Jus-Professor Aziz Huq von der Universität Chicago und sein Kollege Tom Ginsburg, Professor für Internationales Recht und Politikwissenschaften, schreiben in ihrem Gastkommentar über die Gefahr, die der Demokratie in den Vereinigten Staaten droht – und darüber, was getan gehört.

Die Zwischenwahlen in den Vereinigten Staaten waren auf mehr als eine Art überraschend: Das unerwartet starke Abschneiden der Demokraten hat nicht nur das politische Terrain der nächsten zwei Jahre verändert, sondern auch gezeigt, dass sehr viele – häufig junge – Wählerinnen und Wähler tief besorgt über das Schicksal der US-amerikanischen Demokratie sind. Aber niemand hat ihnen eine glaubwürdige Agenda zur Verbesserung und Stärkung angeboten.

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In den USA geht die Sorge um die Demokratie um. Wie reagiert Präsident Joe Biden?
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Wichtiger als politische Macht

Die öffentliche Unterstützung für die Verteidigung demokratischer Normen war bereits bei Umfragen vor der Wahl erkennbar: Bei einer Befragung des Pew Research Trust schätzten 70 Prozent der Teilnehmenden "die Zukunft der Demokratie in den Vereinigten Staaten" als "sehr wichtig" für sie ein – verglichen mit 79 Prozent, deren wichtigstes Thema die Wirtschaft war. Und eine NBC-Nachwahlbefragung ergab, dass 68 Prozent der Wählerinnen und Wähler die US-Demokratie nicht als "sicher", sondern als "bedroht" erleben.

Sogar einige Republikaner halten Demokratie für wichtiger als politische Macht. Aktuelle Untersuchungen des Polarization Research Lab zeigen, dass die Geringschätzung demokratischer Normen innerhalb der Republikanischen Partei auf Donald Trumps Fraktion beschränkt ist.

"Angesichts dessen, dass viele Wahlleugnende auf staatlicher und bundesstaatlicher Ebene gewählt wurden und im Kongress geblieben sind, gibt es keinen Grund zu glauben, die Gefahr politischer Gewalt sei vorüber."

Die Sorge um die US-Demokratie greift insbesondere in der jüngeren Altersgruppe um sich. Eine Wahltagsbefragung der Harvard Kennedy School ergab, dass für die 18- bis 29-jährigen Wählerinnen und Wähler nur die Themen der Wirtschaft und der Abtreibungsrechte wichtiger sind als der "Schutz der Demokratie". Diese Wählerinnen und Wähler waren wahrscheinlich auch für die Siege der Demokraten in Georgia, Arizona und Pennsylvania entscheidend, ebenso für das Ergebnis der Gouverneurswahl in Wisconsin. Bemerkenswert ist, dass nur fünf Prozent der jungen Menschen die US-Demokratie als "gesund" bezeichnen. Kann es sein, dass sich die jüngere Wählerschaft nach fünf Jahren Belastungen für die Demokratie der Gefahren bewusster geworden ist?

Nette Motivationsrede

Was auch immer der Grund für die demokratische Dividende bei den Zwischenwahlen war, sie zu nutzen scheint keine hohe Priorität zu haben. Vor der Wahl betonte Präsident Joe Biden, wie wichtig es sei, für die Demokratie "aufzustehen". Dies war eine nette Motivationsrede, bot aber keinen klaren Plan, wie die Gefahr demokratischer Rückschläge abgewendet werden könnte.

Im Dezember 2021 hat die Biden-Regierung ein Informationsblatt herausgegeben, in dem sie für ein Sammelsurium von Maßnahmen zum Schutz der US-Demokratie warb. Sicherlich könnten einige von ihnen – wie die Verbesserung des Breitbandzugangs oder die "Erinnerung der Schulen" an ihre Pflicht, Staatsbürgerkunde zu unterrichten – langfristig diesem Ziel dienen. Insgesamt hat diese Liste aber eher den Eindruck hinterlassen, als habe ein überarbeiteter Praktikant im Weißen Haus eine To-do-Liste demokratiefreundlicher Thinktanks geplündert.

Enges Zeitfenster

Aber die Gefahr ist zu groß, um so wenig dagegen zu tun. Obwohl viele Anhängerinnen und Anhänger der großen Trump'schen Lüge, die Wahl von 2020 sei "gestohlen" worden, bei den Zwischenwahlen geschlagen wurden, bleibt die US-Demokratie gefährdet. Angesichts dessen, dass viele Wahlleugnende auf staatlicher und bundesstaatlicher Ebene gewählt wurden und im Kongress geblieben sind, gibt es keinen Grund zu glauben, die Gefahr politischer Gewalt sei vorüber. Auch können wir nicht ausschließen, dass sich jene, die die Wahl verloren haben, an die Gerichte wenden, um die Wahlergebnisse zu ihren Gunsten zu drehen, wie es Trump 2020 tat.

Angesichts der Raffinesse der demokratiefeindlichen Kräfte im In- und Ausland muss die Biden-Regierung sowohl unilateral als auch im Kongress aktiv werden, um die demokratischen Institutionen zu schützen. Das Problem liegt nicht im Mangel an Ideen: Eine Vielzahl von Organisationen und Wissenschafterinnen und Wissenschaftern des gesamten politischen Spektrums hat dutzende Reformvorschläge gemacht. Aber während sich die Stimmung im Vorfeld der Wahlen von 2024 aufheizt, wird das Zeitfenster zum Handeln enger.

Worauf warten?

Auch ohne Kontrolle über das Repräsentantenhaus kann die Biden-Regierung über Präsidentenverfügungen die demokratischen Standards stärken. Sie könnte den Status der Generalinspekteure innerhalb des Verwaltungsstaats verbessern. Und sie sollte neue Regeln einführen, um die Unabhängigkeit der Sonderermittler zu schützen, die im Justizministerium mögliche Konflikte untersuchen.

Außerdem könnten die Demokraten die Lahme-Enten-Zeit im Kongress dazu nutzen, das Gesetz zur Zählung von Wählerstimmen von 1887 zu reformieren. Viele andere Länder haben erfolgreich darum gekämpft, ihren demokratischen Zerfall abzuwenden. Und die Zwischenwahlen haben gezeigt, dass sich meisten US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner dafür aussprechen, bürgerliche Institutionen zu stärken. Aber die Demokraten – und die demokratisch eingestellten Republikaner – müssen jetzt aktiv werden. Diese Maßnahmen werden von der Bevölkerung eindeutig unterstützt, also worauf wartet die Biden-Regierung noch? (Aziz Huq, Tom Ginsburg, Übersetzung: Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 23.12.2022)