"Ich werde meinen politischen Beitrag leisten, damit nicht neuerlich die Situation eintritt, dass sich größere Menschenmengen auf unseren Landes- und Bundesstraßen auf den Weg von A nach B machen", sagt der Tiroler SPÖ-Chef

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Tirols Landeshauptmann-Stellvertreter Georg Dornauer (SPÖ) tritt für einen "restriktiveren Kurs" in der Migrations- und Asylpolitik ein. Man werde angesichts der Migrationsbewegungen "nicht imstande sein, allen entsprechend Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig mögliche Chancen auf Integration sicherzustellen. Das wird es realpolitisch nicht spielen", sagte Dornauer im APA-Interview.

Das Jahr 2015 dürfe sich in Sachen Migration "nicht wiederholen", machte Dornauer klar. "Ich werde meinen politischen Beitrag leisten, damit nicht neuerlich die Situation eintritt, dass sich größere Menschenmengen auf unseren Landes- und Bundesstraßen auf den Weg von A nach B machen", so der Tiroler SPÖ-Chef, der in der Landesregierung für die Flüchtlingsagenden zuständig ist.

"Europäische Lösung" gefragt

In Bezug auf einen restriktiveren Kurs sei die türkis-grüne Bundesregierung gefordert, so Dornauer. Jedenfalls brauche es eine "europäische Lösung". Gleichzeitig betonte er, dass die Unterbringung der Asylwerber und Flüchtlinge "menschenwürdig sein und der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen muss. Eine Unterbringung in Zelten ist für mich keine Option."

Dieser Migrationskurs stehe übrigens keinesfalls in Widerspruch zur Linie der Bundes-SPÖ: "Wenn ich der Bundesparteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner zuhöre, orte ich nicht, dass ich mich sehr von ihr unterscheide, und mit dem Kaiser-Doskozil-Papier wurde die Parteilinie festgelegt."

Fachleute zeigen sich erschüttert

In einem Offenen Brief an Bundesregierung und Landeshauptleute haben unterdessen Migrationsforscherinnen und -forscher die aktuelle Debatte um Flüchtlinge in Österreich kritisiert. Es sei "erschütternd und beschämend", dass zu Beginn der kalten Jahreszeit Schutzsuchende wieder in Zelten untergebracht werden sollen, heißt es in dem von über 50 Wissenschaftern verschiedenster Fachrichtungen unterstützten Schreiben der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie (ÖGS).

Kritik üben sie auch an der Argumentation von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), dass lediglich junge Männer aus Herkunftsländern wie Indien, Marokko und Tunesien in den Zelten untergebracht würden, die praktisch keine Chance auf Asyl hätten. "Ob jemand 'Chance auf Asyl' hat, darf nicht dafür ausschlaggebend sein, ob diese Person menschenwürdig behandelt wird oder nicht." Es sei auch nicht Entscheidung des Innenministers, wie ein Asylverfahren ausgeht, betonen die Vertreter der ÖGS-Sektion Migrations- und Rassismusforschung in ihrem Schreiben, das etwa von den Migrationsforschern Judith Kohlenberger und Rainer Bauböck, Politikwissenschafterin Monika Mokre und Linguistin Ruth Wodak unterzeichnet ist.

Unterzeichnet wurde der offene Brief unter anderem von der Linguistin Ruth Wodak.
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Herkunft, Geschlecht und Alter seien irrelevant, wenn es um die Bereitstellung einer sicheren Unterkunft gehe, wird in dem Schreiben betont. "In Österreich sind genügend Ressourcen vorhanden, damit niemand eine solche Unterbringung 'aushalten' muss. Es ist politisch und gesellschaftlich inakzeptabel, dass die Verantwortlichen in einigen Bundesländern nicht genügend und geeignete Quartiere für Asylwerber*innen zur Verfügung stellen, es ist ein Ignorieren der Gesetze, dass die Aufnahmequote nicht erfüllt wird", so die Forscher. Sie fordern auch, dass Land und Bund die Wahrung von Menschenwürde und Menschenrechte vor machtpolitische Abwägungen stellen.

