Lusail – Emmanuel Macron nahm Kylian Mbappe in den Arm, tätschelte ihm den Kopf, redete auf ihn ein. Doch Frankreichs Fußball-Wunderknabe reagierte gar nicht, egal wie oft der Staatspräsident ihn trösten wollte. Direkt nach dem letzten Elfmeter des epischen WM-Finales von Lusail auf dem Rasen. Dann als der 23-Jährige den Goldenen Schuh für seine acht Turniertore erhielt, mit versteinerter Miene am WM-Pokal vorbeischritt und seine Trophäe am liebsten weggeworfen hätte. Noch einmal, als er ihm die Silbermedaille umhängte.

Am Ende war Kylian Mbappe verständlicherweise bedient.
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Und ein letztes Mal in der Kabine, als Frankreichs erster Fan die auf so dramatische Weise gescheiterten Titelverteidiger mit den Worten aufrichtete: "Ich bin stolz auf euch." Von all dem wollte Mbappe zwei Tage vor seinem 24. Geburtstag nichts hören. Der Superstar mit der goldenen Zukunft haderte mit der Gegenwart.

Historischer Triple-Pack

Der Hochgeschwindigkeitsstürmer hatte die WM in Katar wesentlich geprägt, als erster Dreifachtorschütze in einem Endspiel seit Sir Geoff Hurst 1966 Frankreich zweimal zu einem fulminanten Comeback geführt, im Elfmeterschießen ein viertes Mal getroffen – doch am Ende musste er den Goldpokal, den er 2018 schon als 19-Jähriger gewonnen hatte, seinem Pariser Vereinskollegen Lionel Messi und Argentinien überlassen. Doch das soll es nicht gewesen sein. "Wir kommen wieder", schrieb Mbappe am Montag in den Sozialen Netzwerken.

Der Ein-Mann-TGV war von Argentinien nicht zu stoppen.
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"Das ist es, was sehr große Spieler ausmacht", sagte Macron, der das 2:4 im Elfmeterschießen nach dem 3:3 (2:2, 0:2) im vielleicht besten Finale der WM-Geschichte auf der Ehrentribüne im Lusail-Stadion verfolgt hatte: "Er ist noch nicht mal 24." Später gab der Präsident vor Journalisten zu, dass er nicht in der Lage gewesen sei, "mit den Leuten vernünftig zu reden, weil ich mindestens so traurig war wie er".

Fluch bleibt ungebrochen

Alle Superlative, die Fans, Beobachter und Kollegen zur historischen Leistung des Ein-Mann-TGV bemühten, änderten nichts. "Mbappe ist nicht genug", fasste die Sporttageszeitung L'Equipe zusammen. Erst hatte der junge Starstürmer mit einem Doppelpack innerhalb von 97 Sekunden die fast 80 Minuten völlig abwesend wirkenden Franzosen zurück ins Spiel gebracht. Dann glich er in der Verlängerung noch einmal einen Rückstand aus, krönte sich damit zum Torschützenkönig, legte das 1:0 im Elfmeterschießen vor – und doch blieb der Fluch des WM-Titelverteidigers, der seit Brasilien vor 60 Jahren kein zweites Mal triumphierte, ungebrochen, weil seinen Teamkollegen die Nerven versagten.

Am Ende half auch kein Trost von Frankreichs Präsident Macron.
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"Es war eine WM der Rekorde, viele Spieler haben Rekorde gebrochen", meinte Trainer Didier Deschamps, der selbst den historischen dritten Titelgewinn als Spieler und Trainer verpasst hatte, "Kylian hat seinen Fußabdruck in diesem Finale hinterlassen, aber nicht so, wie er es gerne getan hätte. Deshalb ist er so enttäuscht."

Wenn er diese Enttäuschung verarbeitet hat, wird Mbappe erkennen, welch goldene Zukunft vor ihm liegt. Nach zwei Weltmeisterschaften hat er schon genauso viele WM-Tore erzielt wie die Legende Pele und der am magischen Sonntagabend in Lusail siegreiche Messi – zwölf. Bis zum Rekord von Miroslav Klose fehlen nur noch vier Treffer, und Mbappe hat mindestens noch zwei Endrunden vor sich.

Zukunft von Deschamps offen

Ob noch einmal Deschamps sein Trainer sein wird, ist offen. Der 54-Jährige wollte noch nicht verraten, ob er seinen auslaufenden Vertrag nach zehn Jahren erneut verlängert. Anfang des nächsten Jahres sei ein Treffen mit dem Verbandspräsidenten Noel Le Graet geplant, danach werde man "mehr wissen". Um die Zukunft des französischen Fußballs ist dem "General" nicht bange: "Wir haben richtig Tiefe, da hat man die Qual der Wahl." (sid, red, 19.12.2022)