Wenn die Heiligen Drei Könige dem Jesulein in der Krippe nicht nur Edelmetall und Räucherwaren, sondern auch etwas zum Essen mitgebracht hätten, ja, dann täte ich mir heute leichter. Zum Beispiel Würste, Würstel, geselcht oder nicht, feines oder grobes Brät: Vom Schwein wären sie wahrscheinlich nicht gewesen, aber vielleicht vom Lamm oder meinetwegen vom Esel, stehen ja genügend herum vor oder im Stall von Bethlehem. Den Ochsen lassen wir in Ruhe, den gab es gar nicht, Tiere wurden nach dem jüdischen Gesetz damals nicht kastriert. Spaß beiseite – und meine ewige Leier, dass Weihnachten ein nahöstliches Fest sei, ebenfalls: Die Würste als Essenstradition zu Weihnachten liegen bei meiner bescheidenen "Was esst ihr am Heiligen Abend?"-Umfrage für diesen Artikel vorne. Ich war selbst überrascht.

Der Umfragesieg ist aber eine Folge davon, dass es sonst kaum gleichlautende Antworten auf die Frage gab. Konsens dazu, was das "richtige" Weihnachtsessen ist, lässt sich höchstens noch herstellen, wenn es um die – jeweils eigene – Vergangenheit geht. "Bei uns zu Hause haben wir …" Aber heute? Da entstehen neue Traditionen. Wie oft muss der sich vegetarisch ernährende Schwiegersohn in der "Wir essen Selchwürstel mit Kraut"-Familie am Christabend Spinat mit Spiegelei essen, bis es eine Tradition ist? Und was ist mit dem veganen Haushalt, der zum Feste eben genau das immer wieder kocht, was ganz besonders mundet, hat der nicht auch eine Tradition?

Genau genommen sind ja die Weihnachtswürste, wie so viele Traditionen, ein kulturelles Missverständnis: Nicht umsonst heißen sie in manchen Gegenden "Mettenwürstel", oder es gibt die "Mettensuppe", die sich ebenfalls durch hineingeschnittene Würstel auszeichnet. Das heißt: erst nach der Mitternachtsmesse, ihr Heiden und Heidinnen! Denn erst mit ihr ist der strenge katholische Fasttag zu Ende, und es darf losgehen mit der Völlerei zu Ehren des vielleicht, aber eher nicht vor 2022 Jahren geborenen Jesus von Nazareth. Früher war es selten beziehungsweise nur bei wenigen Leuten das, was wir heute unter lukullischem Ereignis verstehen würden, wovon auch die Weihnachtsschmarren und Weihnachtskoche (Plural von "das Koch") aus Mehl, Zucker und Schmalz zeigen.

Etwas feiner darf es zu Weihnachten schon sein.
Grafik: Armin Karner

Kinderfreundliche Betriebszeiten

"Abbruch-Fasttag" heißt so einer wie der 24. Dezember. Wobei die allermeisten Pfarrer heutzutage ihre Gläubigen ohnehin nicht mehr bis Mitternacht warten lassen würden, sie haben längst kinderfreundliche Betriebszeiten. Aber sie sind wohl zufrieden, wenn die Kinderlein und ihre Erziehungsberechtigten überhaupt kommen, auch wenn sie bereits abgefüllt in der Kirche sitzen.

Übrigens habe ich, obwohl alte Ketzerin, überhaupt kein Problem damit, die christlichen Wurzeln des Fests zu zelebrieren, im Gegenteil. Die Tendenzen, das zu ächten, machen uns nicht weltoffener, sondern fördern den kulturellen abendländischen Analphabetismus. Wäre schön, wenn auch die nächsten Generationen von "in diesem Land lebenden Menschen", egal ob und zu wem sie beten, eine Verkündigungsszene auf einem Gemälde in einem Museum noch verstehen könnten und das keine Sache elitärer Bildung würde. Was um Jesu willen nicht heißen soll, dass nicht am Ende alle feiern dürften, was sie wollen.

Genug gepredigt. Die frühere Fleischenthaltung am Fasttag erklärt auch die Karpfentradition, die sich – Überraschung – vor allem in jenen Gegenden durchgesetzt hat, in denen es Karpfenteiche gibt. Übrigens schlägt Karpfen, sogar wenn Sie ihn panieren, kalorienmäßig nicht so viel mehr zu Bauche als Würstel. Ich sag’s nur. Solange man sich nicht mit Mayonnaise-Erdäpfelsalat hineinreitet. Aber der ist in meiner Alterskohorte noch ausgestorbener als der gebackene Karpf. So viel Schnaps oder Cognac oder Amaro Averna gibt es gar nicht, dass man sich das noch antun will, zumal am Abend.

