Die One-Love-Symbolik wird es bei der WM nicht geben.

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Pro: Ein Beispiel am Iran nehmen

von Melanie Raidl

Manuel Neuer ist Weltmeister und jeweils zweifacher Klubweltmeister, Champions-League-Sieger und Uefa-Super-Cup-Gewinner. Er könnte also mit vollstem Selbstbewusstsein gegen ein kleines neues Regelchen des Weltverbandes Fifa verstoßen. Natürlich ist dem Kapitän bewusst, dass die Message auf der bunten Armbinde politisch ist. Aber "One Love" oder "Menschenrechte für alle" sollte im Sport allgemein gelten und einleuchtend sein.

Sport steht für Fairness, Zusammenhalt und verbindet Menschen. Und dass ein Fußballweltmeister diese Werte vertritt, auch vor einem WM-Gastgeber, der dies nicht tut, ist selbstverständlich. Politisch hat sich der FC Bayern – und Deutschland – ja bereits im Juni mit der Allianz-Arena in Regebogenfarben gezeigt, eine Provokation, die sie sich schon im WM-Jahr getraut haben. Das Mindeste, das die Nationalmannschaft für den Kampf um Menschenrechte dann noch tun kann, ist, ihren von allen Seiten beschützten Kapitän eine bunte Armbinde tragen zu lassen. Sonst tritt die Mannschaft ihre Glaubwürdigkeit ab.

Im Übrigen hat Manuel Neuer zu schnell aufgegeben mit seiner wohlgemeinten Geste. Zumindest bis zum Internationalen Sportgerichtshof (CAS) hätten die Verbände gehen können und diesen entscheiden lassen. Denn nebenher kann auch die Rechtmäßigkeit angezweifelt werden, die Armbinde mit gelben Karten zu sanktionieren. Die iranische Nationalmannschaft stand kurz vor ihrem ersten Spiel am Montag still aufgereiht während ihrer Nationalhymne auf dem Spielfeld. Wohlwissend, dass alle elf Spieler inhaftiert und gefoltert werden könnten, sangen sie die Hymne nicht. Sie taten es für die Revolution in ihrem Land.

Manuel Neuer, der niederländische Kapitän Virgil van Dijk oder der Schweizer Kapitän Granit Xhaka haben scheinbar ein kleineres Anliegen als Frieden mit der Fifa. Deutschland, die Niederlande und die Schweiz können sich jedenfalls ein Beispiel an den Iranern nehmen. In einer ohnehin massiv umstrittenen WM sollten sie es einstecken können, für die Rechte von marginalisierten Gruppen sanktioniert zu werden. Gefährlicher als für die iranische Mannschaft kann es für sie jedenfalls nicht werden. (Melanie Raidl, 22.11.2022)

Kontra: Eine Schleife ohne Strahlkraft

von Florian Vetter

Die Diskussion um One-Love-Schleifen lässt die Emotionen bei der WM in Katar hochkochen. Es gibt da diesen Witz. Tagelang haben es die Spieler angekündigt, und nun tun sie es doch nicht. Sie haben beschlossen, am Spielfeld keine Eier zu tragen.

Die Häme, mit der die kickende Zunft nun medial übergossen wird, ist aber unnötig. Ja, natürlich schickt die Fifa mit dem Verbot der Binden das Thema LGBTQ offiziell in die Wüste, sehr zur Freude des Gastgebers. Und ja, natürlich dreht sich wie beim eitlen Kampf um die Hierarchie unter Fußballern auch der Armbindenstreit darum, wer der Stärkere ist. Und das ist die Fifa.

Die Kraft der Symbolik im Fußball ist vernachlässigbar, vergleichbar mit einer zynischen Sonntagsrede, die man aus PR-Gründen gerne hält. Die kickenden Herren mögen ihr Gewissen erleichtern, dem Kampf der Frauen im Iran um Selbstbestimmung oder der Durchsetzung von Menschenrechten von Schwulen und Lesben in aller Welt hilft das nicht weiter.

Es mag auch ein Stück weit naiv von den jeweiligen nationalen Verbänden gewesen sein, ihre politische Agenda ohne entsprechende Absicherung bis zuletzt voranzutreiben, um just bei Turnierbeginn von der Fifa zurückgepfiffen zu werden. Deshalb tragen sie trotz aller guten Absichten eine Mitverantwortung an diesem PR-Desaster.

Richtige Proteste müssten viel weiter reichen: an einer derartigen WM als Mannschaft nicht teilnehmen, Vergabeprozesse rigoros boykottieren, nicht nach Katar zum Trainieren fliegen und sich dort die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Das wäre mal eine Ansage. (Florian Vetter, 22.11.2022)