Das Protestkleben gegen klimaschädliches Verhalten sorgt für Unmut. Viele wollen sich aus ihrer eigenen Komfortzone aber nicht herausbewegen.
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Menschen, die einem extremen Wetterereignis ausgeliefert waren, glauben eher an den Klimawandel. Ihr umweltschädliches Verhalten ändern sie deswegen aber dennoch nicht. Zu dieser ernüchternden Erkenntnis kommen der Klima- und Umweltsoziologe Tobias Rüttenauer und sein Team vom University College London in einer kürzlich publizierten Studie. Dafür wurden seit 2009 knapp 40.000 Personen wiederholt zu ihrem Bewusstsein für den Klimawandel und ihren Verhaltensweisen befragt.

Während des mehr als zehnjährigen Untersuchungszeitraums hat ein Teil der Befragten ein Extremwetterereignis, beispielsweise eine Flut oder Hitzeperiode, in unmittelbarer Nähe zum eigenen Wohnort erlebt. Rüttenauer präzisiert: "Als Parameter für eine Hitzewelle haben wir eine Temperatur von 29 Grad für mindestens drei Tage festgelegt. Das ist für britische Verhältnisse tatsächlich schon ein auffallendes Ereignis. Überflutungen haben wir anhand von Satellitendaten erhoben. Unsere Schwelle wird erreicht, wenn eine Fläche von etwa zwei Fußballfeldern überschwemmt ist."

Verhalten bleibt gleich

Bei der Mehrheit der Probandinnen und Probanden führte das Erleben eines solchen Wettererlebnisses zu einem gewandelten Bewusstsein hinsichtlich des menschengemachten Klimawandels. "Viele gehen davon aus, dass der Klimawandel uns erst in weiter Zukunft betrifft. Eine persönliche Betroffenheit verdeutlicht nicht nur die Dringlichkeit des Problems, sondern verringert auch die emotionale Distanz." Allerdings hatte diese Einsicht keinerlei Auswirkungen auf das persönliche Verhalten der Testpersonen. Sie waren danach weder öfter gewillt, das Auto stehen zu lassen, noch, ihren Stromverbrauch zu verringern oder nachhaltiger einzukaufen.

Der lange Untersuchungszeitraum macht außerdem eine gewisse Reversibilität des Effekts deutlich. Demnach bestimmt die Art des erlebten Extremwetterereignisses, wie lange ein größeres Bewusstsein für den Klimawandel besteht. Während der Effekt bei einer Hitzewelle bereits nach wenigen Wochen abschwächt, hält er bei einer Flutkatastrophe bis zu zwei Jahre an.

Verharmlosung von Hitze

"Das mag auch in der Natur der Ereignisse liegen. Eine Flut gilt als stärkeres Signal und wird schneller mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Hitzewellen werden hingegen als weniger bedrohlich empfunden", erklärt Rüttenauer, der zuletzt auch Gast bei der Jahreskonferenz Population and Climate Change an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften war. Dabei spiele auch die meist positiv konnotierte mediale Berichterstattung über Hitzewellen eine Rolle, gibt der Forscher zu bedenken. Nicht selten werden diese gerade für Ältere, Kranke und Kinder nicht ungefährlichen Extremereignisse immer noch mit Eis essenden, glücklichen Menschen und Badenden am Strand bebildert.

Das Fatale daran: Der gesamtgesellschaftliche negative Effekt durch Hitze- und Dürreperioden – sei es die gesundheitlichen Auswirkungen sowie Ernteausfälle, Probleme der Wasserversorgung und Waldbrände betreffend – ist im Vergleich zu anderen klimatisch bedingten Wetterextremen weitaus höher, weil diese im Schnitt in unseren Breitengraden deutlich häufiger auftreten.

Auch das Fliegen ist bei Klimaprotesten ein großes Thema. In der Praxis wollen die wenigsten ihr Freizeitverhalten ändern, selbst wenn sie an den menschengemachten Klimawandel glauben.
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Um mögliche Erklärungsansätze für die fehlende Bereitschaft zur Verhaltensänderung zu finden, hatte das Forschungsteam zunächst einzelne Subgruppen untersucht. Allerdings konnten kaum Abweichungen festgestellt werden: "Besonders überrascht hat uns das Ergebnis, dass es keinerlei Unterschiede in den verschiedenen Altersgruppen gab. Auch junge Menschen verändern ihr umweltschädliches Verhalten nicht."

Dilemma des kollektiven Handelns

Dieses Ergebnis spricht laut Rüttenauer für ein Dilemma des kollektiven Handelns – eine Situation, in der alle besser dran wären, wenn sie zusammenarbeiten würden, dies aber nicht tun, weil es Interessenkonflikte gibt, die von einem gemeinsamen Handeln abhalten. "Um den Klimawandel zu beeinflussen, müssen wir jedoch alle unseren Alltag ändern", betont der Soziologe. Er appelliert: "Haben Sie keine Angst davor, den ersten Schritt zu machen. Die Handlungen eines Einzelnen erscheinen zunächst bedeutungslos, aber wenn alle ihren Beitrag leisten, kann das insgesamt viel auslösen."

Was wie ein moralisches Armutszeugnis klingt, ist harte Realität: Schenkt man bisherigen Untersuchungen Glauben, kommen vor allem finanzielle Anreize infrage, um das Verhalten der Menschen in dieser Angelegenheit zu ändern. Rüttenauer bestätigt diese Annahme: "Sobald eine klimafreundliche Alternative weniger kostet als das klimabelastende Pendant, muss die Verbindung zum Klimawandel gar nicht mehr gemacht werden. Der Effekt ist erfolgreich, weil er direkt im eigenen Geldbeutel bemerkbar ist."

Ebenso effektiv ist es, umweltfreundliche Alternativen als Standardoption festzulegen, da "Menschen tendenziell faul sind". Die aktive Entscheidung zur klimaschädlichen Variante stellt für viele eine Hürde dar. Muss ich mich beispielsweise in der Kantine aktiv für Fleisch entscheiden, ist es wahrscheinlicher, dass ich beim vegetarischen Ausgangsmenü bleibe, nennt er ein Beispiel.

Verständnis für Proteste

Für die Protestaktionen der Letzten Generation wie beispielsweise das Blockieren von Straßen zeigt Rüttenauer Verständnis: "Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wissenschaftliche Argumente ausreichen würden, um die Menschheit zum Umdenken zu bewegen. Doch unsere Forschung und die Vergangenheit zeigen, dass dem nicht so ist. Die Folgen des Klimawandels sind weitaus schlimmer, als solche Aktionen je sein werden." Für den Klimasoziologen erzeugen Proteste dieser Art in erster Linie einen Diskurs, was in seinen Augen ein zentrales Element im Kampf gegen den Klimawandel darstellt. (Anna Tratter, 6.1.2023)