Am Euro Plaza in Wien-Meidling, der Zentrale der Kapsch AG, ist viel zeitgenössische Kunst zu sehen. Und das Modell eines alten Segelschiffs. Hat nicht viel gekostet, aber ist teuer in der Erhaltung, sagt Georg Kapsch.

STANDARD: Energiekrise, EU-Green-Deal, Energiewende – alles Zutaten, die zur Deindustrialisierung Europas führen könnten. Müssen wir uns als Steuerzahler darauf einstellen, dass wir uns den Erhalt der Industrie in Europa selbst finanzieren, weil ohne Förderung niemand dableibt?

Kapsch: So würde ich das nicht sehen. Ich sehe aber, dass wir Rahmenbedingungen schaffen müssen, damit die Industrie hier produzieren kann. Wir leben in einer globalen Welt, und im Zuge der Globalisierung sind so viele Fehler passiert, denn wir haben nicht globalisiert, sondern Produktion ausgelagert. Auslagerung ist keine Globalisierung. Globalisierung bedeutet, dass jeder vom anderen in gewisser Weise abhängig ist ...

STANDARD: Das ist Arbeitsteilung ...

Kapsch: Ja, aber es muss langfristig ein Gleichgewicht geben. Ich weiß, das ist eine Illusion. Ein Gleichgewicht der Nachhaltigkeit und des Wohlstands auf der Welt: Das wäre die Wunschvorstellung. Aber es funktioniert nicht dadurch, dass man die Kosten reduziert, indem man die Produktion in Billiglohnländer gibt und dort Arbeitskräfte und Ressourcen ausbeutet. Es besteht auch nicht darin, dass sich eine Region von einer anderen komplett abhängig macht.

STANDARD: Was heißt das? Wie müsste Globalisierung sein?

Kapsch: Jede Region hat gewisse Stärken, aber keine darf sich einer anderen mit Haut und Haar ausliefern. Es kann nicht sein, dass wir in Europa keine Antibiotika mehr herstellen können ohne Indien oder China.

STANDARD: Gegenbeispiel: Die letzte Penicillin-Produktion in Europa ist auch deshalb noch in Tirol, weil der Staat die Eigentümer mit Förderungen bei Laune zu halten sucht. In gewisser Weise zahlen wir Steuerzahler also kräftig mit ...

Kapsch: Dann müssen wir uns überlegen, ob mit dem globalen Pricing und der Arbeitsteilung alles seine Richtigkeit hat ...

Georg Kapsch findet, dass es keine Deglobalisierung brauche, sondern eine andere Art der Globalisierung.
Foto: Corn

STANDARD: Offensichtlich nicht. Aber jetzt geht es ohnehin in die Gegenrichtung, wenn man der EU-Kommission glauben darf, oder?

Kapsch: Wir brauchen keine Deglobalisierung, das bringt auch nichts. Es braucht eine andere Art, ein Gleichgewicht. Denn es gibt nun einmal Abhängigkeiten, denen wir auch mit Kreislaufwirtschaft nicht entkommen. Wir haben keine seltenen Erden, wir haben kaum Rohstoffe, die wir aber brauchen werden. Schauen wir mal, was China macht. Die sichern sich in Afrika Rohstoffe in großem Stil, obwohl sie selber genug haben.

STANDARD: Sollte das Europa machen? Wir haben einst aus diesem Grund Kolonialkriege geführt ...

Kapsch: Wir brauchen keine Kolonialkriege. Wir brauchen eine kluge, zielgerichtete Entwicklungshilfe, die den Menschen mehr Wohlstand bringt und den Zugriff auf Rohstoffe sichert. Das ist möglich!

STANDARD: Derzeit sehen wir die Beispiele, die nicht gehen – Stichwort Russland, Stichwort China. Aber die Pflöcke, die die westliche Welt eingeschlagen hat, kann man nicht so einfach verrücken, oder?

Kapsch: Zurückdrehen kann man die Entwicklung nicht. Aber Vorwärtsdrehen und dabei Fehler der Vergangenheit ausbessern und zukünftige vermeiden.

STANDARD: Was heißt das für die Kapsch AG mit ihrem Herzstück Kapsch Trafficcom, die als Maut- und Technologieanbieter weltweit aktiv ist? Erschließen Sie sich neue Märkte?

Kapsch: Wir haben uns in den vergangenen 20 Jahren von Region zu Region vorgetastet: Europa, Australien und Lateinamerika. Dann kamen die USA, Afrika, und jetzt werden wir Südostasien verstärkt angehen. In Singapur, auf den Philippinen, in Malaysia und Thailand sind wir schon.

