Die STANDARD-Titelseite vom 14. Jänner 2023.

Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Wer vergangenes Wochenende den gedruckten STANDARD in Händen hielt, entdeckte dort auf der Titelseite die Silhouette einer Frau, deren Kopf gefüllt ist mit bunten Zahnrädern, Wolken und Farbklecksen. Das Bild sieht aus wie mit Wasserfarben gemalt – doch generiert hat es der KI-Bildgenerator Midjourney.

In der Titelgeschichte vom Wochenende geht es darum, wie künstliche Intelligenz zunehmend unseren Alltag beeinflusst. Im Fokus steht der Textgenerator Chat GPT, aber auch KI-Tools wie Dall-e oder Midjourney, die auf Befehl in Sekundenschnelle jedes erdenkliche Bild erzeugen können. Dass wir den Artikel selbst mit einem KI-generierten Bild illustrieren, ist einerseits naheliegend – aber doch ein Novum.

Meist wühlen wir, statt zu generieren

Denn in der Regel wählen wir Bilder ganz anders aus: Ein Team aus Fotojournalistinnen- und journalisten sichtet tagtäglich tausende Fotos – teilweise bis zu 15.000 –, die wir vor allem über Nachrichtenagenturen bekommen. Manchmal bebildern unsere Illustratorinnen und Illustratoren oder freie Fotografierende die Seiten des STANDARD. Meistens fischen wir aber die passenden Bilder aus einer Flut von Fotos heraus. (Mehr dazu, wie wir mit Fotos umgehen, lesen Sie in diesem "So sind wir"-Blogeintrag.)

Vergangenen Freitagvormittag, als die Wochenendausgabe produziert wurde, war das anders. In einer Runde aus Chefredaktion, Art Director, Layout, Fotoredaktion und einem der Autoren des Artikels diskutierten wir darüber, wie wir die Titelseite bebildern könnten. Midjourney goss unsere Ideen quasi in Echtzeit in immer neue Illustrationen. Von der ersten Idee bis zum druckfertigen Bild vergingen nur rund 15 Minuten.

Die KI, die sich selbst nicht beschreiben kann

Da es in dem Artikel darum geht, wie künstliche Intelligenz unseren Alltag beeinflusst, ließen wir Midjourney zunächst Bilder zu dem Befehl "intrusion of ai in daily life" generieren. Schnell lernten wir, dass wir mit dem Begriff KI – oder englisch AI für "artificial intelligence" – an die kreativen Grenzen von Midjourney stießen. Denn die Software illustriert den zugegebenermaßen abstrakten Begriff stets mit einem Roboter. Das fanden wir etwas altbacken, zudem sagte uns der Stil der Bilder nicht zu.

Einer unserer ersten Versuche.
Bild: Midjourney

KI-Bildgeneratoren wie Midjourney sind aber ziemlich gut darin, den Stil berühmter Kunstschaffender zu imitieren – was bei diesen übrigens teils zu Entrüstung führt. Eine Kollegin schlug deshalb vor, das gleiche Bild noch einmal generieren zu lassen, aber im Stil von Gustav Klimt. Das Ergebnis war zwar "klimtig" – doch als Symbolbild für künstliche Intelligenz taugte es nicht wirklich.

Sieht zwar aus wie von Klimt, ist aber eine Themenverfehlung.
Bild: Midjourney

Wir versuchten daher etwas anderes. Mit dem Befehl "woman sitting in full train looking at smartphone with colorful light coming out of the smartphone" wollten wir symbolisieren, dass die KI uns künftig im Alltag begleitet und in jedem Smartphone steckt und eine Art "Wundertüte" ist.

Das bunte Licht sollte die künstliche Intelligenz symbolisieren.
Bild: Midjourney

Unglückliche Maschinenmenschen

Doch auch diesen Entwurf verwarfen wir wieder. Nachdem "Das erweiterte Hirn" als Titel für den Artikel feststand, probierten wir weitere Befehle aus, zunächst "a person in side view with gears in the head".

Die Maschinenmenschen erschienen uns zu dystopisch.
Bild: Midjourney

Der ernste, fast unglückliche Gesichtsausdruck passte aber nicht zur Tonalität des Textes. Der Befehl "a happy person in side view, where gears are connected with the head" konnte die Stimmung des künstlichen Fotomodells aber kaum aufhellen.

Das versteht Midjourney unter einer "glücklichen Person".
Bild: Midjourney

Uns war wichtig, die Person nicht entmenschlicht als Maschine darzustellen. In unserem Artikel führen wir aus, dass unser Denken durch künstliche Intelligenz erweitert und nicht ersetzt wird – auch wenn es natürlich dunkle Seiten und Missbrauchspotenzial gibt. Wir ließen Midjourney also Bilder zum Befehl "side view of a person with brain connected to colorful gear cloud" generieren.

Diese Entwürfe schafften es in die Endauswahl.
Bild: Midjourney

Eine leicht veränderte Version des Bildes oben links schaffte es letztendlich auf die Titelseite.

Das Bild, das wir auf der Titelseite des STANDARD abdruckten.
Foto: Midjourney

KI-Tools wie Midjourney und ChatGPT sind echte Gamechanger – aber wohl erst der Anfang von dem, was im Bereich künstliche Intelligenz noch auf uns zukommt. In Zukunft wird sie noch mehr Bereiche unseres Lebens und Branchen verändern – auch den Journalismus. Wie das passiert und wie wir damit umgehen wollen, diskutieren wir derzeit in der Redaktion. Doch schon jetzt steht fest: Kein Artikel und kein Bild geht ohne die Kontrolle menschlicher Augen in Druck oder online. (Philip Pramer, 17.1.2023)