Wenn Ökonominnen und Ökonomen über die kurzfristigen Probleme wie Gaspreise und Teuerung hinaus in die Zukunft schauen, stoßen sie rasch auf eine große Herausforderung: Die Menschen sollten länger arbeiten. Der dramatische Arbeitskräftemangel in so vielen Branchen wird von der Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation befeuert – in allen Industriestaaten und bald auch in vielen Schwellenländern.

Die explodierenden Kosten für Pensionen belasten die Staatsfinanzen und verringern die Mittel, die für andere wichtige Aufgaben zur Verfügung stehen.
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In den USA gilt das Fehlen von Millionen älterer Arbeitnehmer, die in der Pandemie in Pension gegangen sind und jetzt nicht mehr zurückkehren, als ein Treiber der Inflation. Wenn viele Menschen ihr Wissen und ihre Erfahrung nicht mehr der Wirtschaft zur Verfügung stellen, bremst es das Produktivitätswachstum und verringert so den Wohlstand. Gleichzeitig belasten die explodierenden Kosten für Pensionen die Staatsfinanzen und verringern die Mittel, die für andere wichtige Aufgaben zur Verfügung stehen – sei es die Bildung oder der Klimaschutz. Das bekommt Österreich besonders stark zu spüren.

Auch angesichts der stetig steigenden Lebenserwartung spricht alles dafür, dass Menschen länger im Berufsleben bleiben und nicht mit 65, 60 oder gar davor die wirtschaftlich produktive Phase ihres Lebens beenden und dann jahrzehntelang von den Beiträgen anderer leben. Dem steht allerdings ein Faktum entgegen: Die meisten Menschen gehen gerne in Pension und wollen nicht länger arbeiten. Das gilt nicht nur für körperlich fordernde oder eintönige Tätigkeiten, sondern auch für Berufe, die hohe Qualifikation und Engagement verlangen. Studien zeigen, dass Arbeiten nur selten glücklich macht und Menschen im Alter zufriedener werden, solange sie halbwegs gesund sind. Für die Befreiung von Trott und Stress, die der Job mit sich bringt, verzichten viele auch auf zusätzliches Einkommen.

Sicherung des Wohlstands

Das erklärt, warum alle Bemühungen der Politik, das Pensionsantrittsalter hinauszuschieben, so unpopulär sind. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron geht ein beträchtliches Risiko ein, wenn er einen neuen Anlauf unternimmt, das Rentenalter von 62 auf 65 zu erhöhen. Populistische Politiker locken hingegen mit dem Versprechen einer früheren Pensionierung. Das tat vor fünf Jahren die PiS-Regierung in Polen und stärkte damit ihre Popularität. Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan hat zur Absicherung seiner Wiederwahl im Juni das ohnehin niedrige Mindestantrittsalter von 60 Jahren für Männer und 58 für Frauen jetzt überhaupt abgeschafft.

Was ökonomisch sinnvoll, für die Sicherung des Wohlstands sogar dringend notwendig ist, erweist sich als politisches Gift. Selbst jüngere Wählerinnen und Wähler lassen sich von den Argumenten der Fachleute nicht überzeugen.

Was können Regierungen, die das Wohl ihres Landes im Sinne haben, tun? Appelle zum längeren Arbeiten funktionieren schlecht, Pensionsreformen gegen breiten Widerstand durchzupeitschen ebenso. Benötigt werden Anreize, die mehr in einer Neugestaltung der Arbeitswelt als im Finanziellen liegen müssten. Denn nach 30 Jahren Plackerei wollen selbst motivierte Arbeitnehmer nicht unverändert weitermachen.

Doch wenn die Zahl der Erwerbstätigen weiter schrumpft, verschärft sich die Schieflage zwischen den Generationen. Wie bei der Klimakrise zahlen dann die Jungen den Preis für das heutige Glück der Älteren. Das sollte nicht so sein. (Eric Frey, 2.1.2023)