STANDARD: Das sind die kommenden Boomregionen. Was unterscheidet diese Märkte von anderen?

Kapsch: In bestimmten Regionen besteht ein gewisser Aufholbedarf bei den Technologien, die wir anbieten, in Südostasien ist das so.

STANDARD: Sie sind auch in Russland und Belarus aktiv. Wie geht das in Zeiten des Ukraine-Krieges, wo doch insbesondere Technologietransfer massiv sanktioniert ist durch die EU?

Kapsch: Natürlich leiden wir unter den Sanktionen. In Russland hatten wir nie viel Geschäft, aber Belarus ist ein sehr wichtiger Markt für uns. Wir betreiben dort ein System, und das können wir aufrechterhalten, das verletzt auch keine Sanktionen. Ausbauen könnten wir nichts. Selbst gewisse Lieferungen dorthin sind möglich, aber das braucht die Zustimmung der österreichischen Regierung und der EU, das ist aufwendig, aber möglich..

STANDARD: Belarus gilt als Umschlagplatz für Umgehungskonstruktionen. Wäre das nichts für Sie?

Kapsch: Über die Türkei oder Balkanländer wäre das wahrscheinlich einfacher. Aber das ist kein Weg für uns. Wir werden sicher die Sanktionen nicht verletzen oder umgehen.

Unter den Sanktionen würde man durchaus leiden: "Belarus ist ein sehr wichtiger Markt für uns."
Foto: Corn

STANDARD: Das Geschäft mit Mautsystemen scheint aktuell schwierig in Europa. Aufgrund der hohen Inflation scheut sich jede Regierung, neue Gebühren einzuheben. Reduziert sich dadurch Ihr Geschäft auf Verkehrsmanagement- oder -steuerungssysteme?

Kapsch: Das sehe ich so nicht. Unsere Systeme, egal ob Trafficmanagement oder Maut, helfen, Emissionen zu reduzieren. Das gilt auch für Elektrofahrzeuge, denn da ist die Feinstaubbelastung durch Gewicht und Reifenabrieb wesentlich höher als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Feinstaub ist zwar nicht treibhausgasrelevant, aber für die Gesundheit gefährlich.

STANDARD: Da wären wir wieder bei der Industriepolitik. Europa beraubt sich mit dem E-Auto seines technologischen Reichtums beim Verbrennungsmotor. Ohne Abgasbetrug wäre dieser einen wichtiger Beitrag zum Klimaschutz gewesen. Nun ist der Ausstieg 2035 besiegelt, Forschung und Entwicklung werden zurückgefahren, und dieses Know-how geht verloren ...

Kapsch: Das ist eine Tragödie, und deshalb verstehe ich nicht, warum Biokraftstoffe so verteufelt werden. Das wäre viel vernünftiger, aber da kommen Killerargumente, wie: Die verwendeten Anbauflächen entgehen der Lebensmittelproduktion.

STANDARD: Seit dem Ukraine-Krieg ist das aber sehr konkret. Auch die massive Überdüngung im Getreideanbau spricht dagegen. Würden alle mit E-Autos fahren, was wäre gewonnen?

Kapsch: Vermutlich nicht viel. Wir haben die Übertragungsnetze für den Strom gar nicht. Elektromobilität kann aus diesem Grund nur eine Übergangstechnologie sein.

Standard: Aber Maut-Großprojekte sind zumindest in Europa eher nicht in Sicht zurzeit? Da fehlt Ihnen ein gewaltiger Teil des Umsatzes?

Kapsch: Ohne neue Projekte kann kein Unternehmen leben. In Westeuropa und in Südeuropa gibt es genügend, sowohl Erweiterungen als auch neue Projekte als auch Umstellung von älterer auf moderne Technologie. Es gibt Länder, die überlegen eine Maut für alle Fahrzeuge – streckenabhängig, auf allen Straßen. Da ist genügend Potenzial. Die Städte müssen etwas tun – nur zu sagen, ich sperre, ist keine Lösung. Sie müssen Verkehr optimieren, das Verhalten der Menschen ändern. Und wie? Motivieren oder bestrafen oder eine Kombination. Der monetäre Ansatz greift meist schneller.

STANDARD: Kommt jetzt die kilometerabhängige Pkw-Maut?