Fisch auf dem Tisch heißt es bei vielen Familien am heiligen Abend.
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Heimisches Süßwassergetier

Aber Fischiges geht natürlich auch anders, und trotzdem – bleib im Lande und nähre dich redlich! – durchaus unter Einsatz von heimischem Süßwassergetier. Eine Freundin macht seit Jahren einen Hausen, einen heimischen Stör, im Ganzen. Spektakulär und auch gar nicht so schwierig, aber natürlich ist "best practice", den Fischfonds für die Sauce selbst herzustellen. Lässt sich ohnehin vorkochen. Dass ein großer Fisch, den man nicht alle Tage macht, völlig stressfrei ist, die Garzeit betreffend, könnte man trotzdem nicht behaupten. Aber manche lassen sich die Kocherei einfach nicht nehmen.

In anderen Haushalten ist es ein Kriterium, dass Mutti oder Vati oder wer auch immer nicht stundenlang in der Küche steht. Alles, was eine Gruppe von Menschen möglichst ohne Hektik um den Tisch versammelt, ist weihnachtstauglich. Zum Beispiel Raclette oder Fondue. Oder "kalt". Wobei Letzteres ein weites Feld ist, da reicht es von "nur Einkaufen" – den Aufschnitt mit herzigem Weihnachtsmuster gibt es noch immer – bis zur Knochenarbeit für das Buffet. Knochen auch durchaus wörtlich zu verstehen, Stichwort Aspik. Sulz geht von sehr gschert bis sehr fein, wobei sie mir etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint. Selbstgemachtes Aspik ist hohe Schule – und bitte nicht zu nah am Christbaum abstellen, denn wenn es zu warm wird, neigt die Chose zum Zerrinnen.

In der sehr bürgerlichen Familie meiner Mutter gab es jedenfalls "kalt". Interessanterweise haben meine von mir zu diesem Zwecke interviewte Schwester und ich aber nicht weiß was für großartige kulinarische Reminiszenzen, obwohl sonst bei uns eher ehrgeizig gekocht wurde. In – selbstverständlich selbstgemachter – Mayonnaise haben wir damals aber offenbar gebadet, sie war im Dauereinsatz, etwa im "französischen Salat", der manchmal unter "russisch" läuft und der wie die Weihnachtswurst die Jahrzehnte überdauert hat. Irgendwann kam auch der Dosenspargel ins Spiel und somit zu den Erbsen und Karotten etc. hinein. Neben Schinkenrollen (Oberskren) waren die gefüllten Eier (Sardellenpaste, Senf) unvermeidlich. Die rufen bei mir besonders nostalgische Gefühle hervor, kam dafür doch falscher Lachs und falscher Kaviar beim Garnieren zum Einsatz!

Kalt und warm

Ach, was gab es für uns als Erwachsene später alles kulinarisch zu entdecken! Das durchschnittliche österreichische Kleinkind wendet sich heutzutage gähnend ab, wenn man ihm einen Oktopussalat vorsetzt.

Bei diesen kalten Platten war vor allem die Ästhetik hochwichtig. Sie mussten was darstellen, prächtig und sehr ordentlich sein, erinnert sich meine Schwester, die als Ältere viel stärker als ich bei den Küchenarbeiten zum Handkuss kam. Sie bildeten das saure Pendant zu den Tabletts mit dem streng in Reihen aufgelegten süßen Weihnachtsgebäck. Die Brotbegleitung bestand aus weißem Wecken (Baguette war in Österreich noch nicht erfunden) und Jourgebäck, dessen Bestellung beim Bäcker uns auf dem oberösterreichischen Land mit Gewissheit als extravagant angerechnet wurde.

Die warme Küche wurde am 25. in aller Herrgottsfrüh angeworfen, denn zu Mittag gab es eine Gans. Eine Riesengans, das waren nicht diese verhungerten Sportgänse mit Sixpack-Brust, wie man sie heute zu Martini bekommt und nicht weichkriegt, sondern riesige Apparate, die kaum ins Rohr hineingingen, stundenlang gebraten wurden und von denen das Fett literweise – keine homerische Übertreibung – abgeschöpft wurde. Schwer zu sagen, wie uns das heute munden würde, gibt es nicht mehr. Braucht man in unseren überfressenen Zeiten auch nicht mehr. Die Lebern waren bei diesen Gänsen von selbst groß, haben sie sich freiwillig fettgefressen. Heute sind das höchstens unsere eigenen.

