Franz Fiedler hat die Sache längst abgehakt: "Das lässt sich in Österreich nicht realisieren, dafür gibt es keine Mehrheit." Die Republik sei im Grunde unreformierbar. Und das liege massiv an der Macht und Blockade der Landeshauptleute.

Aber: Auch im Wissen um den Betonzustand der föderalen Staatsstruktur ist der ehemalige Rechnungshofpräsident nach wie vor davon überzeugt: Drei Verwaltungsregionen in Österreich wären zur Bürokratiestraffung genug. Die Bundesländer, die das Land zum Erstarren gebracht hätten, sollten in der derzeitigen Form abgeschafft werden. Das hat der 2019 verstorbene steirische ÖVP-Querdenker Gerhard Hirschmann vor mehr als 20 Jahren erstmals vorgeschlagen. Für ihn waren die Landesfürstentümer ohnehin nur noch "teure Folklore".

"Ich weiß natürlich, es ist völlig unrealistisch. Es wäre aber notwendig, endlich wieder eine große Diskussion über eine Reform des österreichischen Föderalismus, über die Macht der Landeshauptleute und auch die Kosten der Bundesländerstruktur zu beginnen", sagt Fiedler im STANDARD-Gespräch.

Vor 20 Jahren übernahm Franz Fiedler den Vorsitz im sogenannten Österreich-Konvent. 70 Fachleute aus allen dafür relevanten Ebenen der Gesellschaft, von der Politik bis zur Wissenschaft, scharte Fiedler um sich, um frische Grundpfeiler für ein neues föderales Österreich zu schaffen.

Es war ein Auftrag der schwarz-blauen Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP). Zwei Jahre lang ackerte der Konvent alle Schichten durch und schuf neue rechtliche Grundlagen für eine moderne Föderalismusordnung, die – unterm Strich – den Ländern eine Reihe von Kompetenzen entzogen und vieles bundeseinheitlich geregelt hätte.

Die geballte politische Macht in der Republik: die Landeshauptleute. Ohne die Zustimmung der Bundesländer wird in Österreich kein Stein verrückt. Die Landesherren und die Landesfrau, von links: Peter Kaiser, Markus Wallner, Thomas Stelzer, Michael Ludwig, Wilfried Haslauer, Johanna Mikl-Leitner, Christopher Drexler, Hans Peter Doskozil, Anton Mattle.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Tausend Seiten umsonst

"Wir haben gut tausend Seiten produziert, samt entsprechendem Verfassungsentwurf, aber mit der Fortdauer unsere Arbeit mussten wir bemerken, dass das Interesse der Regierung, der Politik, an unserer Arbeit sank", erinnert sich Fiedler. Zwei Jahre intensive Arbeit mit dem Effekt also, dass die große geplante Staatsreform in den Archiven der Politik landete. Und in der Nationalbibliothek. Zum Nachlesen.

"Es gab niemanden auf der politischen Ebene, der etwas ändern wollte – und bis heute will. Vor allem nicht in den Ländern. Kein Landeshauptmann, keine Landeshauptfrau möchte auch nur ein Gramm an Macht abgeben", resümiert Fiedler.

Die Landesfürsten und die eine Fürstin haben sich im föderalen System kommod eingerichtet. Sie müssen für ihre Finanzen nur bedingt Verantwortung übernehmen. Nur zwei Prozent ihrer Budgets generieren sie aus eigenen Einnahmen und Abgaben, die sie einheben.

Der Löwenanteil der Landesgelder fließt über den Finanzausgleich in die Landeskassen. Wenn’s zu knapp erscheint, wird in den Finanzausgleichsverhandlungen, so wie aktuell, hart verhandelt, auf dass der Bund mehr Geld in die Bundesländer schicke. Was in der Regel meist geschieht.

So lebt es sich in den Landestrutzburgen bisweilen auch recht feudal, die Landeshauptleute lieben große Empfänge, Ehrungen, Feste. Sie halten gerne Hof. Dafür reicht das Geld allemal. Der politische Horizont ist die Landesgrenze.