Kapsch: Es gibt eine EU-Richtlinie, die das vorschreibt – seit 2012! Es wird immer hinausgeschoben. Jetzt denken immer mehr Länder darüber nach. Aufgrund des Green Deal müssen sie etwas tun, und auch aufgrund des mit Sicherheit sinkenden Mineralölsteueraufkommens. Norwegen hat zum Beispiel eine sehr hohe Penetration an Elektrofahrzeugen, aber auch andere Länder wie die USA denken darüber nach. Der Staat muss die Infrastruktur erhalten – in Europa haben wir ja eine relativ gute Infrastruktur –, und da leisten all diese Systeme einen Beitrag, sowohl im Green Deal als auch in der Refinanzierung. Das gilt für Städte ebenso wie im intra- und interurbanen Bereich.

STANDARD: Sie sind optimistisch?

Kapsch: Ja. Die Methoden und Verkehrsträger ändern sich, aber es wird immer Mobilität auf der Straße geben. Sicherheit im Straßenverkehr ist ein Treiber, und das vor allem in den USA. Die USA schauen mehr auf die Frage, wie können wir die Sicherheit im Verkehr erhöhen als wie können wir Emissionen reduzieren. In Europa ist es umgekehrt. Bei uns schaut man zuerst auf die Emissionen. Aber mit zunehmendem Radverkehr gibt es bei Kreuzungsüberwachungen das Thema: Wenn ein Fahrzeug abbiegt und ein Radfahrer kommt, sagt das System: Achtung, da wird es gleich krachen.

STANDARD: China mit seinen verstopften Metropolen müsste ein Paradies sein für Kapsch?

Kapsch: Aber China greifen wir nicht an.

STANDARD: Warum nicht?

Kapsch: China ist extrem schwierig, da bräuchten wir eine ganz eigene Strategie, und außerdem entsprechen die politischen Rahmenbedingungen nicht.

STANDARD: Aber mit Belarus haben Sie auch kein Problem ...

Kapsch: Das kann man nicht vergleichen. Aber wenn Sie es schon vergleichen, sollte mit dem gleichen Maß gemessen werden. Aber Europa tut dies nicht und ist daher scheinheilig.

STANDARD: Und tragen weiter Milliarden nach China wie die deutsche Chemieindustrie – mit dem Argument, dass vieles in Europa zu kostspielig sei, weil Gas so teuer ist. Außerdem geht es gar nicht mehr ohne den Markt China.

Kapsch: Das ist auch ein Versagen der Politik. Man kann nicht alles den Unternehmen in die Schuhe schieben. Wir können nicht die Märkte hier für alles und jeden öffnen und zugleich die Industrie zwingen hierzubleiben.

China greife man nicht an, sagt Kapsch.
Foto: Corn

STANDARD: Zwingen kann sie ohnehin niemand. Hegen Sie auch Abwanderungsgelüste?

Kapsch: Nein. Wir wandern nicht ab, das ist auch nicht notwendig bei uns. Wir haben Entwicklungsstandorte in Österreich, Spanien, Nord- und Lateinamerika und kleine Entwicklungsteams in Weißrussland oder in der Ukraine. Eine Produktionsstätte hatten wir nie in Osteuropa, wir haben eine in Wien und eine in Kanada. Letztere haben wir mit einem Unternehmen mitgekauft. Aber wir haben nie irgendwohin abgesiedelt.

STANDARD: Sie haben im Juni bei der Bilanzpressekonferenz etwas Bemerkenswertes über Ihr Unternehmen gesagt: "Im Leadership waren teilweise Menschen dabei, die meine Kultur nicht mittragen wollten." Was macht Ihre Kultur konkret aus?

Kapsch: Unsere Unternehmenskultur ist sehr menschenorientiert. Wir haben den Begriff "Servant Leadership" übernommen. Aufgabe der Führungskräfte ist es, Menschen einen Weg zu zeigen, sie zu unterstützen, aber arbeiten zu lassen. Wer glaubt, er muss Law and Order spielen, hat bei mir keinen Platz.

STANDARD: Diese Aussage ist im Zusammenhang mit der Aufteilung der Gruppe erfolgt.

Kapsch: Das hat damit nichts zu tun.

STANDARD: Sondern? Der Kontext war :"Mittlerweile haben wir die Wertberichtigungen eingedämmt, wir sind schlanker, schneller geworden."

Kapsch: Aber das hat mit der Trennung der Gruppe nichts zu tun. Das hat sich alles in der Kapsch Trafficcom abgespielt.

STANDARD: Von wem haben Sie sich da getrennt?

Kapsch: Ich habe das Vorstandsteam neu aufgestellt und Veränderungen in den Regionen durchgeführt. Jetzt werden die zwei größten Regionen, Europa und Nordamerika, von Frauen geleitet.

STANDARD: Schaut man den Geschäftsgang an, drängt sich die Frage auf, ob Sie und Ihr Bruder die Teilung der Gruppe nicht zum falschen Zeitpunkt gemacht haben. Früher konnten sich die zwei Arme ausgleichen ...