Aber es dürfen natürlich auch andere Vögel sein. Wann genau der Truthahn angefangen hat, Pute zu heißen, und wann sein noch älterer Name Indian in Vergessenheit geraten ist, weiß ich nicht. Entsprechen auch beide nicht mehr den Standards der politischen Korrektheit von heute, eine Gendersünde das eine, ein Exotismus das andere. Aber der Blick in ältere Kochbücher beweist, dass der große Vogel zu Weihnachten keine neue Erfindung ist, auch wenn Thanksgiving und die Nachfrage nach leichterem Fleisch seine Karriere befördert haben mögen.

Was wird bei Ihnen serviert?
Grafik: Armin Karner

Würdige Grande Pièce

Ein dankbares Vieh, wirklich wahr, wenn man es denn nicht zu trocken erwischt, wozu aber die große Kunst des "Brining", Pökelns, erfunden wurde. Auf alle Fälle ist es eine würdige Weihnachts-Grande-Pièce, mehr als ein Braten. Zu dem mir unweigerlich das oberösterreichische Verdikt "Ein Bratl bringt jeder Trampl zsamm" einfällt, Verzeihung.

Zu den Beilagen zum Turkey sag ich gar nichts. Vor ein paar Jahren habe ich mithilfe einer US-amerikanischen Freundin zu Thanksgiving alles so gemacht, wie man es traditionsgemäß machen muss, und zu Weihnachten hier darüber geschrieben. In dem damaligen Artikel findet sich ein Satz, der nicht auf alle, aber vielleicht doch auf viele Weihnachtsessen anwendbar ist: Es hat genau so zu sein, wie es in der Kindheit war, mag es auch kulinarisch zweifelhaft sein.

Denn, das gilt zumindest für Traditionalisten und Traditionalistinnen, Weihnachten soll Gefühle wiederbringen – und wenn Sie Glück gehabt haben, dann waren die wirklich einmal so. Genauso oft aber wohl nicht. Das Nachstellen, wie glücklich, wie geborgen man damals gerne gewesen wäre, wie ungetrübt die Zeit hätte sein sollen, ist auch schön. Aber natürlich gefährlich. Nicht umsonst gibt es eine ganze Sparte von "Verunglückte Weihnachten"-Filmen, in denen man sich daran ergötzen kann, dass es auch andere nicht leicht haben mit dem Christfest. In den Filmen hilft Alkohol, in der realen Welt nicht immer.

Unfug zur Wintersonnenwende

Aber das ist nicht das Thema. Also freuen Sie sich darauf, in der Christnacht die Tiere sprechen zu hören, und hüten Sie sich, Wäsche auf der Leine hängen zu lassen. Immerhin ist es eine Raunacht! So etwas gab es in Rom nicht, aber mit Sicherheit ebenso Wildes. Deshalb hat Papst Liberius der Christenheit, die dem Heidentum in einigen Aspekten nur sehr widerwillig Adieu sagte, im Jahr 354 endgültig den 25. Dezember als Tag der Geburt Jesu Christi verordnet. Um sie von ihrem Wintersonnenwende-Unfug abzuhalten. Hat eh nicht wirklich geklappt.

Aber so richtig abgehoben hat Weihnachten erst in der Romantik des 19. Jahrhunderts. Ihr verdanken wir all das Brimborium – inklusive "Stille Nacht, heilige Nacht" unterm Nadelbaum -, von dem wir so tun, als ob es von Anbeginn der christlichen Zeitrechnung vorhanden gewesen wäre. Wie der Christstollen, zu dem uns der Chefkonditor von Oberlaa erklärt, dass der Marzipankern in der Mitte das Christuskind symbolisiert. Der Teig darum herum soll der Wickelpolster sein. Na ja, ich hätte dann beim in der Mitte eingestrichenen Gatsch eigentlich an etwas anderes gedacht. Aber soll sein, wir nehmen dankbar alles an, unser Ketzertum und unser Christentum und das der anderen, mit Santa Claus und Rentieren. Danke Ikea.

Um zuletzt noch die Frage abzuhandeln, die Ihnen auf den Lippen brennt: Was tut die Autorin am 24. Dezember? Ich gebe es zu, zu mir kommt weder das Christkind noch der Weihnachtsmann, schon lange nicht mehr. Zu mir kommt der Herr Drnek. Was macht der Herr Drnek? Er bringt den Champagner! Der begleitet meine zwölf Austern am Christabend, die esse ich alleine, seit Jahrzehnten. Nein, Sie müssen mich jetzt nicht noch schnell einladen, ich mache das freiwillig so. Alteingesessene österreichische Tradition, soll man erhalten. (Gudrun Harrer, 23.12.2022)