Im burgenländischen Oberwart wird etwa ein neues Spital errichtet. Knapp 20 Kilometer entfernt vom steirischen Spital in Hartberg. Weder die Steirer noch die Burgenländer befanden eine länderübergreifende Kooperation für nötig. Oder nationale Infrastrukturprojekte wie der Semmeringtunnel oder die Koralmbahn: Zugestimmt wird nur, wenn’s dem eigenen Land und der eigenen Reputation als Landespolitiker nutzt.

Die Krux ist das System. Jedes Bundesland kann sich mit eigenen rechtlichen Verwaltungssystemen nach außen schützen, was auch zu einem bundesweiten Wirrwarr an Landes- und Bundesgesetzen, einer Kompetenzzersplitterung führte: im Schulwesen, in der Gesundheit, den Krankenanstalten, Bauordnungen, im Umweltschutz bis hin zur Bekämpfung der Pandemie, als jedes Land eine Extrawurst briet.

Wie oft wurde schon gefragt: Wie sinnvoll und teuer sind neun Fischerei-, Jugend- oder Jagdgesetze oder Bauordnungen mit daran hängenden Bestimmungen über Baustoffe? Oder all die Landeskrankenanstaltengesetze, Fremdenverkehrs- und Raumordnungsgesetze, neun Landesbeamtengesetze mit eigenen Pensionsregelungen? Sie sind die Stützen der Macht der Landeshauptleute. Im Grunde könnten Länderspezifika, falls tatsächlich notwendig, auch über Bundesgesetze geregelt werden.

Bundesstellen in die Länder

Wo sollte nun eine Reform für ein neues föderales Österreich ansetzen? Sie könnte etwa, um die Sache einmal umzudrehen, bei den Verwaltungszentralen beginnen, mit der Verlagerung diverser Bundeszentralen in die Bundesländer. Allein dies würde die innerstaatliche Infrastruktur, die Verkehrsanbindungen mit einem Schlag verbessern.

Wiener Zentralbeamte müssten etwa nach Vorarlberg in die dortige Bundeszentrale pendeln. Das funktioniert ja auch in Deutschland: Das Bundeskriminalamt logiert zum Beispiel in Wiesbaden, das Bundesamt für Migration in Nürnberg.

Vordringlich geht es aber um die Bundesvereinheitlichung der Rechtsnormen – und darum, die Tradition zu stoppen, dass der Bund zahlt und die Länder das Geld verteilen. Diesen Kreislauf könnte auch eine weitgehende Steuerhoheit unterbrechen. Länder sollten, wie in der Schweiz, erweiterte Steuereinhebungsrechte gewährt bekommen. Die Landeshauptleute waren bisher aber nicht interessiert, selbst Steuern einzuheben. Das Argument, man wolle einen Steuerwettbewerb zwischen den Ländern, bei dem einige "Arme" hinten blieben, verhindern, gilt nur bedingt. Es gäbe ja auch das Modell eines Finanzausgleiches innerhalb der Länder.

Serie: Österreich braucht dringend eine Kurskorrektur. Korruption sowie Freunderl- und Parteienwirtschaft widern die Menschen zunehmend an. Was müsste geschehen, wer muss aktiv werden und wie? In einer Serie widmet sich DER STANDARD drängenden Fragen zur Zukunft unseres Landes.
Illustration: Der Standard

Und es geht auch um den großen Brocken der mittelbaren Bundesverwaltung, der Vollziehung der Bundesgesetze in den Ländern: ein epochaler Bürokratieaufwand, den man sich sparen könnte. Aber es ist eben ein weiteres Machtinstrument in Händen der Landeshauptleute.

Das Ende der mittelbaren Bundesverwaltung war bereits Thema und ein Teil des berühmten Perchtoldsdorfer Abkommens vom 8. Oktober 1992 zwischen Bund und Ländern über die Neuordnung des Bundesstaates. Es wurde nie umgesetzt.

Zumindest im sensiblen Gesundheitsbereich will aktuell der grüne Minister Johannes Rauch jetzt durchgreifen: "Wenn alle nur nach mehr Geld rufen, aber nicht zu Reformschritten bereit sind, wird sich das nicht ausgehen."

Der ambitionierte Anlauf des Gesundheitsministers kostet den ehemaligen Konventvorsitzenden Fiedler wohl einen Schmunzler. (Walter Müller, 31.12.2022)