Peter Hacker hatte leichtes Spiel. Gesundheitsminister Johannes Rauch von der Grünen lag krank darnieder, Vertreter war im Studio keiner zugegen. Da bot es sich an, in der ORF-Sendung Im Zentrum zum Thema Pflegenotstand alle Versäumnisse auf den großen Abwesenden zu schieben: die Bundesregierung.

Dem Landesrat aus Wien gelang dies mit Bravour. Obwohl die Spitäler, in denen die Situation momentan besonders dramatisch ist, in seiner Obhut liegen, geriet der eloquente Sozialdemokrat kein bisschen ins Schwitzen. Hacker sammelte sogar Szenenapplaus der vielen Pflegerinnen im Publikum, als er den Frauenversteher gab und die "Machokultur" im System anprangerte. Handeln müsse auch da – eh schon wissen.

Peter Hacker vertritt die sozialdemokratische Erzählung in der Pflegedebatte: Schuld ist die Bundesregierung.
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Vielem, was Hacker und andere Genossen an der Regierungspolitik bemängeln, lässt sich kaum widersprechen. Ja, die türkis-grüne Pflegereform kann nur ein erster Schritt sein. Der vorerst auf zwei Jahre beschränkte Gehaltszuschuss wird angesichts geweckter Erwartungen nicht reichen, um den Frust vieler Pflegekräfte zu beseitigen. Ebenso wenig darf sich Hilfe für Familien in dem ebenfalls geplanten Angehörigenbonus erschöpfen. SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher hat völlig recht, wenn er den Personalmangel mit "Attraktivierungen auf allen Ebenen" bekämpfen will: von der Ausbildung bis zu den Berufsbedingungen, von den Gehältern bis zu den Arbeitszeiten.

Doch da diese Forderungen mit harscher Kritik an der wahlweise unfähigen oder untätigen Regierung garniert sind, drängt sich schon die Frage auf: Warum haben die Sozialdemokraten all das nicht selbst umgesetzt?

Ewiges Thema

"Wir wissen seit Jahren, dass wir ungebremst auf einen Pflegenotstand zusteuern", stellte Kucher unlängst anklagend fest. "Ungebremst" mag übertrieben sein, doch der zeitliche Hinweis stimmt nicht nur für die letzten fünf Jahre, in denen blaue und grüne Politiker das Sozialministerium führten. Dass die demografische Entwicklung die Zahl der alten und gebrechlichen Menschen massiv anschwellen lässt, ist ein fast schon ewiges Thema. Die Debatte über die Folgen reicht weit in die Zeit zurück, als eine Partei das zuständige Ressort wie eine Erbpacht besetzte: die SPÖ.

So hatten Hilfsorganisationen beispielsweise bereits im Jahr 2009 – nicht 2019 – Alarm geschlagen, dass Pflegekräfte fehlten. Der damalige Sozialminister Rudolf Hundstorfer kalmierte. Politisch groß geworden war der mittlerweile verstorbene Ex-Ressortchef übrigens im Wiener Rathaus. Auch die städtische SPÖ hätte also einen Draht finden können, um Druck zu machen.

Damit soll nicht behauptet werden, dass die Sozialdemokraten geschlafen haben. In Wien wie auf Bundesebene gab es Schritte in die richtige Richtung. Doch offenbar gingen diese nicht weit genug, sonst wäre das Problem heute weniger brennend.

Die eigenen Versäumnisse der Vergangenheit sind kein Grund, der aktuellen Regierung sämtliche Fehler nachzusehen. Doch statt undifferenzierter Vernichtungsschläge – alles zu spät, alles zu wenig – stünde der SPÖ in der Pflegedebatte eine Portion Demut gut zu Gesicht– in Form präziser, sachlicher Kritik.

Die Regierung müsse endlich aufhören, "sich selbst zu belügen", forderte Gesundheitssprecher Kucher vor kurzem. Diesen Rat sollten auch die Sozialdemokraten selbst beherzigen. (Gerald John, 14.12.2022)