Kapsch: Wie wollen Sie ein Unternehmen, das über Jahre jedes Jahr 45 bis 60 Millionen Gewinn geschrieben hat und dann in die Verlustzone gefahren ist, ausgleichen mit einem Unternehmen, das zwischen fünf und zehn Millionen schreibt? Geht nicht.

STANDARD: Ist es so besser, einfacher?

Kapsch: Ehrlich gestanden, mir hat die Trennung wehgetan, meinem Bruder und meiner Schwester auch. Wir haben das im Hinblick auf die nächste Generation gemacht, damit es nicht so ist, wie wir es hatten, als wir übernahmen.

STANDARD: Gutes Stichwort. Zeigt die nächste Generation Interesse?

Kapsch: Zwei Töchter meiner Schwester sind Technikerinnen, und meine zwei Söhne sind Kaufleute.

STANDARD: Die nächste Generation wird dann vielleicht nicht streiten?

Kapsch: Bitte, meine Generation hat nicht gestritten! Gestritten hat die Vorgeneration, und wir waren die Leidtragenden, mussten das lösen, und wir haben es im Jahr 2000 auch gelöst. Das hat damals viel Geld gekostet und war mit dem Zusammenbruch der Telekom- und IT-Branche genau zum falschen Zeitpunkt. Aber hätten wir es nicht gemacht, würde es uns heute nicht mehr geben, weil wir zu keinen Entscheidungen gekommen wären. Wir hätten die Reorganisation nicht machen können.

STANDARD: Und jetzt stehen die Jungen in den Startlöchern?

Kapsch: Einer meiner Söhne leitet Lateinamerika. Er ist sehr hispanophil, hat in Madrid studiert und liebt Lateinamerika, ich im Übrigen auch. Die Fröhlichkeit der Menschen dort, die Natur! Mein anderer Sohn studiert noch und betreibt ein Start-up.

STANDARD: Der Ältere wird dann vielleicht wenig Freude haben, ins kalte Wien zurückzukommen?

Kapsch: Man kann sich nicht alles aussuchen im Leben.

STANDARD: Das gilt auch für den Aktienkurs, er ist schon ziemlich lang im Keller. Wie erklärt sich das?

Kapsch: Wir sind mit 32 Euro beim Börsengang 2007 gestartet, dann kam ein Höhenflug, und in der Finanzkrise ist die Aktie, obwohl wir keine Ertragsprobleme hatten, auf 12,50 Euro runter. Dann ist sie wieder gestiegen und mit unseren Ertragsproblemen abgestürzt. Jetzt schwankt sie zwischen zwölf und 14 Euro.

STANDARD: Falls doch noch eine Millionärssteuer kommen sollte, hat ein niedriger Aktienkurs ja sogar Vorteile.

Kapsch: Die Milliardärssteuer gibt es ja schon. Rechnen Sie nach, dann werden Sie sehen, dass ich kein Milliardär bin.

STANDARD: Vom Milliardär zum Millionär. Sind Sie unterausgelastet, oder was hat die Minibeteiligung an dieser Lifetree Asset Managment für einen Zweck?

Kapsch: Ich bin überhaupt nicht unterausgelastet. Das ist eine kleine Kapitalbeteiligung, die ich eingegangen bin …

STANDARD: … weil Andreas Treichl es so wollte?

Kapsch: Nein, der war gescheiter als ich, weil er schon eine Phase früher eingestiegen ist als ich. Ich habe die Idee für wirklich gut gehalten, die bieten Ihnen Veranlagungsmodelle an, über Ihren Lebenszyklus. Sie können sagen, ich werde wahrscheinlich in fünf Jahren so viel Geld brauchen, in zwanzig so viel, weil ich vorhabe, dieses und jenes zu tun. Und dementsprechend bauen die Ihnen das Portfolio auf. Sie können dort mit ganz kleinen Beträgen reingehen.

STANDARD: Sie sind Autoliebhaber. Haben Sie schon auf E-Auto umgesattelt?

Kapsch: Erstens bin ich kein Autoliebhaber…

STANDARD: Aber Ihren Porsche mochten Sie schon immer gerne – oder war es ein Ferrari?

Kapsch: Ich bin nicht umgestiegen auf ein E-Auto. Aber ich gebe zu, ich denke darüber nach. Wenn, dann ein ganz kleines für die Stadt. Welches Modell, ist mir im Prinzip egal. Schnell muss es fahren. (lacht) (Luise Ungerboeck, Regina Bruckner, 11.12.2022)