Dornauer sieht "deutlich rote Handschrift"

Auf Themen abseits von Migration angesprochen, erklärte Dornauer gegenüber der APA, dass die schwarz-rote Regierung Tirols auch ein Modell für den Bund sein könne – freilich in umgekehrter Reihenfolge. "Das könnte ich mir durchaus vorstellen." Im neuen Regierungsprogramm der Tiroler Koalition sieht er eine "deutliche rote Handschrift".

Ungeachtet der derzeitigen ÖVP-Affären gebe es nämlich eine "Vielzahl redlicher Menschen in der Volkspartei", denen es aufgrund der Geständnisse von Thomas Schmid "den Magen umdreht". Mit Neuwahlen auf Bundesebene rechnet Dornauer nicht, denn ÖVP und Grüne seien angesichts schwacher Umfragewerte "aneinandergekettet". Alles andere wäre "Harakiri für die Bundesregierung".

Unterdessen bekennt sich der Tiroler SPÖ-Chef zu den EU-Sanktionen gegen Russland, hält aber fest: "Man muss auch immer eine Politik betreiben, die die Interessen des eigenen Landes und Europas im Auge behält." Er hoffe, dass die politisch Verantwortlichen "wissen, was zu tun ist": "Ich würde mir manches Mal ein höheres Maß an Professionalität und politischem Gespür sowohl an der Spitze der Bundesregierung als auch Europas wünschen."

"Aktive Grund- und Bodenpolitik" versprochen

Mehr als zufrieden zeigt sich Dornauer, der die Sozialdemokraten nach fast zehn Jahren zurück in die Regierung führte, mit dem schwarz-roten Koalitionspakt im Bundesland. Dieser trage vor allem in der Frage leistbares Wohnen sowie Bodenpolitik, aber auch im klassischen Sozialbereich sowie in der Verkehrspolitik eine "rote Handschrift". Deshalb könne er auch Kommentare, man habe zu wenige Zuständigkeiten für die SPÖ herausverhandelt, etwa in der Raumordnung, nicht gelten lassen.

Er als für die Wohnpolitik Verantwortlicher werde für eine "aktive Grund- und Bodenpolitik" sorgen und mit dem für Raumordnung zuständigen zweiten Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) eng zusammenarbeiten. So werde eine "Koordinationsstelle" eingerichtet, in der Raumordnung, Wohnbauförderung und der Tiroler Bodenfonds gebündelt und gesteuert werden.

Die Baulandmobilisierungsabgabe werde "in der ersten Hälfte der Legislaturperiode kommen", kündigte Dornauer an, denn: "Wir müssen alles daransetzen, dass sich die jungen Tirolerinnen und Tiroler unsere wunderschöne Heimat wieder leisten können. Und ich lasse mir sicher nicht von der Opposition in jeder Landtagssitzung ausrichten, dass in dieser Frage nichts weitergeht."

Stolz zeigt sich Dornauer, dass er mit der bisherigen Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol, Eva Pawlata, für das Sozialressort sowie Ex-ÖBB-Regionalmanager Rene Zumtobel für Verkehr zwei "hervorragende Experten" gewinnen konnte. Zumtobel sei ein "Vollprofi, der ab Tag eins weiß, was zu tun ist. Pawlata ist bestens vernetzt und bringt jahrelange Erfahrung aus der Praxis und ein hohes Maß an juristischer Kompetenz mit."

Schwangerschaftsabbrüche in öffentlichen Spitälern

In Sachen Transit seien die Kompetenzen des Landes Tirol "endenwollend", so ehrlich müsse man sein. Aber Zumtobel werde – "flankiert durch die Regierungsspitzen, also Landeshauptmann Anton Mattle und mich" – "transnationale Allianzen" schmieden. Eine spürbare Entlastung der Bevölkerung werde aber wohl erst mit Inbetriebnahme des Brennerbasistunnels 2032 eintreten.

Auch auf gesellschaftspolitischer Ebene sah Dornauer rote Erfolge im Regierungsprogramm. So sollen etwa erstmals in Tirol Schwangerschaftsabbrüche an einem öffentlichen Krankenhaus angeboten werden: "Das ist längst überfällig und ein frauen- und gesellschaftspolitischer Meilenstein für Tirol." (APA, 28.10.2022)