequenzen für die Nichteinhaltung von Gesetzen bietet Brasilien. Im März ordnete das dortige Höchstgericht eine Blockade des Messengers an. Dieser habe nicht auf richterliche Löschanordnungen reagiert, hieß es damals. Nur einen Tag später hatte Telegram alle zuvor ignorierten Auflagen "in vollem Umfang" erfüllt – und die Sperre wurde aufgehoben. Die Einführung einer solchen Netzsperre wäre jedoch ein drastischer Schritt, den auch Dittrich nicht gutheißen würde. Telegram hat mehr als 500 Millionen monatliche Nutzer, von denen nur ein Bruchteil für die Verbreitung von Hass und Hetze verantwortlich ist.

Es ist deshalb höchst unwahrscheinlich, dass es in Deutschland oder Österreich zu einem Verbot des Onlinedienstes kommen könnte. Stattdessen versuchen die Behörden immer konsequenter, dessen Betreiber zur Einhaltung lokaler Gesetze zu bewegen – und somit auf dieselbe Stufe zu heben wie Facebook, Instagram, Twitter und Co. (Mickey Manakas, 19.10.2022)